Nach einer quotentechnisch ordentlich erfolgreichen, aber inhaltlich problematischen ersten Staffel kehrt ProSiebens überfülltes Haus nun zurück. Wieder wird es eng, wieder ist es ein Graus für alle TV-Redakteure. So wie die Kandidaten stoßen klare Erzählstrategien an ihre Grenzen. «Get the F*ck» fordert die Nerven - von Bewohnern und Zuschauern. Und es hinterlässt Fragen.
Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet der einen Off-Kommentar sprechende Thore Schölermann, zur Zeit die Allzweckwaffe von ProSiebenSat.1 schlechthin, den Kernsatz der Sendung sprechen darf. Rund eine Stunde Nettosendezeit waren vergangen, als er beim x-ten Exit aus der Show ins Mikro sprach: “Interessiert auch keinen mehr. #ausziehenhalt.” Bitte, Danke.
Bella Ciao
Es war sicherlich einer der spannendsten TV-Neustarts des Jahres 2018 - ProSieben versuchte sich wieder an einem Reality-Format. 17 Jahre nach dem Start von «Big Brother» kam mit
«Get the F*ck Out Of My House» eine neue Voyeur-Show, die aber einen komplett anderen Ansatz wählte. Ein Ein-Familien-Haus wird mit 100 Bewohnern hoffnungslos überfüllt; wer als Letzter im Haus verbleibt, hat gewonnen. Das Grundkonzept bietet somit massig Raum für Strategie, Spaß, Streit und Spannung. Das wesentliche Problem in Staffel eins war aber: Die Teilnehmer agierten nicht im Sinne des Spiels: Der Zusammenhalt untereinander war unter dem Strich zu groß, die Produktion sah sich mehr und mehr gefordert und verwässerte das Grundprinzip durch Aufgaben und Spiele.
Dennoch: Mit Quoten zwischen 8,4 und 12,1 Prozent lief die Produktion von UFA Show & Factual so passabel, dass der Münchner Sender eine zweite Staffel bestellte. Vor dem Hintergrund, dass die ProSiebenSat.1-Gruppe ohnehin verstärkt auf Eigenproduktionen setzen möchte, schien die Reality-Show sich für eine Fortsetzung zu empfehlen, zumal die Produktion noch das ein oder andere Ass im Ärmel hatte.
Für die zweite Staffel wurden nun fünf prominente (Mit-)Bewohner verpflichtet - mit «Love Island»-Mike, «Bachelor»-Saskia, «Promi BB»-Natalie Osada sowie dem Musiker Martin Kesici griffen die Macher tief in die Kiste der Reality-erfahrenen TV-Sternchen. Mit Benson, einer Teilnehmerin der 2011er «Big Brother»-Staffel zog obendrein eine weitere Kandidatin mit “Haus”-Erfahrung in Deutschlands größte TV-WG. Außer Konkurrenz, weil nicht herauswählbar, gibt sich zudem Micaela Schäfer die Ehre - inklusive sämtlicher Witze, die sich im Zusammenhang mit dem #ausziehen machen lassen.
Genau das Ausziehen ist weiterhin das Problem des Formats. Um die zu nehmende Hürde zu verstehen, muss man vielleicht etwas tiefer in die generelle Materie eintauchen.
Kopf gegen Herz
Es ist zweifelsfrei richtig, dass ProSieben nach Jahren des «The Big Bang Theory»-Overkills lieber heute als morgen nach eigenständigen starken TV-Marken suchen muss, die eine echte Verbindung zum Sender schaffen. Während die Nerd-WG längst auch auf Netflix und Co. verfügbar ist, fehlen dem Sender neben «The Voice» und «Germany’s Next Topmodel» die ganz großen ProSieben-Originals in der Primetime. Eine gut gemachte Reality-Show käme hier sehr passend. Es spricht ja für sich, dass gerade Formate dieses Genres wesentlich zur Markenbildung bei anderen Programmen beitragen - sei es «The Biggest Loser» oder «Promi Big Brother» in Sat.1, die komplette «Bachelor»-Welt bei RTL oder aber «Love Island» bei RTL II. Dass das im Kern gute «Get the F*ck out Of My House» diesen Ansprüchen aber wirklich gerecht werden kann, muss mehr und mehr in Zweifel gezogen werden.
Die zur zweiten Staffel hin getroffenen Veränderungen am Konzept mögen auf dem Reißbrett noch Sinn ergeben haben, sie lösen aber grundsätzliche Probleme der Show nicht. Das Haus ist mit nun nur noch rund 63 Quadratmetern noch einmal erheblich kleiner geworden und bietet der Produktion wegen Alleinlage irgendwo im Nirgendwo noch weitere Vorteile als das in einem Wohnviertel stehende Haus aus Staffel eins. Die zusätzliche Enge hat den Schwierigkeitsgrad der Show zweifelsfrei verschärft. Genauso die Tatsache, dass sich 100 Leute ein Mini-Bad teilen müssen. Die entstehende WC-Problematik gleicht jedoch der aus Staffel eins. Nach etwas mehr als 50 Minuten zogen die ersten beiden Teilnehmer aus, nach einem Tag hatten bereits um die 15 die Produktion verlassen - somit blieben diesmal also noch 85 reguläre Bewohner, die dem Chaos in den vier Wänden trotzten. Denn Chaos herrscht auch in dieser Staffel, es ist ja auch Teil des Konzepts, schließlich soll der, der am meisten Chaos stiftet und gleichzeitig am Längsten durchhält, ja mit 100.000 Euro Siegprämie als Letzter das Haus verlassen. Nur bleibt der Zuschauer komplett auf der Strecke.
Promi-Bonus
Hier kommen nun die Promis ins Spiel. Die Macher versuchen die Geschichte diesmal anhand einiger weniger Kandidaten auf zu zäumen. Natürlich geht es nicht, dem Zuschauer 100 Teilnehmer näher zu bringen - so sind es also der direkt zu Beginn einen Fenstergriff abreißende Martin oder die prompt mit einer anderen Teilnehmerin knutschende Micaela die das Geschehen hauptsächlich bestimmen. In gewisser Weise verfehlen aber auch sie ihre Wirkung und so sind die Macher eher damit beschäftigt, einen Auszug nach dem nächsten zu erzählen. Noch 94, noch 93, noch 92, noch 91, noch 90…
Doch wen interessiert das wirklich? Zumal Strategien zum Überleben im Haus entweder wieder nicht stattfanden oder nicht erzählt wurden. Stattdessen war mehrfach die Rationierung von Toilettenpapier zu aller Wohl ein wesentliches Thema. International hat die Grundidee der Show nie den ganz großen Durchbruch geschafft - vermutlich aus gutem Grund.
Give Me Five
Theoretisch müsste die Handlung der Reality-Show konsequent und strikt aus der Sicht von maximal acht bis zehn Personen erzählt werden. Ein zweifelsfrei unglaublich radikaler Ansatz, der auch Nachteile bietet. 90 Kandidaten wären anfangs also namens- und gesichtsloses Beiwerk. Stringent durchgezogen, könnte das klappen. Die wären Gegner derer, die der Zuschauer näher kennenlernt. Insofern war der - in diesem Fall nicht konsequent durchgezogene - Ansatz mit der D-Prominenz grundsätzlich richtig. Doch auch er verwässert, weil wieder und wieder frisch ausgezogene Kandidaten gezeigt und interviewt werden. Noch 82, noch 81, noch 80, noch 79…
Gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht. Und so verstärkt sich der Eindruck, dass investiertes Geld und Mühe in einem besser strukturierten Grundformat besser aufgehoben werden zumal die Macher weiterhin am unnötig komplizierten Herauswahl-Verfahren festgehalten haben. Es soll sicherstellen, dass die Show eine festgelegte Maximal-Laufzeit hat. Unwirtschaftlich, freilich aber eher im Sinne des Konzepts wäre ein komplett offenes Ende, das dann auch den Experiment-Charakter unterstreichen würde.
Fazit: Trotz dem Drehen an ein paar Stellschrauben, die grundsätzlichen Hürden bei «Get the F*ck Out Of My House» sind weiterhin vorhanden. So lässt sich jetzt schon vorausahnen, dass man erst spät in der Staffel eine wirkliche Verbindung zu seinen Lieblingen wird aufbauen können - weitaus später als bei anderen Reality-Formaten. Das ist schade. Aber immer noch besser als nochmal «The Big Bang Theory».