Ein Film über einen mordenden Autoreifen? Pah, und ich dachte, dümmer als «Sharknado» geht nicht!
Filmfacts «Rubber»
- Regie: Quentin Dupieux
- Drehbuch: Quentin Dupieux
- Produktion: Julien Berlan, Gregory Bernard
- Musik: Gaspard Augé, Quentin Dupieux
- Kamera: Quentin Dupieux
- Schnitt: Quentin Dupieux
- Veröffentlichungsjahr: 2010
- Laufzeit: 82 Minuten
- FSK: ab 16 Jahren
Exakt so plärrte es mir entgegen. Wieder und wieder. Kein Film wurde mir in Smalltalksessions von Bekannten von Bekannten von Bekannten häufiger als schlechtester aller Zeiten verkauft als «Rubber». «Rubber», der Film, der in Verlegenheitsgesprächspausen plötzlich aus der thematischen Klamottenkiste gezerrt wird, wann immer Bekannte von Bekannten von Bekannten meinen, den so eben kennengelernten Filmkritiker mit seinem eigenen Wissen zu beeindrucken, mit seinen eigenen filmischen Katastrophenerfahrungen. Quentin Dupieuxs «Rubber» ist somit auch ein hervorragender Wasserstandsanzeiger: "Wie gewillt ist eine Person, den Mund voll zu nehmen?" Oder dreister gesagt: "Wie viel Müll will jemand von sich geben, um anzugeben?" Denn, gewagte These: Ein Großteil derjenigen, die sagen, «Rubber» sei der schlechteste Film aller Zeiten, haben «Rubber» nie gesehen. Oder gar alle, derjenigen. Sie haben nicht einmal eine Kritik zum Film gelesen oder gehört. Sie haben aus zweiter oder dritter Hand von der Existenz des Films erfahren und beschlossen, den nun in die Kiste der Superlative für Smalltalknotfälle zu packen.
Und mir gegenüber auszpacken.
"«Rubber»", so sagten mir schon mehrere angetrunkene Gelegenheitsbekannschaften von Gelegenheitsbekanntschaften gelegentlicher Bekannter, "der ist so dumm! Du kennst den sicher auch, so als Filmkritiker. Wie hält man sowas aus, frage ich dich, Alter: Ein Film über einen Killer-Autoreifen! So ein Schrott, dümmer geht’s nicht mehr, ne?!" «Rubber», du tust mir leid. Immer wieder heißt es: "Da passiert ja nichts, da rollt nur ein Reifen rum und tötet Menschen. Wie dumm und peinlich!" So viele Leute haben davon gehört, dass jemand von dir gehört hat, dass jemand von dir gehört hat, dass jemand dich vielleicht gesehen hat. Und sie alle tun so, als wären sie es gewesen, die dich gesehen haben. Was ich an deren inakkuraten Inhaltsangabe erkenne. Denn «Rubber», das ist kein Trashfilm aus der Schule "Womit kann man Haie noch kreuzen?" oder aus der Ideenschmiede "Welchen Killer kriegen wir mit unserem Budget für einen DVD-Horrorfilm verwirklicht?"
Selbstredend darf man «Rubber» schwach finden, niemand ist dazu verpflichtet, «Rubber» in den Himmel zu loben. Meinetwegen kann man argumentieren, dass «Rubber» zu kritisch mit dem Prozess des (Horror-)Filmkonsums umgeht, ihm zu vehement Sinnlosigkeit, Willkür und voyeuristische Elemente unterstellt. Oder dass er ein klares, absurdes Konzept und eine durchaus griffige These nicht einfach verquickt, sondern zudem mit verkopften inszenatorischen sowie strukturellen Argumenten überlädt. Ansichten, die ich nicht teile, bei denen ich aber sehe, dass man sie vertreten kann – und die ich bei entsprechend gelungener Darlegung zu dulden gewillt bin.
Aber «Rubber» als dumm und scheiße und trashig zu bezeichnen, in eine Liste mit «Sharknado», «Titanic II», «Camel Spiders – Angriff der Monsterspinnen» oder «Sharktopus vs. Whalewolf» zu stecken, das ist ein gigantisches Anzeichen dafür, dass da wer seine Hausaufgaben nicht gemacht hat. Und höchstens sagen dürfte: "Kennst du «Rubber»? Ich
habe gehört, der
sei der schlechteste Film aller Zeiten?" Denn «Rubber» ist keiner dieser sinnbefreit-mülligen Schundfilme. «Rubber» hat zu viele ehrliche Ambitionen, zu viel erzählhandwerkliches Können, um von so vielen Leuten als der schlechteste Film aller Zeiten verkauft zu werden. Aber man muss ihn halt gesehen haben, um das zu wissen.
Quentin Dupieux, auch bekannt als Mr. Oizo, hat damit die Arthouse-Antwort auf solche mülligen Schundfilme geschaffen, einen mit Metaebenen bestückten Kommentar auf die trashigen Sektoren des Horrorgenres (oder auf die Willkürlichkeit vieler Filme): Der Film handelt davon, wie jemand einer Gruppe das Beobachten einer hanebüchenen Reihe von Ereignissen rund um einen lebenden, tötenden Autoreifen schmackhaft macht.
Es ist zudem einer von Dupieuxs "normaleren" Filmen. Wenngleich die knallige Prämisse «Rubber» bekannter gemacht hat. Der französische Filmkünstler und Elektromusiker treibt seine surrealistische Schöpfungskraft nämlich zumeist deutlich weiter. Wo «Rubber» noch eine leicht zu erkennende These verfolgt, ist sein Nachfolgefilm «Wrong» etwa nihilistisches Absurditätenkino, dessen greifbarer Handlungsüberbau (Mann vermisst seinen verschwundenen Hund) sich auflöst wie eine Brausetablette im Sprudelwasser. «Reality» von 2014 hat sogar mehr oder minder gar keine Handlung mehr. Elliptisch erzählt, Kreise der Wiederholung ziehend, mit einem hypnotischen Ambience-Dauerklangteppich unterlegt, mutet «Reality» an wie die erste Nacht in einem fremden Bett, Träume beginnen, werden als Träume erkannt, unterbewusst gelenkt, man dreht sich in eine bequemere Position, verliert die Kraft, die Träume zu lenken, Passagen wiederholen sich, man merkt, dass sich Dinge wiederholen, die Träume springen vorwärts, um sich wieder zu wiederholen.
Als ich «Reality» sah, dachte ich mehrmals, ich sei eingeschlafen. Nie zuvor war dies ein Kompliment für einen Film. Für «Reality» ist es das, da er die Irrealität einer wahrhaftigen Traumnacht einfängt. «Reality», der Wasserstandsanzeiger dafür, wie sehr jemand das Urteil "Als ich «Reality» sah, dachte ich mehrmals, ich sei eingeschlafen" nimmt und als seinen eigenen Verriss durch die Welt trägt, statt es auf den Film und seine Eigenheiten zu übertragen, als mein Lob zu erkennen. «Reality» von 2014, der Film, nach dem Dupieux zugänglich wurde: «Die Wache» von 2018 wiederholt die Idee, Traumlogik in Filmform zu packen, verpackt es aber leichter verdaulich. In kleineren Häppchen zwischen einer semi-normalen Handlung.
Ein Mann hat eine Leiche gefunden und dies der Polizei gemeldet. Der Polizist, der ihn verhört, ist sehr misstrauisch. Und so befragt der Polizist den Mann, der eine Leiche gefunden hat und dies der Polizei meldete, immer und immer wieder über dieselben Kleinigkeiten des zurückliegenden Abends. Und der Mann, der eine Leiche gefunden hat und dies der Polizei meldete, wird durch den Dauerverdacht, unter den er beim Polizisten, der ihn verhört, gerät, nervöser und nervöser. So dass Erinnerung und Erinnerung daran, wie er zuvor seine Erinnerung äußerte, verschwimmen …
«Die Wache» kommt am 12. Dezember 2019 auch endlich in die deutschen Kinos. Ein großartiger Film, den sich alle anschauen sollten. Auch wenn er vom Regisseur und Autor und Komponisten und Kameramann von «Rubber» ist. Der ist ja der schlechteste Film aller Zeiten. Das hat man mir mehrmals gesagt!