«Skylines»-Supporting-Act Lisa Maria Potthoff debattiert mit Quotenmeter.de über den Begriff Political Correctness, den Mangel an deutschen Kinostars und die vielleicht bizarrste Dialogzeile, die ihr untergekommen ist.
Sie haben schon für das öffentlich-rechtliche Fernsehen gedreht, Kinofilme gemacht und nun halt eine Netflix-Serie. Macht das für Sie als Schauspielerin eigentlich einen Unterschied?
Bei der Arbeit vor der Kamera ist kein großer Unterschied. Teilweise sind es auch dieselben Leute, mit denen man schon häufiger zusammengearbeitet hat. Die Branche ist dann doch klein, man sieht sich immer wieder. «Skylines» hat aber allein durch die Thematik eine besondere Radikalität und Modernität. Auch in der Bildsprache. Außerdem war das mein erstes Projekt, in dem es einen Showrunner gab, was man aus Amerika kennt. Ich finde gut, dass so Autoren länger Einfluss nehmen können als nur bis zur Skriptabgabe.
In «Skylines» haben Sie eine eher kleine Rolle. Was hat Sie an ihr gereizt?
Ich fand die Geschichte und die Bücher sehr gut gebaut und geschrieben und konnte mit meinem Supporting Act Teil des Ganzen sein. Zudem mag ich die selbstbewusste amerikanische Art, Nebenfiguren Relevanz zu geben: Du bist nicht nur eine Nebenfigur, du supportest auf vielleicht kleine aber wichtige Weise die Handlung. Ich bin keine Schauspielerin, die dauernd nach Amerika schielt und jammert, dass da alles besser sei. Ich sage hiermit ganz deutlich, ganz offiziell: Ich brauche keine internationale Karriere. Ich bin sehr glücklich damit, was ich hier mache. Dennoch, "Supporting Acts", die die Handlung zusammenhalten, auch wenn sie nur wenig Auftrittszeit haben, die wertschätzen die Amerikaner viel mehr als wir.
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In Frankreich sind die Leute stolz auf ihre Filme, während hier viele Leute sagen: "Ich gucke keine deutschen Filme, ich schaue nur amerikanische." [...] Warum ist das so? Ich glaube, ein Grund ist der Mangel an gelungener Kommunikation mit dem Publikum, wodurch es sich weniger mit den Schauspielern identifiziert.
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Lisa Maria Potthoff
Ich muss die Gelegenheit dieses Interviews natürlich auch ergreifen, um Ihnen zu gratulieren, dass «Leberkäsjunkie» als erster deutscher Film 2019 die Eine-Millionen-Ticketverkäufe-Grenze überschritten hat. Auch wenn es natürlich traurig ist, dass es bis September dauerte, bis einem Film das gelang …
Ja, ich kriege auch mit, dass die Kinobesucherzahlen zurückgehen. Ich verstehe und teile die Sorge. Manche machen dafür ja die ja die Streamingdienste verantwortlich. Das kann ich nicht beurteilen, ich merke nur selbst, wie praktisch die sind. Ich habe Kinder, und es ist so viel angenehmer, etwas zu gucken, sobald man Zeit hat, statt die Kinder bis 20.14 Uhr ins Bett zu scheuchen, weil um 20.15 Uhr der Film anfängt. Insofern sind sie ja auch eher TV-Konkurrenz, denn das Kino ist ja noch einmal ein ganz anderes Erlebnis. Und doch ist mir klar, dass „praktisch“ nicht das einzige Kriterium sein kann, weil es natürlich etwas ganz anders ist, einen Film auf der Leinwand zu bewundern.
Was ich, wie viele in meinem Kollegenkreis, bedauere: Anders als etwa die Franzosen haben die Deutschen keine große Liebe zu ihrem eigenen Film.
In Frankreich sind die Leute stolz auf ihre Filme, während hier viele Leute sagen: "Ich gucke keine deutschen Filme, ich schaue nur amerikanische." Wir haben kaum Kinostars. Die Franzosen lieben ihre nationalen Stars, wir haben nur wenige wie M'Barek, Schweiger und Schweighöfer. Sonst haben wir keine Schauspieler, die Leute in Massen ins Kino ziehen. Warum ist das so? Ich glaube, ein Grund ist der Mangel an gelungener Kommunikation mit dem Publikum, wodurch es sich weniger mit den Schauspielern identifiziert. Umso schöner ist es für uns, dass die Eberhofer-Filme so erfolgreich sind: Sie haben über die Jahre eine immer größer werdende Fangemeinde. Ich erlebe, wie die Leute unseren Filmen entgegenfiebern – das ist ein schönes Gefühl, wir sind sehr glücklich darüber. Die Menschen identifizieren sich sehr mit unseren Figuren. Das ist wirklich rührend.
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Ich finde das generell bedauerlich, dass die Komödie hierzulande so verkannt wird. Beim Drama kann man mal fünf Prozent daneben liegen. Wenn das Thema den Film alleine trägt, ist das nicht so schlimm. Bei einer Komödie ist das dagegen der Tod!
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Lisa Maria Potthoff
Beim Stichwort "Publikumsbindung" kommt mir noch der Umgang der deutschen Presse mit denjenigen in den Sinn, die in Deutschland das Potential haben, die Massen anzulocken …
Ja. Wir haben in Deutschland diese absurde Trennung zwischen E und U. Bei leichten Stoffen kann man fast immer sicher sein, dass sie dem Feuilleton missfallen, und wenn man dann noch bekannt ist, und fast nur solche Stoffe macht, werden die erst recht gescholten. Ein Til Schweiger kann sich dank «Keinohrhasen» sicher sein, dass das Feuilleton ihn verreißt, egal, was er macht. Und das, obwohl man anerkennen muss, dass seine Filme gut gemacht sind. Ich weiß nicht, woher dieses Verhalten hier in Deutschland kommt. Ich finde das generell bedauerlich, dass die Komödie hierzulande so verkannt wird. Beim Drama kann man mal fünf Prozent daneben liegen. Wenn das Thema den Film alleine trägt, ist das nicht so schlimm. Bei einer Komödie ist das dagegen der Tod! Ich drehe aktuell mit Heiner Lauterbach. Abgesehen davon, dass ich ihn sowieso für einen sehr tollen Schauspieler halte, hat er in «Willkommen bei den Hartmanns» für mich wirklich so beeindruckend gespielt, mit perfektem Timing für die Komödie, es gibt da eine Szene, die ich so besonders finde, dass ich sie mir immer wieder angeguckt habe. Ich konnte mich an seinem Spiel, an seiner Körperlichkeit und der Komik so erfreuen! Aber mit dieser Komödienrolle würde er wahrscheinlich nie in die Nähe eines Preises geraten.
Man muss ja nur nach Österreich gucken, um zu sehen, dass es im deutschsprachigen Raum möglich ist, fantastische Komödien zu machen und ihnen Achtung zu schenken. Ich glaube, dass wir uns oft in biederer Political Correctness verstricken – vielleicht ist das ein Problem der deutschen Komödie.
Inwiefern?
Der britische und österreichische Humor sind meiner Meinung nach oft radikaler und mutiger als der deutsche. Denken Sie an die Serie «Braunschlag» und die Hader-Filme aus Österreich, «Catastrophe» und «Extras», zwei Serienbeispiele aus England. Deutsche Komödien sind oft harmlos und gefällig. Kaum wer traut sich, daraus auszubrechen. Ich finde, dass die Eberhofer-Filme einen Teil ihres Erfolges dem Umstand verdanken, dass sie nicht politisch korrekt sind. Es geht um unangepasste, skurrile Menschen, die nicht sonderlich schön, nicht unbedingt erfolgreich und manchmal eher Verlierertypen sind. In «Leberkäsjunkie» kommen zum Beispiel rechte Dorfdeppen vor, die jemanden wegen seiner Hautfarbe beschimpfen. Mit diesem Problem wird im Film umgegangen und zwar nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern mit Witz.
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Generell ist das Problem, dass noch immer der Glaube weit verbreitet ist, dass die Männerrollen die aktiveren sein sollten und die Frauen ihnen nicht zu sehr das Rampenlicht stehlen sollten. Und dass Frauen auch bitte hauptsächlich unter 50 sein sollen.
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Lisa Maria Potthoff
Nun bin ich aber verwirrt. (lacht) Gerade daher würde ich die Eberhofer-Filme ja als politisch korrekt bezeichnen, da sie nicht "nach unten treten" und alte Minderheitenwitzlein auspacken, sondern – gewitzt – Haltung gegen Rassismus beziehen und die Frauenrollen nicht nach 50er-Jahre-Schema entwerfen …
Ja, gut – dann sind die Filme aus
Ihrer Perspektive politisch korrekt. Aber generell ist das Problem, dass noch immer der Glaube weit verbreitet ist, dass die Männerrollen die aktiveren sein sollten und die Frauen ihnen nicht zu sehr das Rampenlicht stehlen sollten. Und dass Frauen auch bitte hauptsächlich unter 50 sein sollen – darüber wird’s schwierig. Und was auch sehr wichtig ist: Wenn es mehr als zwei Frauenrollen gibt, so sollen die sich doch bitte ein Problem miteinander haben und sich gegenseitig fertig machen. Das ist der Normalfall im deutschen Film. Wenn das mal nicht passiert, ist das schon eine Erklärung wert. Nicht so bei Männern – die kommen im Normalfall miteinander klar. Genauso, wie Männer über 50 – und das gilt international beim Film – eine deutlich jüngere Freundin haben können, und niemand hinterfragt das. Tom Cruise wird nie eine gleichaltrige Frau an seiner Seite haben. Hat dagegen eine Frau über 50 einen 30-Jährigen als Freund, ist das Thema des Films. Daher: Die Ungleichbehandlung von Mann und Frau
sollte politisch inkorrekt sein – sie ist aber noch politisch korrekt.
Aus der Perspektive gesehen verstehe ich dann, wie der Streit über politische Korrektheit die Kreativität in Deutschland hemmen kann. (lacht) Sie sprachen eben von zu viel politischer Korrektheit und forderten letztlich Filminhalte, die ich befürworten würde. Ich wiederum stelle mir bei Leuten, die von zu viel politischer Korrektheit sprechen, im Normalfall verbiesterte, regressive Männer vor, die sich über zu komplexe, prominente Frauenrollen aufregen, und die sauer sind, dass man bestimmte Schimpfwörter nicht mehr einfach so sagen darf …
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Ich hoffe einfach, dass wir in zehn Jahren auf das Filmjahr 2019 zurückblicken und realisieren, dass wir uns seither weiter- statt zurückentwickelt haben. Wenn ich überlege, was ich mit Anfang 20 teils für Filme gedreht habe – ich glaub, manche will ich gar nicht mehr sehen. (lacht) [...] Ich hätte mich damals nie beklagen wollen, geschweige denn, dass ich mich hätte beklagen dürfen.
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Lisa Maria Potthoff
Ja, ich merke auch gerade, wie verwirrend der Begriff "politisch korrekt" offenbar ist. Jetzt bin ich selbst schon ganz durcheinander. (lacht) Es gibt also nicht nur viel zu tun, um uns alle vorwärts zu bringen, sondern auch darüber, wie man das Ganze kommuniziert. Ich hoffe einfach, dass wir in zehn Jahren auf das Filmjahr 2019 zurückblicken und realisieren, dass wir uns seither weiter- statt zurückentwickelt haben. Wenn ich überlege, was ich mit Anfang 20 teils für Filme gedreht habe – ich glaub, manche will ich gar nicht mehr sehen. (lacht) Aber es hat sich ja nicht nur meine Perspektive verändert, sondern auch meine Lebensumstände – ich war damals froh, überhaupt Rollen zu bekommen. Ich hätte mich damals nie beklagen wollen, geschweige denn, dass ich mich hätte beklagen dürfen. Heute dagegen traue ich mich, was zu sagen, wenn ich was unangebracht finde. Wie sehr alte Strukturen noch vertreten sind, habe ich übrigens neulich wieder beim Dreh bemerkt:
Es war ein wirklich guter Film! Aber bei einer Szene, da habe ich mir an den Kopf gepackt: Meine Figur hat sich in einen Mann verliebt und war mit ihm Abendessen. Und in der Szene geht es darum, dass sie nun zurückfahren – im Auto
meiner Figur! Und die Szene beginnt damit, dass ich folgendes sage: "Entschuldigung, ich fahre lieber selber – ich bin keine gute Beifahrerin."
Hä?!
So habe ich auch reagiert. Bloß, weil ich eine weibliche Figur bin, muss ich mich bei meinem männlichen Fahrgast entschuldigen, dass ich fahren will. In meinem Auto! Das hat gezeigt, wie sehr die Sehgewohnheit es ist, dass der Mann fährt. Das ist doch albern und hab das auch gesagt und … auf einmal meinten alle: "Huch, du hast recht! Ändern wir schnell!" Aber das hat man so aus Gewohnheit geschrieben – das finde ich schon bemerkenswert.
Dann wünsche ich Ihnen, dass Sie nicht öfter solche Anmerkungen bringen müssen – und bedanke mich für das tolle Gespräch.
«Skylines» ist ab sofort auf Netflix abrufbar.