Brennt's? Warum der Ruf nach einem deutschen CNN skurril ist

Mit Phoenix, ZDFinfo und tagesschau24 gibt es schon drei Informationsprogramme in der Sparte. Zuletzt wurden die Rufe nach einem reinen Nachrichtensender der Öffentlich-Rechtlichen lauter. Warum der Zeitpunkt kurios und das grundsätzliche Denken 2009 ist.

Paris, am 15. April abends: Rauchwolken sind über der Skyline zu sehen. Mitten im Herzen Frankreichs brennt mit Notre Dame einer der geschichtsträchtigsten Orte Europas. Dass das Großfeuer in Deutschland eine Debatte rund ums deutsche Nachrichten-Fernsehen ausgelöst hat, dürfte aber selbst den Glöckner wundern. Dass sich jetzt SPD-Frau Malu Dreyer etwa für einen reinen öffentlich-rechtlichen Nachrichtensender ausspricht, hat ihren Ursprung in der Tat im Feuer von Notre Dame. An jenem Abend nämlich hatten weder Das Erste noch das ZDF eine Sondersendung oder gar stundenlange Live-Berichterstattung auf die Beine gestellt. Später räumte man zwar Fehler ein, blieb aber dabei, dass in einem News-Special kaum Erwähnenswertes hätte erzählt werden können.

Aber: Noch mehr Menschen als ohnehin schon hätten den Flammen beim Lodern zugucken können. Es ist irgendwie Paradox: Ausgerechnet bei einem Großfeuer in Frankreich wird der Ruf nach flächendeckenden, öffentlich-rechtlichen Nachrichten laut. Und irgendwie typisch: Das Feuer und sein unkontrollierbares Wesen löst bei Menschen eine unglaubliche Faszination aus. Glauben Sie nicht? Dann fragen sie mal den örtlichen Feuerwehr-Chef, wie schnell und groß das Publikum auf den Gehwegen beim nächsten Feuer in Ihrer Stadt ist.

Steckbrief

Manuel Weis ist seit 2006 bei Quotenmeter und seit 2007 verantwortlicher Chefredakteur. Er ist somit in allen Bereichen der Seite im Einsatz. Nebenberuflich arbeitet er als freier Sportreporter mit Schwerpunkt auf Fußball, Eishockey und Boxen.
Über das große Feuer in der Kathedrale Frankreichs war in Deutschland nun aber nur bei n-tv und WELT geredet und spekuliert worden, tagesschau24 hatte für einige Momente zudem unkommentierte Live-Bilder aus Paris im Programm. Die Empörung war groß: Führende Journalisten und Politiker stellten die Frage, warum man einem solchen Abend CNN schauen müsse. Berechtigt und unberechtigt zugleich. Einerseits war ein reiner öffentlich-rechtlicher Nachrichtensender von der Politik bis dato nicht gewollt, andererseits verwundert es schon, warum dann Kanäle wie Phoenix oder tagesschau24 nicht mit einem Special einspringen können.

Malu Dreyer, rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin, bezeichnete einen öffentlich-rechtlichen Nachrichtensender kürzlich als „Herzlich Willkommen“. Richtigerweise verwies sie aber darauf, dass ARD und ZDF schon etliche Informationsprogramme in der Sparte betreiben. Etwa den Ereignissender Phoenix, der vor allem mit Parlamentsdebatten punktet, den Doku-Sender ZDFinfo oder eben tagesschau24, das vor allem tagsüber News in Dauerschleife bringt, aber nicht auf große Breaking-News-Situationen ausgerichtet ist. Dreyers Vorschlag nun ist, dass ARD und ZDF über die Ausgestaltung ihrer Spartensender selbst und flexibler als bisher entscheiden können. Die Antwort folgte zugleich: n-tv forderte in Form von Chefin Tanit Koch mehr Fairness im Wettbewerb gegenüber Privatsendern, WELT-Chef Dr. Thorsten Rossmann sieht obendrein jedes Zuschauerinteresse an Nachrichten schon jetzt ausreichend bedient.

Die Politik geht mit Dreyers Aussage streng genommen zwei wesentlichen Fragen aus dem Weg. Erstens: Braucht Deutschland ein weiteren News-Sender? Und Zweitens: Muss es zwingend ein zusätzlicher Kanal sein? Man möge noch einmal daran erinnern: Die Debatte nach öffentlich-rechtlichem Nachrichtenfernsehen kam nicht auf, nachdem ein Bundespräsident zurücktrat, sie kam nicht auf, als die CDU eine neue Vorsitzende wählte, sie kam nicht auf, als der Osten im Zuge der so genannten Flüchtlingskrise brodelte und sie kam auch nicht auf, als der Diesel-Skandal die deutsche Wirtschaft erschütterte. Sie kam auf, weil einige Fernsehzuschauer einem Großfeuer beim Brennen zuschauen wollten und weil drei Infoprogramme von ARD und ZDF so ausgerichtet sind, dass keine Sondersendung möglich war.

Per se ist das nicht schlimm, weil alles Wichtige und Notwendige vollumfänglich und kompetent von den werbefinanzierten WELT und n-tv abgebildet wurde. Dass Deutschland über den Dienst von tagesschau24 hinaus nun wirklich noch einen auf Specials und Breaking-News getrimmten Schlagzeilenkanal mit einer Eins im Logo braucht, ist somit doch eher zweifelhaft. Und wenn schon – dann steht zu befürchten, dass Macher und Politik (mal wieder) im Muster von 2009 denken.

Wirklich sinnvoll und zeitgemäß wäre es eher, Redaktionen wie «heute» und ARD-aktuell so aufzubauen, dass sie in Sondersituationen ohne großen technischen Schnick-Schnack als Livestream im Web, bei Facebook und innerhalb ihrer derzeit ja stark ausgebauten Mediatheken live gehen können. Natürlich verursacht das Kosten – und Geld ist bei den Öffentlich-Rechtlichen bekanntlich nicht in Masse vorhanden. Dann kann man aber trefflich darüber streiten, ob Deutschland einen Parallelbetrieb von Phoenix, ZDFinfo, tagesschau24 und 3sat bracht. Vermutlich hat nur noch keiner so innovativ gedacht. Das dürfte sogar den Glöckner wundern.
13.05.2019 10:39 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/109244