Wieso setzte Wikipedia aus?

Für dieses Wochenende sind zahlreiche Protestaktionen gegen die umstrittene EU-Urheberrechtsreform in Europa geplant. Konkret sind am Samstag, den 23. März unzählige Demonstrationen gegen die von vielen gefürchteten Artikel 11 und 13 geplant. Nun beteiligt sich auch Wikipedia an den Protesten und setzt damit ein Ausrufezeichen.

Am 21. März rieben sich sicherlich viele Menschen die Augen, als sie versuchten etwas auf Wikipedia zu recherchieren und keinen Zugriff auf die Seite bekamen. Die größte Online-Enzyklopädie der Welt entschied sich am Donnerstag dazu, für 24 Stunden in der deutschen Version „offline“ zu bleiben. Statt der gewohnten Artikel bekamen die User eine vorgefertigte Nachricht des Wikis zu Gesicht, in der darüber informiert wurde, warum die neue Urheberrechtsreform problematisch sein könnte und warum man sich den Protesten anschließen sollte und die Abgeordneten des europäischen Parlaments kontaktieren sollte.

„Die geplante Reform könnte dazu führen, dass das freie Internet erheblich eingeschränkt wird. Selbst kleinste Internetplattformen müssten Urheberrechtsverletzungen ihrer Userinnen und User präventiv unterbinden (Artikel 13), was in der Praxis nur mittels fehler- und missbrauchsanfälliger Upload-Filter umsetzbar wäre. Zudem müssten alle Webseiten für kurze Textausschnitte aus Presseerzeugnissen Lizenzen erwerben, um ein neu einzuführendes Verleger-Recht einzuhalten (Artikel 11). Beides zusammen könnte die Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit erheblich beeinträchtigen“, schrieben die Macher des Lexikons.

Die Abschaltung ist das Ergebnis einer Umfrage unter den Initiatoren und Unterstützern von Wikipedia Deutschland. Von ihnen stimmten 67,9 Prozent für einen Protest gegen die EU-Urheberrechtsreform. In einer weiteren Abstimmung sprachen sich 83,2 Prozent für die vollständige Abschaltung der deutschsprachigen Wikipedia am 21. März aus. Lediglich 16,8 Prozent wollten mit einem Protestbanner auf mögliche Nachteile der Reform aufmerksam machen. Wikipedia mischt sich damit in die Debatte ein, obwohl Online-Enzyklopädien explizit von Artikel 13 ausgenommen werden und damit keine Filter zu befürchten haben. Da Wikipedia aber auf externe Quellen angewiesen ist, die von Upload-Filtern betroffen sein könnten, sind die Bedenken der Seite auch für die eigene Zukunft durchaus nachvollziehbar.

Durch den großen Einfluss des Online-Giganten wird nun noch mehr Aufmerksamkeit auf den Widerstand gegen Artikel 11 und 13 gelenkt. Seit einigen Wochen protestieren vor allem junge Menschen gegen die umstrittene EU-Reform. In vielen Städten versammelten sich deshalb schon jetzt tausende Menschen, um friedlich gegen die Machenschaften der EU-Parlamentarier zu protestieren. Nach diesen unzähligen kleinen Aktionen wollen die Aktivisten nun am 23. März europaweit auf die Barrikaden gehen. Die jungen „Digital Natives“ treiben dabei einige Sorgen zur Zukunft des Internets an. Sie teilen dabei die Ängste von Wikipedia und befürchten, dass - nach der Umsetzung - den Plattformen ein legales Handwerksmittel zur Zensur in die Wiege gelegt wird. Was es aber alles im Detail mit den Upload-Filtern, den Zukunftsplänen der Reform und den Entwicklungen auf sich hat, kann hier nachgelesen werden.

Was hat sich seit dem letzten Überblick im Entwurf getan?


Was ist der Trilog?

Trilog bzw. formeller Trilog ist ein paritätisch zusammengesetztes Dreiertreffen der gesetzgebenden Institutionen der Europäischen Union – Europäische Kommission, Rat der Europäischen Union und Europäisches Parlament. Die Europäische Kommission übernimmt eine moderierende Funktion.
Seit dem Herbst vergangenen Jahres gab es zahlreiche neue Entwicklungen rund um die Erneuerungspläne der EU. Auslöser der großen Diskussion war die Einigung der verschiedenen Parteien im Trilog. Bis zum 13. Februar 2019 hatte sich Deutschland in den Verhandlungen noch gegen Teile des Wortlautes gestellt und plädierte für weitgehende Ausnahmeregelungen verschiedenster Online-Akteure. Das stand im Widerspruch mit den Interessen Frankreichs niemanden von den Regelungen auszuschließen. Dank der gegensätzlichen Vorstellungen der beiden größten Player in der EU, drohte zunächst ein Verhandlungsstopp. Durch die langwierige Entscheidungsfindung sollte das Projekt auf Eis gelegt werden. Es schien so, als seien die Vorstellungen der verschiedenen Parteien so weit auseinander, dass der Entwurf in der damaligen Form unmöglich durchgewinkt werden könnte.

Doch wenig später folgte die Ernüchterung: Deutschland und Frankreich konnten sich auf einen Kompromiss einigen. Beide Akteure kamen aufeinander zu und schließlich wurden im Kern drei Ausnahmen für den Einsatz von Upload-Filtern gefunden:

1. Die Plattform muss jünger als drei Jahre alt sein
2. Der Jahresumsatz muss weniger als zehn Millionen Euro betragen
3. Die Plattform muss weniger als fünf Millionen Nutzer pro Monat haben

Wird auch nur eine dieser Bedingungen nicht erfüllt, so sind die Plattformen gezwungen entweder entsprechende Lizenzvereinbarung mit den unzähligen Urhebern zu treffen oder eben die umstrittenen Filter-Systeme einzusetzen. Schaut man sich diese Kriterien mal genauer an, so stellt man fest, dass wohl kaum ein Anbieter unter diese Ausnahmen fallen wird. Einen Gefallen wird damit also eigentlich niemandem getan. Besonders problematisch ist dabei, dass der Kompromiss unter anderem durch ein Telefonat der Kanzlerin mit Präsident Macron zu Stande kam. Die Bundesregierung sorgte also gleichermaßen dafür, dass nun die Weichen für eine Urheberrechtsreform gestellt wurden, die immer noch auf den Einsatz von Upload-Filtern hinausläuft. Und das alles, obwohl sowohl die SPD als auch CDU/CSU im Koalitionsvertrag von 2018 festlegten, dass man jegliche Formen dieser Filter nicht unterstützen werde.

Der Protest wird auf die Straße gebracht


Da nun der Verabschiedung der Reform nichts mehr im Wege stand und Deutschland mit hauptverantwortlich für die neuen Entwicklungen war, sammelte sich noch größerer Unmut in vielen Teilen der Bevölkerung an. Die einzige Chance, den Entwurf jetzt noch zu kippen, ist die finale Abstimmung im europäischen Parlament Ende März. Daher versuchen die Kritiker ihren Unmut möglichst nah an die entscheidenden Politiker heranzutragen. Nachdem viele Versuche in den sozialen Netzwerken und per Mail von den Befürwortern des Entwurfes als computergenerierte Bot-Angriffe abgestempelt wurden, entschlossen sich seit ein paar Wochen zahlreiche Gegner unter Aufrufen einiger prominenter Web-Gesichter (z.B. Gronkh, rechts) gegen Artikel 13 und Co. auf die Straße zu gehen. Sie wollen erreichen, dass die Proteste von den Politikern letztendlich nicht mehr heruntergespielt werden können und auch der Rest von Europa auf die streitbaren Punkte hingewiesen wird.

Furcht vor der Europawahl?


Ein großes Druckmittel besitzen die Kritiker dabei noch: Ihre Stimme für die kommende Europawahl im Mai. Daher Blicken etliche Parlamentarier, die bisher für den Vorschlag gestimmt haben und ihre Wiederwahl in Gefahr sehen, schon besorgt auf die finale Abstimmung. Durch die immer größer werdenden Proteste der verschiedenen Akteure aus Bevölkerung, Wirtschaft oder den Verbänden, zweifeln nun einige Befürworter, ob die derzeitige Reform noch das Richtige für Europa ist oder doch eher über das Ziel hinausschießt. Viele hatten sich bisher noch nicht genauer mit der Problematik auseinandergesetzt und erkennen nun die Bedenken der Protestierenden an. Es besteht also noch eine kleine Chance, dass der Entwurf doch noch in letzter Instanz scheitert.

Besonders prekär ist die Lage dadurch, dass die federführenden Akteure des Entwurfes die Urheberrechtsreform unbedingt noch vor den Europawahlen durchbringen möchten. Denn das neugewählte EU-Parlament müsste, falls die Richtlinie nicht mehr rechtzeitig verabschiedet wird, mit den Verhandlungen über das Urheberrecht wieder komplett von vorne zu beginnen. Deshalb ist es für die kommende Abstimmung auch zu spät noch etwas am Text der Richtlinie zu ändern. Daher stimmen die Abgeordneten Ende März im Parlament nur noch für die gesamte Urheberrechtsreform an sich ab. Entweder kommt sie oder die Arbeit der vergangenen Jahre war für die Katz und man darf das ganze Thema in der zweiten Hälfte von 2019 neu aufrollen. Auch deswegen sträuben sich noch etliche Befürworter nach jahrelanger Zustimmung kurz vor Schluss noch abzuspringen.

#NieWiederCDU macht sich breit


Für große Empörung bei den Gegnern der Reform sorgte Anfang März der angedeutete Versuch der Europäischen Volkspartei (EVP), also dem konservativen Flügel des Parlaments, die Abstimmung vorzuziehen, sodass die groß-organisierten Proteste am 23. März zu spät kämen. Dieses äußerst undemokratische Verhalten stieß in der breiten Masse auf große Gegenwehr. Der Unmut der Kritiker entlud sich nun bei Parlamentarier Axel Voss, der hauptverantwortlich für den derzeitigen Entwurf ist, und dessen Partei CDU. Schnell machte sich im Netz das Hashtag #NieWiederCDU breit. Wahrscheinlich auch auf Grund dieser starken Anfeindungen der Reformgegner entschied sich die EVP in letzter Sekunde einen Rückzieher zu machen und stellte keinen Antrag auf Vorverschiebung im europäischen Parlament. Den Ärger gegen die CDU wurden die Konservativen seitdem aber nicht mehr los.

CDU rudert zurück


Deshalb schaltete sich jetzt auch die nationale Politik ein, um auf den mehr werdenden Unmut aller Beteiligten einzugehen. Jüngst ruderte die CDU noch einmal deutlich zurück und versuchte die Ängste wegen der bevorstehenden Reform zu zügeln. Da ja gerade die Upload-Filter am kritischsten beäugt werden, wolle man für Deutschland den Einsatz solcher umgehen. Der neue Vorschlag der CDU sieht vor, statt Upload-Filtern auf zeitlich begrenzte Pauschallizenzen in Deutschland zu setzen. Damit wäre es zumindest möglich alle Inhalte zunächst einmal weiter ungefiltert hochzuladen.

Der neue Vorstoß der CDU stieß allerdings bei allen Beteiligten auf Unverständnis. Obwohl die federführende Kraft nun also die Risiken der Reform anerkennt, ist sie dennoch der Meinung die derzeitige Urheberrechtsreform weiter durch die europäischen Instanzen durchzudrücken, nur um dann auf nationaler Ebene etwas dagegen zu unternehmen. Außerdem gab es solche Vorschläge – statt Upload-Filtern auf Pauschallizenzen zu setzen – bereits vor einiger Zeit von anderen Fraktionen im EU-Parlament. Damals sprachen sich große Teile der Christdemokraten noch gegen diese Änderungen aus, woher der plötzliche Sinneswandel wohl kommen mag…

Selbst wenn die deutsche Bevölkerung also von den Filtern der Reform verschont bliebe, würde man dem Rest der EU damit trotzdem ein neues Werkzeug der Zensur in die Hände legen. Nur weil die führenden Kräfte in Deutschland jetzt zurückrudern und die Bedenken entschärfen wollen, kann jedes andere EU-Land die Richtlinie anders interpretieren und umsetzen. Gerade bei den rechts-regierten Staaten, wie Ungarn oder Polen, sind das schon sehr bedenkliche Aussichten.

Wenn die Urheberrechtsreform - trotz der Massenproteste - Ende März also verabschiedet werden sollte, haben die verschiedenen Mitgliedssaaten 24 Monate Zeit die neue EU-Richtlinie in die eigene Gesetzgebung zu integrieren und umzusetzen. Jedes Land bleibt dabei wie immer eigenverantwortlich. Falls die Reform in letzter Instanz durch den Druck der Kritiker noch kippen sollte, war die ganze Arbeit an dem Entwurf umsonst und die EU darf erneut an einer neuen dringend-benötigten Reform des Urheberrechts arbeiten. Falls es soweit kommt, hören die führenden Kräfte dann hoffentlich früher auf die Bedenken aus der Bevölkerung. Aber nun liegt das Schicksal der Reform erst einmal in der Hand der Abgeordneten im EU-Parlament. Egal wie es kommt, bei den kommenden Wahlen im Mai, haben alle Bürger noch die Chance ihre Schlüsse aus der Debatte zu ziehen.

Am 23. März werden zahlreiche Kritiker gegen die Umsetzung der umstrittenen EU-Urheberrechtsreform europaweit auf die Straßen gehen. Auch Wikipedia rief nun auf, die EU-Abgeordneten auf die Risiken des Entwurfes hinzuweisen.
21.03.2019 11:10 Uhr  •  Niklas Spitz Kurz-URL: qmde.de/108076