Am Dienstagabend startet VOX ein neues Format, in dem sich Reporterin Pia Osterhaus in einen Selbstversuch begibt. Die Sendung ist spannend erzählt und authentisch gemacht, trotzdem kommt sie zumindest dem geneigten RTL-Zuschauer recht bekannt vor. Unsere TV-Kritik…
Es gibt wenige Extrem-Situationen, in die sich Jenke von Wilmsdorff noch nicht begeben hat. Für seinen Haussender RTL hat er sich schon vor laufender Kamera mit Alkohol volllaufen lassen und ist zum Kiffen in die Niederlande gefahren. Er hat sich als Frau verkleidet, das Leben im Rollstuhl beleuchtet, ein Sterbehospiz besucht, um dem Thema Tod eine Bühne zu geben, und mit Obdachlosen auf der Straße absolute Armut erfahren. In seinem persönlichsten Experiment versuchte er sogar unlängst, sich das Rauchen abzugewöhnen.
Dass die bislang letzte Folge vom «Jenke-Experiment» knapp ein Jahr zurückliegt, hat weniger mit Kritiken und Quoten zu tun. Die fielen in der Regel sehr gut aus. Vielmehr gibt es inzwischen einfach nur noch wenig, was Jenke im Selbstversuch nicht gemacht hat. Schon beim Experiment zum Thema Massentierhaltung wurde deutlich, dass sich die Reihe mit dem RTL-Reporter nicht endlos fortführen lässt. Damals fuhr Jenke unter anderem in einem vollbepackten Laster mit kleinen Schweinen mit - eindrucksvoll, aber irgendwie doch skurril.
Pia Osterhaus versucht es in ihrer neuen Experiment-Reihe bei VOX dankenswerter Weise gar nicht erst, die «Jenke-Experimente» der vergangenen Jahre zu überbieten. In Folge eins ihrer Reportage-Reihe
«Pia - Aus nächster Nähe» widmet sie sich stattdessen dem Thema Fremdgehen, was angesichts der vielen scheiternden Ehen in Deutschland keine schlechte Idee zu sein scheint. Wie im «Jenke-Experiment» versucht sie, das Thema möglichst persönlich aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten.
So meldet sich Osterhaus, die eigentlich seit einigen Jahren in einer Beziehung ist, bei einem Fremdgeh-Portal im Internet an. Es dauert nicht lange, bis ihr Postfach von Anfragen überschwemmt wird. Osterhaus trifft sich mit zwei verheirateten Männern und findet bei ihren arrangierten Dates einiges spannende über die Motivationen der Untreuen heraus. Das ist vielleicht nicht besonders überraschend, ermöglicht aber eine authentische Innensicht ins Thema. Pia Osterhaus‘ Kameramann meldet sich ebenfalls bei der Datingseite an und trifft eine untreue Frau, wodurch das Thema auch aus Sicht des anderen Geschlechts beleuchtet wird.
Zur Person: Pia Osterhaus
Pia Osterhaus wurde 1982 in Düsseldorf geboren, wo sie später auch Anglistik mit Nebenfach Informationswissenschaften studierte. Zwischen 2005 und 2007 war sie auf der "RTL Journalistenschule". In den vergangenen Jahren arbeitete Osterhaus unter anderem schon für «Goodbye Deutschland! - Die Auswanderer» (VOX), «Extra» (RTL) und «Team Wallraff - Reporter Undercover» (RTL).
Viel Zeit bekommt in der Auftaktfolge die Recherche der Reporterin in einem Bordell eingeräumt, bei der dem Zuschauer vor allem ein Gespräch mit einem der Freier in Erinnerung bleiben dürfte. Er zeigt sich als Einziger unverpixelt vor der Kamera und gibt zu, dass seine Freundin über seine Besuche in FKK-Clubs Bescheid wisse. „Hier ist nur der Spaß“, bekräftigt der Mann gegenüber der etwas ungläubigen Osterhaus und dürfte damit beim einen oder anderen Zuschauer zumindest Stirnrunzeln auslösen. Andererseits ist der Mann - bezogen auf das Thema der Sendung - ein sehr spannender Gesprächspartner.
Mag das Bordell als Setting noch relativ naheliegend sein, dürfte den meisten ein „Seitensprungzimmer“ nicht sagen. Pia Osterhaus besucht eine entsprechende Einrichtung in Dresden, die das Fremdgehen leicht denn je machen soll und unterhält sich mit der Betreiberin. Die verschiedenen Herangehensweisen an ein und dasselbe Thema sind ein klarer Pluspunkt für die Sendung, hier hat das Team von infoNetwork zweifellos gute Recherchearbeit geleistet. Im weiteren Verlauf kommt noch eine betrogene Frau zur Sprache und berichtet von ihrem persönlichen Leid. Mit diesen verschiedenen Ansätzen schafft es Pia tatsächlich ziemlich gut, nach 60 Minuten allerhand Aspekte beleuchtet zu haben. Damit ist der Zuschauer zweifelsfrei um ein paar Erkenntnisse reicher.
Und trotzdem drängt sich über die gesamte Laufzeit der Sendung der Vergleich zum «Jenke-Experiment» geradezu auf - obwohl Jenke selbst das Thema Fremdgehen noch nicht beackert hat. Los geht es schon bei der persönlichen Erzählweise, «Pia -Aus nächster Nähe» lebt nämlich von den Dialogen, die die Reporterin mit ihrem Kameramann Jürgen Lindemann führt. Was auf der einen Seite eine sympathische und authentische Atmosphäre erzeugt, hat auf der anderen Seite zur Folge, dass keinerlei Abgrenzung zum «Jenke-Experiment» stattfindet. Der größte Unterschied zum RTL-Format dürfte die persönliche Erzählweise Pias aus weiblicher Sicht sein, sonst ist vieles ähnlich bis gleich.
Die entscheidende Frage für VOX ist damit, ob die offensichtlichen Parallelen überhaupt schlimm sind. Mit einer Sendung wie dem «Jenke-Experiment» verglichen zu werden, ist ja per se nicht schlecht und kann durchaus auch als Kompliment aufgefasst werden. Positiv ausgedrückt zeigt es letztlich auch, dass die Verantwortlichen eine Menge richtig gemacht haben. Dass Selbstversuche in der Mediengruppe RTL auch von anderen Mitarbeitern als Jenke erfolgreich angegangen werden können und dabei trotzdem spannend bleiben. Sollte sich das Montagspublikum von RTL möglichst klar von dem Dienstagspublikum von VOX unterscheiden, wäre die Ähnlichkeit sogar vollkommen unbedenklich.
Größer könnten die Schwierigkeiten aber ohnehin in den nächsten drei Wochen werden. Mag sich die erste Folge noch ein bislang unbeackertes Thema gewählt haben, wird es in den weiteren Folgen von «Pia» um Alkohol, Körperkult und Armut gehen. Alle drei Themen hat in den vergangenen Jahren Jenke schon sehr erfolgreich und umfassend beackert. So gut «Pia - Aus nächster Nähe» auch ist: Am Ende bleibt der Eindruck hängen, dass VOX mit seinem Neustart schlicht ein paar Jahre zu spät dran ist.
VOX zeigt «Pia - Aus nächster Nähe» erstmals am Dienstag, 9. Juli, um 22.15 Uhr. Drei weitere Folgen laufen in den Wochen darauf auf gleichem Sendeplatz.