Tarantinos wehmütige Los-Angeles-Mär: «Once Upon a Time in Hollywood»
Kultfilmer Quentin Tarantino wird altersmild: «Once Upon a Time in Hollywood» ist ein "Abhängfilm" über eine keineswegs perfekte, aber rein oberflächlich reizvolle Zeit.
Filmfacts «Once Upon a Time in Hollywood»
Regie und Drehbuch: Quentin Tarantino
Produktion: David Heyman, Shannon McIntosh, Quentin Tarantino
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Brad Pitt, Margot Robbie, Emile Hirsch, Margaret Qualley, Timothy Olyphant, Austin Butler, Dakota Fanning, Bruce Dern, Al Pacino, Kurt Russell
Kamera: Robert Richardson
Schnitt: Fred Raskin
Laufzeit: 161 Minuten
FSK: ab 16 Jahren
Selbst ein Quentin Tarantino wird nicht jünger. Als junger Wilder hat er in den 1990er-Jahren das Filmgeschäft aufgewirbelt. Der Nischenerfolg «Reservoir Dogs» sorgte mit seinen popkulturversetzten Dialogen und seinen schneidigen Gewaltspitzen für Furore. Der Kulthit «Pulp Fiction» ließ das Publikum neu über Erzählkonventionen nachdenken und verdrehte mehrfach das Leinwandimage von Gangstern: Tarantino entmystifizierte sie, ließ sie über Banalitäten wie Fußmassagen und McDonald's-Produkte reden, aber schaffte es, genau dieses Nichts cool aussehen zu lassen. In den frühen 2000ern zelebrierte Tarantino dann das Referenzieren in Hochkultur, vermengt mit stylischer Gewalt: In «Kill Bill» zeigte sich Tarantino so kinetisch wie sonst nie.
Nach «Kill Bill» folgten das mit Robert Rodriguez verantwortete Meta-Epos «Grindhouse», der eloquente Geschichtsrevisionismus «Inglourious Basterds» und der kathartische Rache-Sklavereiwestern «Django Unchained», ehe sich der Filmemacher erstmals konkret über seinen Ruhestand äußerte: Nach zehn Langfilmen wolle er Schluss machen. Schon Film acht zeigte daraufhin einen gewissen Alterungsprozess des zweifachen Oscar-Preisträgers: «The Hateful Eight» ist ein Kammerspiel-Schneewestern mit Agatha-Christie-Erzählmechanismus. Der Film suhlt sich in Gewaltexzessen und schnippisch-juvenilen Monologen, geht aber auch härter mit seinen handelnden Figuren ins Gericht als von Tarantino gewohnt: «The Hateful Eight» ist eine bittere Abrechnung mit der Gewaltversessenheit und der Rachementalität der USA.
Film neun zeigt Tarantino geradezu altersmild und wehmütig: «Once Upon a Time in Hollywood» ist ähnlich gemächlich erzählt wie Tarantinos oftmals vergessener, dritter Langfilm, «Jackie Brown». Wie schon in Tarantinos Elmore-Leonard-Adaption stehen hier Figuren im Fokus, die über ihr Alter reflektieren, sowie darüber, ob sie noch einen Platz in der Welt haben. Nur, dass dieses Mal eine andere Resonanz vorherrscht, ein metafiktionaler Widerhall: So, wie Brad Pitts Figur Lieutenant Aldo Raine in «Inglourious Basterds» für Tarantino spricht, wenn er zufrieden in die Kamera grinst und anmerkt "This just might be my masterpiece", hallt auch dieses Mal mehrmals Tarantinos Selbstreflexion mit den Textzeilen. Etwa, wenn Leonardo DiCaprio als Ex-Westernstar Rick Dalton, der seine Rolle im sich wandelnden Mediengeschäft noch nicht gefunden hat, in Tränen ausbricht, während er über eine fiktive Figur spricht, deren Schicksal dem seinen gleicht.
Nach dem sehr deutlichen «The Hateful Eight» und all den stilisiert-spitzen Filmen zuvor ist «Once Upon a Time in Hollywood» außerdem ambivalenter und beherrschter. Tarantino behält seine Spielereien, wie gekritzelte Texteinblendungen und eine sporadisch genutzte, markige Erzählerstimme, bei. Aber sie sind reduzierter, sei es quantitativ oder hinsichtlich ihrer Auffälligkeit. «Once Upon a Time in Hollywood» plätschert im gemächlichen Tempo durch das Los Angeles des Jahres 1969, bewundert altmodische Filmpaläste, die Vielfalt an Radioprogrammen und das nostalgische Flimmern und Surren von Neonreklame, während Brad Pitt als Cliff Booth, Ricks Stuntdouble, bester Freund und Handlanger in allen Belangen, in einem kunterbunten Hemd gekleidet durch die Gegend kurvt.
Wenn dieser sich daran zurückerinnert, weshalb er in der Stuntbranche unten durch ist, und sich in dieser Rückblende an einen anderen (womöglich mörderischen) Vorfall zurückerinnert, schneidet Tarantino weg, ehe es zur entscheidenden Antwort kommt. Tarantino streut Indizien, was sich einst während einer Bootsfahrt Cliffs ereignet hat, überlässt uns aber die Deutungshoheit. Ähnlich, wie er nie lüftete, was sich im Koffer aus «Pulp Fiction» befindet, bloß, dass dieser ein irrelevanter MacGuffin ist, der Ausgang eines Wendepunkts in Cliffs Leben dagegen Bände über diese Figur sprechen würde. So hingegen schiebt Tarantino die Gewaltmomente seines Films länger vor sich her denn je – und kreiert eine Art Rohrschachtest für sein Publikum, das sich wahlweise als gewaltlüstern oder mitfühlend entpuppt.
«Once Upon a Time in Hollywood» ist weniger an einer klassisch strukturierten Erzählung interessiert, noch an offensichtlichen, auf Tarantino-Art lösbaren Konflikten. «Once Upon a Time in Hollywood» gleitet durch ein betörend rekreiertes Los Angeles des Jahres 1969, ohne es zu verklären: Es gibt Risse in der Traumfassade. Rick und Cliff mögen mit ihrem Wortwitz und ihrer kecken Direktheit unterhaltsame Typen sein, aber sie hauen auch beiläufig rassistische Kommentare raus. Sie paffen mehr als ihrer Lunge lieb sein sollte. Eine ungeheuerlich aufgeweckte Jungdarstellerin am Set einer TV-Serie (die sich mühelos mit DiCaprio messende Julia Butters) bemängelt patriarchale Sprache, die sich auch Jahrzehnte später nicht verflüchtigen sollte. Am Rande des Geschehens treibt sich der filzhaarige Charles Manson (Damon Herriman) mit diabolischem Grinsen herum. Ein Playboy-Partygast mutmaßt, dass "der polnische Pimmel" Roman Polanski alles versauen wird, was er sich mit «Rosemaries Baby» aufgebaut hat.
Tarantino ist sich bewusst, dass das Los Angeles, dass er als Schulkind kennengelernt hat, nicht das ist, was er sich als Traumfabrik ausgemalt hat. Das lässt er in «Once Upon a Time in Hollywood» durchblicken. Aber er lenkt mit Ruhe und Hingabe den Fokus auf das, was Hollywood sein könnte. Der Ort, wo eine Sharon Tate (ausdrucksstark mit wenigen Worten: Margot Robbie) nach einem Dreh mit Dean Martin von einer viel versprechenden Zukunft träumt, ins Kino geht und sich über die Publikumsreaktionen freut. Tarantino lässt uns mit ihr abhängen. Mäuschen spielen, wie der spießige Westernserien-Star Rick beim Dreh eines Serienpiloten durch eine dreckige Ästhetik und eine Gegenkultur-Spielweise aufblüht. Mitfiebern, wie ein misstrauischer, trockenen Humor beweisender Cliff Pseudo-Hippies hinterfragt, die Dunkles im Schilde führen (womöglich).
«Once Upon a Time in Hollywood» ist eine Los-Angeles-Dramödie, die beiläufig (Selbst-)Kritik übt und vornehmlich von dem Hollywood träumt, das in Tarantino den Wunsch vom Filmemachen eingepflanzt hat. Ein möglicher Beinahe-Abschied. Mit Wehmut. Mit einem sich spät entladenden Gewaltdrang. Ohne Plotmotor. Aber mit Schöpfungskraft.
«Once Upon a Time in Hollywood» ist ab sofort in vielen deutschen Kinos zu sehen.