Der Grund spielt keine Rolle: Rote Karte für Luke Mockridge
Es gibt viele schlechte Vorbilder im deutschen Fernsehen, was Respekt und Umgangsformen angeht. Was Comedian Luke Mockridge sich im «Fernsehgarten» erlaubt hat, sollte aber aus verschiedenen Gründen zu denken geben. Ein Kommentar zum Prank-Phänomen.
Was waren das für selige TV-Zeiten, als Paola und Kurt Felix «Die versteckte Kamera» in die Wohnzimmer brachten und mit harmlosen Streichen unterhielten oder als Hape Kerkeling verkleidet als Königin Beatrix vor dem Schloss Bellevue vorfuhr, um eine Show für die Ewigkeit hinzulegen.
Heute reicht so etwas, wie in jedem anderen Bereich des medialen Lebens, natürlich längst nicht mehr aus. Entertainer wie Stefan Raab haben eine Form der Unterhaltung etabliert, die sich schnell verselbstständigte: Das Lachen auf Kosten anderer Menschen.
Nun handelt es sich dabei aber zugegebenermaßen nicht um ein Fernsehphänomen. Jeder von uns kennt diese Zeitgenossen, die im Büro, auf Partys oder bei Familienfeiern ihre Witze auf Kosten von Kollegen, Freunden oder der Schwiegermutter reißen. Und warum auch nicht? Es ist doch so schön einfach, die Schwächen anderer Menschen für billige Scherze heranzuziehen. Wen kümmert es schon, dass dabei alle Niveaugrenzen nach unten ihre Schleusen öffnen? Wen tangiert es, wie die Zielobjekte des Gelächters damit umgehen?
Das Fernsehen hat sich seitdem in vielen Bereichen in diese Richtung entwickelt. Insbesondere die Privatsender kennen keine Scham beim Zurschaustellen von Mitmenschen. Zugestehen muss man ihnen dabei jedoch, dass diese sich immerhin freiwillig für die verschiedenen Shows melden. Das geht allerdings auch ganz anders …
Stilfrage
Erinnern wir uns für einen Moment an eine gewisse Frau Loch, die sich 2001 dank des bereits erwähnten Stefan Raabs großflächiger Bekanntheit erfreuen durfte. Dieser verwendete nämlich bei «TV Total» einen Ausschnitt der Kollegen von RTL für billige Scherze über den Namen der damals 16-Jährigen. Die Geschichte der folgenden gerichtlichen Auseinandersetzung ist im Internet hinlänglich dokumentiert. Am Ende musste die Schülerin zwar mit dem anhaltenden Spott leben lernen, erhielt aber immerhin eine Schadenersatzzahlung. Eine Entschuldigung hat es dem Vernehmen nach hingegen nie gegeben.
Wie tief man sinken kann, hat uns diese Anekdote also bereits vor fast zwanzig Jahren verdeutlicht. Die feine Linie zwischen Kunst und dem sprichwörtlichen Griff ins Klo wurde von Raab damals per Bulldozer aus dem Weg geräumt. Rücksicht auf das minderjährige Opfer des Spotts? Fehlanzeige. Empathie? Keine Spur. Den Kollegen von ProSieben sowie allen Beteiligten an der Show muss an dieser Stelle auch heute noch ein Kollektivversagen attestiert werden. Doch geht auch das eben gänzlich anders ...
Sympathisch
Reisen wir dafür gemeinsam zurück in der Zeit und treffen den eingangs erwähnten Herrn Kerkeling. Der als Perfektionist geltende Comedian hatte sich Anfang der 1990er-Jahre vorgenommen, verkleidet als Königin Beatrix, zu einem Empfang auf Schloss Bellevue bei Bundespräsident Richard von Weizsäcker zu gelangen. Das Überraschungsmoment nutzend gelangte er sogar bis hinter die Absperrung, wurde dann jedoch mit sanftem Nachdruck vom Ort des Geschehens entfernt.
Albern war das ganze natürlich schon, dennoch machte sein Auftritt von der ersten bis zur letzten Minute Spaß, weil Kerkeling mit einer positiven Ausstrahlung, Herzlichkeit, Witz und Liebe zur Sache agierte und somit die Lacher – wie er es oft und gerne tat – auf sich zog statt auf andere. Jeder merkte sofort: Er war die schlechte Kopie, er war die Fälschung.
Verunglimpfung seiner Mitmenschen kennt dieser Mann eben nicht, was eine ausgesprochene Stärke darstellt, die seit seinem Rückzug ins Privatleben im TV definitiv fehlt.
Nun mag man sagen: Das waren auch vollkommen andere Zeiten! Stimmt! Doch waren es dann ganz sicher auch bessere Zeiten. Wenn das sinkende Niveau und der abnehmende Respekt eine Kunstform beschreiben, darf von einer gesunden Entwicklung nicht mehr gesprochen werden.
Coup
Dabei gibt es auch Gegenbeispiele aus der jüngeren Vergangenheit. Wer hat nicht den Coup von Joko und Klaas verfolgt, als diese einen vermeintlich echten Ryan Gosling bei der Verleihung der Goldenden Kamera live im ZDF platzierten?
Mit Dreistigkeit, Mut und hohem Einsatz führten sie die Kollegen regelrecht vor und schafften es tatsächlich, einen Koch aus München auf die große Showbühne zu bringen, der einen Auftritt für die Geschichtsbücher hinlegte. Insbesondere die Entstehungsgeschichte ist dabei an Spannung und Unterhaltungswert kaum zu überbieten. Ein Geniestreich des Duos!
Und doch muss uns auch dieses Beispiel wieder zurück zum Thema der feinen Linie führen, die es möglichst nicht zu überschreiten gilt. So zeugt nämlich auch diese Aktion ohne Frage von mangelndem Respekt gegenüber den Kolleginnen und Kollegen, die auf der Gala geehrt wurden, die sie veranstalteten oder einfach nur mit dabei waren. Auch lässt sie Weitblick vermissen und stellt in der Summe nichts anderes dar, als das Stören einer Veranstaltung, mit der man eigentlich nichts zu tun hat. Purer Selbstzweck und freche Selbstinszenierung? Zum Teil mag das stimmen.
Doch dürfen Joko und Klaas immerhin für sich proklamieren, wie einst Hape Kerkeling mit viel Liebe zum Detail, intensiver Arbeit, Herzblut und letztlich sogar einer vielschichtigen Idee hinter der Aktion ausgestattet gewesen zu sein. So warf der Auftritt viele wichtige Fragen auf. Zum Beispiel diese: Was hätte alles passieren können, wenn es eben nicht nur ein Scherz gewesen wäre?
Fakt ist: Das ZDF hat hier blind vor Gier nach einem Hollywood-Star einen Trupp Unbekannter ohne weitere Überprüfung in ein Live-Studio laufen lassen. Auch hier trifft eine Bewertung als Kollektivversagen zu. Was, wenn diese Leute etwas ganz anderes im Sinn gehabt hätten? Joko und Klaas sind viel zu schlau, als dass sie nicht auch diese Metaebene im Hinterkopf gehabt hätten. Somit ist ihre Aktion eben letztlich doch Kunst und touchiert die Linie zum Abgrund nur.
Bodenlos
Doch was ist nun eigentlich am vergangenen Sonntag mit Luke Mockridge los gewesen? Die Spekulationen waren direkt sehr vielfältig. Handelte es sich um eine verlorene Wette? Unwahrscheinlich. Eine neuerliche Aktion von Joko und Klaas? Fast undenkbar. Ein Spaß für Mockridges neue Show in Sat.1? Sehr wahrscheinlich.
Die Antwort ist allerdings auch ehrlicherweise vollkommen irrelevant. Der Auftritt an sich war so schlecht und zum Fremdschämen, so albern und flach, so langweilig und sinnlos, dass keine Erklärung besser als die andere wäre. Wollte Mockridge beweisen, wie schlecht er sein kann? Gelungen. Oder wollte er gar nur die Zuschauerschaft des Senders diffamieren? Es wäre traurig.
Die Farce hat ganz aktuell sogar noch an Fahrt aufgenommen. So soll ein anonymer Mitarbeiter der BILD-Zeitung berichtet haben, dass der Comedian den Auftritt von langer Hand geplant hatte und sogar Mitarbeiter des «Fernsehgartens» eingeweiht waren; nicht jedoch Andrea Kiewel. Dass diese Version auch ganz neue Fragen an die Crew des ZDF provozieren würde, sei zu diesem Zeitpunkt einmal außen vorgelassen. Ob die Gerüchte stimmen, sollte man zudem für den Moment zumindest noch anzweifeln, in jedem Fall solange angebliche Insider im Dunkeln Futter für kostenpflichtige Onlineartikel liefern.
Doch auch wenn an der Sache etwas dran wäre, ist Mockridge mit seiner Performance sicher kein Geniestreich gelungen. Die Hintergründigkeit und der Perfektionismus der Kollegen Kerkeling sowie Joko und Klaas fehlten seinem Auftritt in jeder Hinsicht. Dort gab es nur Kalauer, platte Witzchen, Affenlaute und Furzgeräusche. Dafür braucht niemand einen Masterplan. Was den jungen Mann dazu geritten hat, spielt somit letztlich überhaupt keine Rolle.
Ganz egal, wie es am Ende kommt: Die peinlichen Minuten im «Fernsehgarten» werden die Vita des Comedian nicht schmücken können, sondern vielmehr als Tiefpunkt einer sonst aufstrebenden Karriere stehen bleiben. Eben weil hier Dreistigkeit, Respektlosigkeit und völlige Unlustigkeit aufeinandertreffen und der Aktion jede denkbare Existenzgrundlage rauben.
Und auch wenn jede Art von PR bekanntlich gute PR sein soll, darf man hier gerne klar differenzieren. Unfug bleibt Unfug.
Und wofür eigentlich? Luke Mockridge ist erfolgreich, beliebt, sympathisch und eigentlich viel zu clever, um sich selbst so blöd aussehen zu lassen. War er schlecht beraten? Hat er einfach zu wenig nachgedacht? Oder haben wir hier vielleicht seine wahre Art von Humor erlebt? Schön wäre das nicht. In Zukunft darf er sich gerne wieder auf das konzentrieren, was er eigentlich so gut kann und womit er seine Brötchen bestimmt noch einige Jahre verdienen wird: Menschen humorvoll Freude bereiten. Das geht sogar ganz ohne Häme.
Zukunft
Halten wir fest: Das war nix. Doch bestimmen zweite Chancen ja bekanntlich das Leben. Luke Mockridge kehrt mit «LUKE! Die Greatnightshow» am 13. September 2019 ins TV zurück. In Sat.1. werden wir dann ab 20.15 Uhr eventuell auch spätestestens erfahren und erleben, was es mit der Aktion auf sich hatte.
20.08.2019 10:42 Uhr
• Björn Sülter
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