"Ich will nicht nach Berlin!" sang schon Kraftklub. Nach 120 quälenden Minuten von «Berlin, I Love You» schließen wir uns dem an.
Filmfacts: «Berlin, I Love You»
- Start: 8. August 2019
- Genre: Romanze/Drama
- Laufzeit: 120 Min.
- FSK: 6
- Kamera: Kolja Brandt
- Musik: Tom Batoy, Franco Tortora
- Buch: Fernando Eimbcke, Justin Franklin, Dennis Gansel, Dani Levy, Massy Tadjedin , Gabriela Tscherniak
- Regie: Dianna Agron, Peter Chelsom, Fernando Eimbcke, Justin Franklin, Dennis Gansel, Dani Levy, Daniel Lwowski, Josef Rusnak, Til Schweiger, Massy Tadjedin , Gabriela Tscherniak
- Darsteller: Keira Knightley, Helen Mirren, Robert Stadlober, Toni Garrn, Mickey Rourke, Diego Luna, Jim Sturgess, Luke Wilson, Veronica Ferres, Sibel Kekilli
- OT: Berlin, I Love You (DE 2018)
«Paris, je t’aime» legte 2006 den Grundstein für eine Reihe von Episodenfilmen, die mehrere mal komische, mal tragische Kurzgeschichten in einer bestimmten Weltmetropole erzählen: die «Städte der Liebe»-Reihe. Zwei Jahre später ging es mit «Tbilisi, I Love You» weiter. Noch ein Jahr später mit «New York, I Love You». Gefolgt von «Rio, I Love You» 2014 und nun eben «Berlin, I Love You». Davon, den „Ich liebe dich“-Nachsatz für die weltweite Vermarktung in der jeweiligen Landessprache im Titel unterzubringen, ist man ebenso schnell abgekommen wie von der Verpflichtung namhafter Regisseure. Für die Paris-Variante standen noch so klanghafte Namen wie die Coen-Brüder («The Ballad of Buster Scruggs»), Alexander Payne («Nebraska») oder Alfonso Cuarón («Gravity») hinter der Kamera. Für «New York» Fatih Akin («Der goldene Handschuh») und Albert Hughes («Broken City»). Das bekannteste Regie-Gesicht von «Rio, I Love You» war derweil John Turturro («Plötzlich Gigolo») und dass für «Berlin, I Love You» nun unter anderem Til Schweiger auf dem Regiestuhl Platz genommen hat, dürfte außerhalb Deutschlands kaum Jemanden interessieren. Das gilt übrigens auch für die Geschichten an sich.
«Berlin, I Love You» sorgte bereits aufgrund seines klischeebehafteten Trailers, der die deutsche Hauptstadt im gefälligen Touristenlook abbildete, für allerlei Gelächter. Diesen Eindruck bestätigt das Gesamtbild. «Berlin, I Love You» ist eine Katastrophe.
Berlin, wie man's von der Postkarte kennt
Die Besprechung eines Episodenfilms ist immer ein wenig tricky. In der Regel möchte man ja sowohl dem Gesamtkunstwerk eine faire Bewertung zukommen lassen, als auch die einzelnen Episoden selbst für sich stehend beurteilen. Diese weichen qualitativ nicht selten stark voneinander ab. Nicht so bei «Berlin, I Love You». Hier erstreckt sich das Spektrum der einzelnen Regiearbeiten von mangelhaft bis katastrophal. Und gleich in mehreren Fällen sind die fertigen Projekte gar wie ein übergroßer Stinkefinger zu verstehen, als hätte man ohnehin von Anfang an nicht viel von dem Projekt gehalten. Am ehesten eine eigene Idee von der Stadt Berlin als kinematografischem Schauplatz offenbart direkt die erste Episode, in der sich «Hectors Reise oder Die Suche nach dem Glück»-Regisseur Peter Chelsom an seiner ganz eigenen Variante von «Knight Rider» probiert. Katja Riemann («Fack ju Göhte») gibt in bester K.I.T.T.-Manier die AI eines BMWs, die ihrem selbstmordgefährdeten Fahrer noch einmal die ganze Schönheit Berlins zeigen will, um ihm zu zeigen, wie lebenswert das Leben ist.
Da sich hier aber bereits bestätigt, was sich in der Vorschau andeutete – nämlich, dass der Filmemacher außer der Siegessäule und dem Brandenburger Tor keine anderen schönen Orte in der City kennt – wirkt diese Episode gleichsam wie eine Parodie. Immerhin: Der Wille zur Geschichte ist da, wenn auch mangelhaft umgesetzt und so penetrant sonnendurchflutet, dass man den Kitsch aus der Leinwand hervortriefen zu sehen glaubt.
Eine aufdringliche Bildsprache ist ja eigentlich eher das Markenzeichen von «Tatort»-Kommissar und Feuilletonistenfeind Til Schweiger («Klassentreffen 1.0.»), sodass wir uns als nächstes seiner Episode widmen wollen, obwohl seine Regiearbeit in «Berlin, I Love You» erst um einiges später stattfindet. Eröffnet wird diese in der Bierwerbespot-Umgebung einer Bar, an der sich Model und Nachwuchsschauspielerin Toni Garrn mit Oscar-Nominee Mickey Rourke («The Wrestler») unterhält. Dieser gibt ihr nicht bloß ungefragt Stylingtipps, weil er findet, dass sein Gegenüber keinen Hosenanzug tragen sollte („Das wirft die Frauenbewegung um 50 Jahre zurück!“). Er macht sich auch noch so aufdringlich an sie ran, dass man sich spätestens dann im Kinosessel windet, als die von der Charmeoffensive des Herren sichtlich genervte junge Frau plötzlich doch auf dessen Avancen eingeht. Das kommt natürlich nicht von ungefähr; Til Schweiger hat für seine Episode einen Twist in petto, der so dummdreist und bescheuert ist, dass man sich wünscht, Jemand hätte ihm das Skript zu der Geschichte vorher um die Ohren gehauen.
Gleichzeitig zieht der erfolgreiche Filmemacher seine ganz eigene Idee von weiblicher Selbstbestimmung so konsequent durch, dass man sie für kalkulierten Tabubruch, ja, sogar Satire halten könnte, hätte er sie nicht derart geradlinig und somit plump umgesetzt. Sollte das hier tatsächlich mal als eine subtile und gesellschaftspolitische Genderbotschaft gedacht gewesen sein, dann ist sie der mangelhaften Umsetzung zum Opfer gefallen.
Frechheit siegt!
Apropos Emanzipation, apropos Tabubruch, apropos #MeToo: Dieses heiße Eisen aufzugreifen, war man sich ebenfalls nicht zu schade. Und so darf Veronica Ferres («Unter deutschen Betten») gemeinsam mit einigen Kolleginnen eine fragwürdige Musicaleinlage schmettern, um es einem schmierigen Weinstein-Verschnitt so richtig schön heimzuzahlen. Dass das ausgerechnet in einem Waschsalon stattfindet und die Damen dabei alle viel zu glücklich aussehen, als dass sich ihr Appell ernstnehmen ließe, wirkt beschwichtigend, fast verstörend. Dagegen fehlt es der Episode von «Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer»-Regisseur Dennis Gansel einfach nur an erzählerischem Wumms. Sein «Embassy» betitelter Kurzfilm wäre wohl gern eine Art Verschwörungsthriller, in der eine junge Taxifahrerin durch Zufall hinter die geheimen Machenschaften eines Großkonzerns und dessen Feinde kommt. Doch aufgrund des geringen Budgets sieht man Hauptdarstellerin Sibel Kekilli («Game of Thrones») leider ausschließlich Taxi fahren und nebenbei verschwörerische Sätze aufsagen – da sind selbst die Ermittlungen der «Drei Fragezeichen» spannender.
Immerhin: Gansel holt auch aus dem reduzierten Setting das Optimum an Leinwandausmaße heraus. Seine Episode sieht gut aus und birgt immerhin das Potenzial für etwas, was man sich auch in Spielfilmlänge anschauen würde. Sie ist klar die beste.
Bleiben noch die Beiträge von Massy Tadjedin («Last Night»), Dianna Agron («Glee») und der das alles zusammenhaltende Handlungsstrang von Josef Rusnak («The 13th Floor»), der eine zurückhaltende Liebesgeschichte zwischen einem Pantomimen und einer Straßenmusikerin erzählt. Die haben manchmal Stars (Helen Mirren, Keira Knigtley, Luke Wilson…), sehen mal ganz okay aus (Stichwort: Max-Raabe-Konzert), aber nehmen einander nichts in Sachen Oberflächlichkeit und Langeweile. Mal geht es um das Thema Flüchtlinge, mal um Burnout oder darum, einfach nur das Leben zu genießen – zum Beispiel ganz stilecht beim Puppentheater im Park. Wenn am Ende dann auch noch alle Figuren aus allen Episoden im Berliner Mauerpark zusammenkommen, um sich während des Abspannes gemeinsam in Ekstase zu tanzen, dann ist es ganz egal, ob man aus Berlin kommt oder nicht: In die Hauptstadt zieht einen vorerst nichts mehr.
Fazit
Außer die hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibende Episode von Dennis Gansel ist alles an «Berlin, I Love You» scheußlich.
«Berlin, I Love You» ist ab dem 8. August in den deutschen Kinos zu sehen.