Kirsten Dunst als verarmte Südstaatlerin, mit einem Talent dafür, Leute übers Ohr zu hauen, und einem schlechten Gewissen obendrein. Die neue Showtime-Serie liefert eine prächtige Sozialstudie.
Cast & Crew
Produktion: Smokehouse Pictures, Pali Eyes Pictures und TriStar Television
Schöpfer: Robert Funke und Matt Lutsky
Darsteller: Kirsten Dunst, Théodore Pellerin, Mel Rodriguez, Beth Ditto, Ted Levine, Alexander Skarsgård, Usman Ally u.v.m.
Executive Producer: Robert Funke, Matt Lutsky, Kirsten Dunst, Esta Spalding, Charlie McDowell, George Clooney und Grant HeslovWill man diese Serie so verstehen, dass sie eine Antwort auf Ihre Titelfrage – Wie wird man ein Gott in Mittelflorida? – gibt, muss man ihr großen Zynismus unterstellen. Denn diese Antwort lautete: Man nimmt schamlos die Leute aus; vorzugsweise jene am unteren Ende der sozioökonomischen Leiter.
Dass man in eine solche Art der Bestreitung des Lebensunterhalts auch reinrutschen kann, wird am Beispiel der Hauptfigur deutlich: Krystal Stubbs (Kirsten Dunst) ist das Südstaaten-Schneeballsystem, in das ihr Mann Travis (Alexander Skarsgård) vor zwei Jahren geraten ist, eigentlich zuwider. Denn seitdem kauft er Unmengen wertloser Produkte von „Founders American Merchandise“, die er an von ihm rekrutierte Neuzugänge weiterverticken soll, dabei aber einen Großteil des Erlöses an die Ranghöheren abdrücken muss: Die „Investition in sich selbst“ ist in Wahrheit ein Fass ohne Boden. Krystal durchschaut den Spuk, lässt als treusorgende Ehefrau ihren Mann aber gewähren, solange er noch regelmäßig als Versicherungsfuzzi arbeiten geht und pünktlich die Hypothekenschulden überweist.
Sie liebt Travis aufrichtig, aber ihre Lebensziele sind völlig andere: Er will unabhängig sein und stinkreich werden, blind den inhaltsleeren Dogmen des Urvaters seines Schneeballsystems folgend; sie dagegen hat mit dem kleinen Haus und dem kleinen Glück schon mehr im Leben erreicht, als sie sich erhofft hatte, und will das für Travis’ bescheuerte Ideen vom schnellen Geld nicht in Gefahr bringen.
Als Travis schließlich theatralisch seinen Job hinwirft und wenig später von einem Alligator zerfleischt wird, hinterlässt er seiner Witwe einen Berg Schulden, den sie mit ihrem Mindestlohnjob in einem kleinen Vergnügungspark nie wird abtragen können. Der aufgesetzt professionelle (und in Wahrheit genauso mit dem Schneeballsystem überforderte) Rangobere des Ehepaars kann ebenso wenig auf die lukrative Einkommensquelle verzichten, die Travis‘ Erwerb und bemühter Weiterverkauf der Ramschprodukte kontinuierlich auf sein Konto wirtschaftete. Krystal scheint keine andere Wahl zu haben, als in die Fußstapfen ihres Mannes zu treten und wortwörtlich gute Miene zum bösen Spiel zu machen, während sie ihre besten Freunde und geliebten Weggefährten ausnimmt. Zu ihrem seelischen Leidwesen und ökonomischen Gewinn hat sie dafür auch noch ein besonderes Talent.
Mit dieser Geschichte seziert «On Becoming a God in Central Florida» die untere Mittelschicht im unterprivilegierten ländlichen Süden der USA mit besonderer erzählerischer Härte und Verbitterung. Über die Bewohner einer ähnlichen Gegend hat sich Barack Obama einmal mit der Diagnose
They cling to guns and religion geäußert. Nimmt man das Wort
religion dabei nicht allzu wörtlich, könnte dieser Satz auch ein Erklärungsmodell für die Abläufe sein, die wir in dieser Serie zu sehen bekommen. Der Gründervater des Schneeballsystems, ein mit allen Wassern gewaschener ältlicher Südstaatler mit scharfem Akzent, ausgekochter Bauernschläue und ebenso skrupelloser Bauernfängerei legt bei Travis‘ Beisetzung eine geradezu messianische Ankunft hin und macht aus der Grabrede ohne jegliche Pietät eine Verkaufsveranstaltung für sein Geistesgift. Die Zuhörer nehmen ihm das nicht übel – im Gegenteil: Man jubelt ihm freudig zu. Eine bessere Allegorie auf die „säkularisierte Religion“ und den damit verbundenen Ausverkauf aller Werte hat man selten gesehen.
Man kann auch die
Greater-Fool-Theorie aus der Wirtschaftslehre bemühen, gemäß der einer Sache kein intrinsischer Preis zugeordnet werden kann. Stattdessen ergibt er sich aus den irrationalen Vorstellungen und Erwartungen der Marktteilnehmer: der noch größeren Trottel. Dass diese These keinesfalls abwertend verstanden werden muss, sondern vielmehr auch Quell einer sehr positiven Gesellschaftsauffassung (und einer glorreichen Rolle des Individuums in ihr) sein kann, hat bereits
das Finale der ersten Staffel der amerikanischen Drama-Serie «The Newsroom» bewiesen. «On Becoming a God in Central Florida» ist stattdessen an der zynischeren Lesart interessiert, anhand der sich auch die Funktion von Schneeballsystemen beschreiben lässt: Finde den größeren Trottel, verkaufe ihm wertloses Zeug und bekomme dadurch Macht und Geld. So ähnlich entstanden Brexit und Donald Trumps Präsidentschaft. Dass diese Serie derweil in den frühen 90er Jahren spielt, lässt sie auch als ergiebigen Ausgangspunkt zur Ursachenforschung für letzteres Phänomen erscheinen.
In ihrer Anhäufung von
Peak-Florida-Elementen – schnappfreudige Alligatoren, drückende Hitze, rollende Rs, Schönheitswettbewerbe und grenzenlose Selbstüberzeugung im Anblick des Gegenbeweises – driftet die Serie dabei oft ins Parodistische ab, ohne gleichzeitig die aufrichtige Thematisierung ihrer ernsten Untersuchungsfelder zu verwässern. Das macht sie erzählerisch so kurzweilig wie thematisch ergiebig, während Kirsten Dunst eine messerscharfe feministische Dekonstruktion der
Southern Belle gelingt.