Ex-ZDF-Intendant Stolte beklagt Sittenverfall im deutschen Fernsehen

Der langjährige ZDF-Intendant Dieter Stolte hat den Verfall der Sitten im deutschen Fernsehen beklagt. "Nennen Sie mich einen humanistischen Spinner, wenn ich es Ekel erregend finde, dass Menschen dafür missbraucht werden, den Voyeurismus anderer zu bedienen", sagt er im Interview mit der Stuttgarter Zeitung (Samstagsausgabe). Er bezieht sich dabei auf die Containersendungen, Urwaldcamps und Talkshows am Nachmittag im Privatfernsehen, die zu einer "gesellschaftlichen Verarmung" und "kalten Herzen" führten.

Der 70-jährige Ex-Intendant und ehemalige Herausgeber der Springer-Zeitungen "Welt" und "Berliner Morgenpost" nahm aber auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten von seiner Kritik nicht aus. Dort würden bald Controller, Marketing- und Verpackungskünstler das Geschehen bestimmen. Auch bei ARD und ZDF sei die Diskussion um Quoten und Marktanteile inzwischen "viel wichtiger" als die inhaltliche Auseinandersetzung. Intendanten wie Fritz Pleitgen (WDR), Jobst Plog (NDR) und Peter Voß (SWR) seien in Zukunft "nicht mehr gefragt", betonte Stolte.




Erstmals offenbarte Stolte, dass er das Angebot des Springer-Vorstandsvorsitzenden Matthias Döpfner, ein Aufsichtsratsmandat bei ProSiebenSat.1 zu übernehmen, abgelehnt habe. Dies hätte er als "Stilbruch" empfunden, begründete er die Absage. Er könne nicht 40 Jahre lang das öffentlich-rechtliche System verteidigen, und dann "Urwald-Fernsehen gut finden". Dies habe er sich und seinen ehemaligen Mitarbeitern nicht antun können, die an ihn geglaubt und ihm vertraut hätten.

Stolte erhält am Sonntag den Hans-Bausch-Mediapreis, den der Südwestrundfunk (SWR) im Beisein von Kardinal Karl Lehmann verleiht.
09.09.2005 15:04 Uhr  •  Alexander Krei  •  Quelle: Stuttgarter Zeitung Kurz-URL: qmde.de/11215