«Das Wichtigste im Leben»: Wir sind die neuen Biederen

Die neue, authentisch-diverse Familienserie ohne künstliche Dramen – das möchte VOX mit «Das Wichtigste im Leben» erreichen. Was es aber wurde: Ein Paradebeispiel der Biederkeit.

Cast und Crew

  • Regie: Till Franzen, Laura Lackmann, Stefan Bühling
  • Drehbuch: Richard Kropf (Chefautor), Elena Senft, Anneke Janssen
  • Darsteller: Jürgen Vogel, Bettina Lamprecht, Bianca Nawrath, Sidney Holtfreter, David Grüttner, Aleksandar Jovanovic, Lea Zoe Voss, Walter Kreye, Beatrice Richter, Nadja Becker, Denis Schmidt, Jascha Baum, Hendrik v. Bültzingslöwen.
  • Kamera: Timo Moritz, Pascal Schmit, Marco Uggiano
  • Schnitt: Benjamin Ikes, Robert Bohrer, Jens Müller
  • Musik: Jens Oettrich
  • Redaktion: Frauke Neeb
  • Produktionsfirma: Bantry Bay Productions
Erst waren da die kranken Teenies und ihre tragikomischen Erlebnisse. Als der «Club der roten Bänder» seine Pforten geschlossen hat, besuchte VOX das Land, in dem «Milk & Honey» fließen, alias: Eine Gegend, in der sich eine Gruppe von Freunden als "Männer für gewisse Stunden" verdingen. Beide VOX-Eigenproduktionen kommen aus dem Hause Bantry Bay, zwischen ihren Quoten liegen indes Welten. Wo sich «Das Wichtigste im Leben» quotentechnisch einpendelt, eher beim Megaerfolg «Club der roten Bänder» oder beim gefloppten «Milk & Honey», das steht selbstredend noch in den Sternen. Was sich aber schon jetzt abzeichnet: «Das Wichtigste im Leben» landet in einer entscheidenden Hinsicht tatsächlich näher an der Callboy-Serie als an der einfühlsamen Krankenhauserzählung. Denn wie schon «Milk & Honey», ist diese Dramaserie erstaunlich bieder geraten, obwohl die oberflächlichen Anzeichen anderes haben erhoffen lassen …

Im Mittelpunkt der Serie steht die Familie Fankhauser. Vater Kurt (Jürgen Vogel) und Mutter Sandra (Bettina Lamprecht) versuchen, den Familienfrieden stets aufrecht zu erhalten, doch aktuell ändert sich einfach zu viel. Sandra hat ihre Anläufe, eine Food-Influencerin zu werden, allesamt satt und will wieder einen richtigen Job angehen. Theo (David Grüttner), der jüngste Sohn, soll bald eingeschult werden, ist momentan aber emotional abgeschottet. Teenagerin Luna (Bianca Nawrath) ist in den Stiefbruder ihrer besten Freundin verknallt – und dabei kann die ihn auf den Tod nicht ausstehen. Und (Adoptiv-)Sohn Philipp (Sidney Holtfreter) hat nach Jahren der erfolgreichen Basketballkarriere die Schnauze voll davon und übt nun fürs Ballett …

Eine Familie, in der die Mutter (mit verhaltenem Erfolg) einen Foodie-Channel betreibt. Eine Familie, in der das älteste Kind adoptiert wurde, und im Gegensatz zum Rest der Familie schwarz ist, was im Familienverbund aber keinerlei Thema darstellt. So, wie es sein sollte. Der jüngste Sohn wirkt so, als könnte er auf dem Spektrum sein, wird aber von Verwandten exakt so geliebt, wie er ist. So, wie es sein sollte. An der Oberfläche erweckt «Das Wichtigste im Leben» den Anschein, eine moderne Wiederbelebung der klassischen deutschen Familienserie zu sein, die ohne Krimielemente und Mysterien schlicht vom Leben einer Familieneinheit erzählt. Nur, dass nicht die drölfzigtausendste Vater-Mutter-Kind-Kind-Familie aus dem romantisierten Mittelstand behandelt wird, die das Gütesiegel des Heimatministeriums für deutsch-ersponnene "Normalität" erhalten könnte. Sondern eine, die die heutige Realität widerspiegelt.

Aber was eine Serie über die Normalität jener Familienentwürfe sein könnte, die ignorante Pöbelpolitiker noch heute verteufeln, ist letztlich eben kein deutsches «Modern Family». Es ist nicht einmal die deutsche Entsprechung der hoffnungsvollen, dennoch tränenzieherischen US-Hitserie «This is Us», die ebenfalls das Genre der Familienserie an heutige Sehgewohnheiten anpasst. «Das Wichtigste im Leben» ist stattdessen die neue televisionäre Biederkeit.

So wird der Handlungsfaden um Philipps Tanzambitionen mit der Piefigkeit früherer Jahrzehnte angepackt: Der Papa ist dagegen, weil er lieber einen Sportler hätte. Und auch die Frauen in der Familie müssen sich bezüglich Philipps Träume zunächst das Grinsen verkneifen. Wie schon Tausende Serien zuvor hat auch «Das Wichtigste im Leben» für die Teenie-Tochter nichts Spannenderes zu erzählen als "Sie liebt wen, den sie nicht lieben sollte, weil manche ihn nicht mögen". Nur, dass sie währenddessen viel am Handy herumhängt, was in Sachen Modernisierung alter Serienplots «Das Wichtigste im Leben» von "Bis in die späten 90er-Jahre hinein" gerade so ins neue Jahrtausend holt.

Weitere Plotfäden und Handlungsfragmente in den ersten vier «Das Wichtigste im Leben»-Episoden? Die Familie mag die gesunde Küche von Frau Mama nicht. Frau Mutter wäre gern mehr als nur Hausfrau, bekommt aber nur sporadische Unterstützung bei der Umsetzung ihres Plans. Und natürlich darf der Besuch bei den Großeltern nicht fehlen, die sich über das imperialistisch-amerikanische Naschwerk-Mitbringsel (einen Apple Crumble?!) mokieren. Der neu erworbene Familienhund ist entlaufen, weshalb "Wir suchen unseren Hundi"-Flyer in der Nachbarschaft aufgehangen werden. In einer von süßlicher Hintergrundmusik zugekleisterten Szene schlachtet der Benjamin der Familie sogar sein Sparschwein, um mit seinem Ersparten den versprochenen Finderlohn aufzustocken.

Es ist nicht so, als sei diese Spießigkeit der Figuren das übergreifende Thema der Serie, als wäre es die These von «Das Wichtigste im Leben», dass auch modernere Familienentwürfe in alte Muster verfallen können. Nein, das Autorenteam zieht diese altbackenen Plotfäden uninspiriert und geradlinig durch, ohne zweite Ebene und nur mit raren frischeren Elementen. Ein Einschulungsberatungsgespräch über den verschwiegenen Theo touchiert etwa zwischen den Zeilen Themenkomplexe wie Helikoptereltern und institutionalisierten Rassismus. Schlussendlich verharrt die Sequenz aber im "Die Eltern mit Durchblick kämpfen gegen bürokratische Windmühlen"-Trott.

Nicht, dass alteingesessene Familiensorgen keinen Platz mehr im Fernsehen hätten oder eine Serie direkt schlecht wäre, nur weil sie auf ausgetretenen Pfaden wandelt. Aber wenn es an zeitgemäßen Ansätzen und Innovation mangelt, muss umso mehr die Umsetzung überzeugen, um dem Format einen Einschaltgrund mitzugeben. Doch auch dahingehend unterwältigt «Das Wichtigste im Leben».

Die erfahrenen Schauspielgrößen Vogel und Lamprecht setzen das austauschbare Material mit routinierter Souveränität um, die Jungschauspieler derweil sind mimisch blass bis anstrengend-hölzern. Vielleicht klimpert und sülzt die Hintergrundmusik daher immer so intensiv: Beim hypothetischen Versuch, die schauspielerischen Schwächen des jungen Casts auszugleichen, schießt die Musik allerdings über das Ziel hinaus: Ein Geschwistergespräch über den entlaufenen Hund wird beispielsweise mit tragischer Pianomusik untermalt, als ginge es um den Tod der Großeltern.

Diese akustische Übertreibung verkitscht das visuell sehr unauffällige, dezent ausgebleicht auftretende Format ungemein. Angesichts der Beteiligung Laura Lackmanns an der Serie, besteht ja die dezente, kleinlaute Hoffnung, dass die träge Biederkeit der ersten vier «Das Wichtigste im Leben»-Episoden eben doch Methode hat. Und dass die Serie nach den vorab der Presse zur Verfügung gestellten Folgen eine packende Wendung durchmacht – ähnlich wie Lackmanns brillanter Kinofilm «Zwei im falschen Film». Doch, sind wir ehrlich: Lackmann wird als Episodenregisseurin wohl kaum denselben Einfluss auf die neue VOX-Eigenproduktion haben wie auf ihre eigene Leinwandarbeit. Schade.

Fazit: Piefig, träge und bieder: Familien-Lappalien und schwerfällig-altbacken behandelte Themen mit Relevanz lassen «Das Wichtigste im Leben» wie ein Relikt aus vergangenen Fernsehzeiten wirken. Was vielleicht Retro-Charme haben könnte, wird jedoch spätestens durch die dröge Optik und die verkitschte Begleitmusik zur Geduldsprobe.

«Das Wichtigste im Leben» ist immer mittwochs ab 20.15 Uhr auf VOX zu sehen. Und zwar in Doppelfolgen.
05.06.2019 11:17 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/109842