gamescom 2019 – Wenn Spiele zur Nebensächlichkeit werden

Auch dieses Jahr beheimatetet die Koelnmesse wieder die größte Videospielveranstaltung der Welt. Und während sich wieder die international größten Entwickler und Spielefirmen in den Hallen versammeln, ist die Politisierung der Messe in keinem Jahr so deutlich gewesen wie in diesem. Noch dazu gesellen sich neben den Videospielen auch Streaming-Dienste mit großen Ständen dazu.

370.000 Besucher zählte die gamescom im vergangenen Jahr und auch auf der diesjährigen Messe wird mit ähnlichen Zahlen gerechnet. Die elf Hallen der Koelnmesse sind wieder von Microsoft, Sony, Nintendo, Konami, Ubisoft, Electronic Arts und weiteren „Big Playern“ der Videospielindustrie belagert. Man lockt die potentiellen Kunden mit pompösen Ständen, die aufwendig inszeniert sind und riesige Ausmaße haben. Vorbestellungen der jeweiligen Spiele sind an zahlreichen Ecken möglich, Gewinnspiele und Give-Aways sind der Alltag, ebenso wie leicht bekleidete attraktive Damen, die im Auftrag der Aussteller Werbeflyer verteilen.

Die gamescom 2019 hat sich auf den ersten Blick nur wenig verändert – viele Stände, viel Werbung und viel Lärm. Sehr viel Lärm. Und doch ist die diesjährige Spielemesse von besonderer Wichtigkeit, nicht zuletzt weil Videospiele sich immer mehr als politisches Interessensfeld etablieren. Traditionell wurde auch dieses Jahr die Messe wieder von einem politischen „Schwergewicht“ eröffnet. Dorothee Bär, Staatsministerin für Digitalisierung und Verkehrsminister des Bundes Andreas Scheuer, eröffneten die Messe. Auch die aktuell stellvertretende SPD-Vorsitzende Malu Dreyer begab sich auf die gamescom, wobei es keiner der Politiker versäumte seine Anwesenheit auch entsprechend auf den sozialen Kanälen mitzuteilen. Der umstrittenste Politiker auf der gamescom 2019 war zweifelsohne Axel Voss, seines Zeichens EU-Parlamentsabgeordneter der CDU. Für (kritisches) Aufsehen sorgte er mit seinen Uploadfilter des Artikels 13, der besonders jungen und internetaffinen Menschen bitter aufstieß. Auf sozialen Netzwerken hagelte es Kritik für das Auftreten von Voss, die eigentliche Diskussion auf dem gamescom congress, der Polit-Arena der Messe, blieb harmlos.

Festzuhalten ist jedoch, dass die Politik erkannt hat, dass die Messe eine Vielzahl an jungen Wählerstimmen beherbergt. Politische Werbung ist demnach nicht verwunderlich auf der gamescom. Doch die Gesichter, mit denen primär die Altparteien versuchen Wählerstimmen zu gewinnen, sind dafür umso fragwürdiger. Auch kritisch ist die vermeintlich Förderung der deutschen Videospielindustrie, die bereits in den vergangenen Jahren vollmundig versprochen wurde. Im vorläufigen Entwurf für den Haushalt des nächsten Jahres findet sich nämlich rein gar nicht für die Förderung der virtuellen Spiele. Ob die Werbung auf der Messe also nicht doch ein „game over“ anstatt ein „level up“ für manche Parteien ist, bleibt fraglich.



Wer denkt, dass es sich auf der gamescom nur um die namensgebenden Games handelt, liegt schon seit langer Zeit falsch. Die Zeit, in der sich nur Entwickler auf der Messe präsentierten, ist längst vorbei. Google, Facebook, Amazon und sogar die deutsche Bundeswehr – mittlerweile wirkt die gamescom wie ein Sammelbecken für alle Unternehmen, die im entferntesten etwas mit digitalen Inhalten zu tun haben. Und zwischen all den Ausstellern findet sich dieses Jahr auch ein optisch schlichter, dafür umso größerer Stand des Streaming-Anbieters Netflix. Geworben wird unter anderem mit «Haus des Geldes» und «Stranger Things», den aktuell populärsten Aushängeschildern des US-Unternehmens. Dass man damit auch das misslungene und qualitativ schlechte Spiel «Stranger Things: The Game» bewerben kann, ist ein Nebeneffekt, der vom Streaming-Giganten zweifelsohne einberechnet ist.

Während Facebook und Amazon kaum mit spielerisch herausragenden Titeln oder großen Namen punkten können, setzt man vielmehr auf eine angenehme Lounge Atmosphäre und versucht die allgemein technikaffinen Menschen anzusprechen. Angesichts der Tatsache, dass reguläre Besucher für die größten Messetitel gut und gerne vier bis fünf Stunden lang anstehen müssen, sind die einladenden Loungesitze eine willkommene Abwechslung.

Natürlich darf bei dem Thema gamescom das Live-Streaming nicht fehlen. Erstmals wurde die diesjährige Messe mit einer groß angelegten Gala eröffnet, die auch auf twitch.tv übertragen wurde. Auch die Internet-TV-Pioniere von rocketbeans.tv sind populär vertreten und senden live Berichte und Eindrücke von der gamescom. Doch gerade in dem Aspekt des Streamens zeigt sich eine Problematik, mit der die Spielemesse zu kämpfen hat: die Exklusivität.

Ein Beispiel: einer der am meisten erwarteten Spieletitel ist «Death Stranding» aus dem Hause Sony. Auf der gamescom wurde für die Presse exklusives Material gezeigt, doch nur ein paar Stunden später war besagtes Material bereits auf YouTube zu finden. Die gamescom ist seit Jahren eine exzessiv besuchte Messe, wobei der größte Teil der Besucher die Endverbraucher ist. Für die Journalisten der Videospielpresse verliert die gamescom zunehmend an Bedeutung, da die bedeutenden Ankündigungen und Neuigkeiten auf der E3 in Los Angeles stattfinden, die nur wenige Monate zuvor stattfindet. Die Messe muss also eine klare Entscheidung fällen in den nächsten Jahren: liegt der Fokus auf der Presse oder aber dem Käufer? Exklusive Informationen oder doch nur reine Werbeveranstaltung?

Was in dem medialen Einfluss jedoch auffällt, ist, dass das Thema eSports eine Konstante bildet. Der virtuelle Sport, der sich mittlerweile mit mehreren Ligen, Turnieren und Organisationen in den unterschiedlichsten Spielen zu einem lukrativen Geschäftszweig entwickelt hat, hat spürbar an Popularität gewonnen. Ob es nun der Sender eSports1 oder ein Unternehmen ist, dass Gamingsessel mit dem richtigen Equipment anbietet – das Thema eSport hat sich zu einer eigenständigen Industrie entwickelt.

Wie und vor allem wohin sich die Messe in den kommenden Jahren entwickeln wird, bleibt eine offene Frage. Fakt ist, dass die gamescom jedoch auch in Zukunft bedeutend sein wird, insbesondere für die „normalen“ Spieler, die die Koelnmesse regulär immer erst ab Mittwoch betreten können. Dass die gamescom nur für Videospiele ist, ist schon seit Jahren nicht mehr der Fall. Vielmehr kann man von einem medialen Kochtopf sprechen, in dem alles miteinander vermengt wird und nur ab und zu ein paar Spiele an die Oberfläche kommen. Hinzu kommt, dass man bei den langen Wartezeiten, die man für die Stars der Messe - «Cyberpunk 2077» und «Final Fantasy VII Remake» - fast schon den Eindruck bekommt, dass die Spiele nur die Nebensache der gamescom sind.

Dass sich die Messe in den nächsten Jahren noch stärker zu einem Politikum entwickeln wird, ist durchaus realistisch. Wie bedeutend sie hingegen für die Entwickler bleibt, ist unklar. So war der Stand des Videospielriesen Sony in diesem Jahr deutlich kleiner als in den Jahren zuvor. Um zu sagen, dass das Unternehmen langsam seine Zelte auf der gamescom abbaut, ist es definitiv zu früh. Eine unangenehme Entwicklung für die Messe ist es dennoch. Der gefährliche Spagat zwischen Presse und Endverbraucher muss auch in den kommenden Jahren getan werden, sofern man keine Alternative für die gamescom findet. Um etwas besucherfreundlicher zu werden, könnte man auch damit beginnen, dass ein lauwarmer halber Liter Wasser keine fünf Euro mehr kostet…

Die gamescom findet noch bis 24. August 2019 in Köln statt.
22.08.2019 08:22 Uhr  •  Martin Seng Kurz-URL: qmde.de/111619