Luc Besson greift in seinem Spionagethriller «Anna» ein weiteres Mal auf das Motiv einer resoluten Kämpferin zurück, hier in Form der bildschönen Schauspieldebütantin Sasha Luss.
Filmfacts: «Anna»
- Start: 18. Juli 2019
- Genre: Action/Thriller
- Laufzeit: 119 Min.
- FSK: 16
- Kamera: Thierry Arbogast
- Musik: Éric Serra
- Buch & Regie: Luc Besson
- Darsteller: Sasha Luss, Helen Mirren, Luke Evans, Cillian Murphy, Lera Abova
- OT: Anna (FR/USA 2019)
Ist die Zeit von «Léon – Der Profi»-Regisseur Luc Besson vorbei, oder nimmt er nur Anlauf, um nach missratenen Fingerübungen wie «Lucy» oder der Big-Budget-Katastrophe «Valerian» wieder an alte Erfolge anzuknüpfen? Anhand seines neuen Filmes «Anna» deuten die Zeichen eher auf Ersteres hin, denn so stilsicher der gebürtig aus Paris stammende Filmemacher die Actionszenen seines Agententhrillers inszeniert (und damit durchaus an Karriereglanzpunkte wie «Léon», «Nikita» und «Das fünfte Element» anknüpft), so sehr scheitert sein als Drehbuchautor an den Tag gelegter Wagemut an den großen Dimensionen, die Besson hier anvisiert. Im Mittelpunkt steht ein junges Model, gespielt von der auch in Wirklichkeit im Mode- und Tanzbusiness ansässigen Newcomerin Sasha Luss, die bereits für High-Fashion-Modemarken wie Chanel und Dior tätig war und hier ihre erste Kinohauptrolle verkörpert. Luc Besson schickt Luss in «Anna» einmal rund um den Erdball, wo sie sich bis an die Zähne bewaffnet gegen knallharte Widersacher zur Wehr setzen muss, ohne das je irgendwie gewollt zu haben – «Nikita» oder auch «Red Sparrow» lassen grüßen.
Doch nach einer klassischen Spionagegeschichte schien Besson nicht der Sinn gewesen zu sein. Stattdessen reißt er nebenbei auch noch die Genres der Modesatire («The Neon Demon» in weitaus weniger bissig, dafür gequält lustig), der Romanze und des Dramas an, vermengt alles zu einem unausgegorenen Brei und am Ende bleiben vor allem Erinnerungen daran zurück, dass wohl in keinem Film jemals so oft und so unfokussiert durch die Zeit gesprungen wurde, wie in «Anna».
Vom Model zur Agentin
Hinter Anna Poliatovas (Sasha Luss) atemberaubender Schönheit versteckt sich ein Geheimnis: Sie ist nicht nur eines der gefragtesten Models in Paris, die junge Russin besitzt auch einzigartige Fähigkeiten, die sie zu einer der weltweit gefürchtetsten Killerinnen des KGB macht. Als der CIA-Chef Lenny Miller (Cillian Murphy) die schöne Frau ins sie ins Visier nimmt und ihre tödlichen Fähigkeiten für ihre Zwecke missbraucht, verstrickt Anna sich zunehmend in einem Netz aus Lügen und Intrigen, aus dem es scheinbar keinen Ausweg gibt. Wem kann sie trauen? Dem KGB und allen voran der resoluten Olga (Helen Mirren)? Der CIA? Am Ende wohl vor allem sich selbst...
In den ersten 40 Minuten springt die Handlung von «Anna» so oft hin und her, dass Luc Besson dieses erzählerische Stilmittel regelrecht der Lächerlichkeit preisgibt. „Zwei Jahre zuvor“, „Fünf Monate später“, „Drei Jahre vorher“ und so weiter und so fort – dem Leinwandgeschehen irgendwann nicht mehr folgen zu können, ist hier kein Eingeständnis von fehlender Aufmerksamkeit, sondern eine Folge der fehlenden Koordination. Dabei macht es im weiteren Verlauf des Films eigentlich an mehreren Stellen Sinn, dass man einige Geschehnisse erst im Nachhinein anderer Ereignisse entlarvt; schließlich weiß im Spionagebusiness selten eine Hand was die andere tut und im Hintergrund werden Pläne geschmiedet, deren Funktionalität sich erst infolge anderer Pläne ergibt. In der ersten Hälfte von «Anna» ist dieses Spiel mit vermeintlichen Wissenslücken allerdings noch überhaupt nicht zielführend – und die Gründe für die vielen Zeitsprünge sind alles andere als ersichtlich.
Würde man die Geschichte von der aus Proletariatsverhältnissen stammenden, später als Model Erfolge feiernden und letztlich als Spionin angeheuerten Titelheldin in chronologischer Reihenfolge erzählen, enthielten die Ereignisse nicht weniger Aussagekraft als jetzt; im Gegenteil. Erst wenn sich im letzten Drittel aus demselben Stilmittel unvorhergesehene Wendungen ergeben, macht seine Verwendung Sinn. Doch hier hat Besson das Ganze längst überstrapaziert.
Nach der konfus konstruierten ersten Dreiviertelstunde lässt es das von Luc Besson selbst geschriebene Skript deutlich gemächlicher angehen. Die Verstrickungen der Agentin Anna in allerlei Aufträge für den KGB setzt der Regisseur gewohnt stylisch in Szene; und über dieses Element hebt er «Anna» zumindest zeitweise über den Durchschnitt hinaus. Wie die resolute Schönheit hier im Alleingang eine ganze Restaurantgesellschaft ausschaltet (die Szene ist sehr ausführlich im Trailer zu sehen), ist nur ein Beispiel dafür, dass Besson sein Handwerk noch immer versteht. Und auch Sasha Luss macht eine äußerst ansprechende Figur als knallharte Kämpferin. Gleichzeitig stehen derartigen (Action-)Szenen aber auch Momente der Komik gegenüber, die sich im Umfeld des Spionageplots wie Fremdkörper anfühlen. Wann immer wir Anna als Model erleben, erinnert der Film plötzlich an Modesatiren wie Nicolas Winding Refns «The Neon Demon» – etwa, wenn die Hauptfigur in einer Szene ihren schmierigen Fotografen vorführt oder man ziemlich zu Beginn hinter die Kulissen einer Model-WG blicken darf.
Doch den erzählerischen Biss einer Satire erreicht «Anna» in derartigen Szenen nie, auch wenn man gestehen muss, dass es Besson hier immerhin riskiert, aus seinem gewohnten Metier auszubrechen. Ansonsten hält er für seine Figuren nämlich nur Spythriller-Standardplots bereit. Das gilt sowohl für die Auftrage, die späteren Verstrickungen zwischen den verschiedenen Geheimdiensten als auch für den arg klischeehaften Background, den er für Anna bereithält. Irgendwie hat man all das eben schon zigfach gesehen…
Die stets in edelste Stöffchen gehüllte Sasha Luss zeigt sich in den Actionszenen tough, wirkt als Schauspielerin allerdings noch sehr unsicher – und das über die Charakterzeichnung ihrer ins kalte Wasser geworfenen Agentin hinaus. Die starre Mimik des ehemaligen Models lässt einen nur selten überhaupt Gefühlsregungen im Gesicht der 27-Jährigen erkennen; der Rest des Ensembles hat unter den eindimensional geschriebenen Stereotypen zu leiden, die jeder Einzelne von ihnen verkörpert. Helen Mirren («Die Frau in Gold») hat in der Vergangenheit bewiesen, dass ihr die Darstellung von Nebenfiguren in Blockbuster-Spektakeln à la «Fast & Furious 8» Spaß macht. Hier hingegen wirkt ihre Performance der mit breitem russischen Akzent ausgestatteten KGB-Agentin wie heruntergerattertes Business as usual. Cillian Murphy («Dunkirk») und Luke Evans («Ma») spielen ebenfalls gerade so routiniert, aber ohne jeden Anflug von Passion, wie es das Skript verlangt. Einziger Lichtblick: Lera Abova gibt hier ihr Schauspieldebüt als Annas Love Interest Maud. Und wenn diese in einer Szene vom CIA verhört und bedroht wird, dann steht ihr die Angst um sich und ihre große Liebe genauso glaubhaft ins Gesicht geschrieben, wie ihre Freude über die neue Wohnung, die sie ab sofort mit Anna teilen wird.
Es ist schon erschreckend wie wenig Leben in einem Film stecken kann, in dem eigentlich in jeder Szene etwas passiert und in dem die Macher doch das wenigste Interesse für ihre Figuren übrig haben. Und das, wo doch der Film sogar den Namen einer von ihnen trägt.
Fazit
Luc Besson denkt groß, erzählt letztlich aber eine Geschichte, die es auf der Leinwand schon dutzendfach zu sehen gab. Dabei verheddert sich der Filmemacher in Details und Ideen, die seinen Actionthriller wie ein unkoordiniertes Sammelsurium, nie aber wie einen runden Film erscheinen lassen. Abgesehen von Kostümen und einigen aufwändig inszenierten Actionszenen bleibt am Ende nur die große Ernüchterung.
«Anna» ist ab dem 18. Juli in den deutschen Kinos zu sehen.