Gestartet als Quotentod hat das 50 Minuten lange Vormittags-Magazin im Ersten eine gewaltige Entwicklung hingelegt. Denn auch wenn die behandelten Themen so gar nicht gewaltig sind, findet die Produktion mehr und mehr Anklang. Und mit ihr auch das bis auf einen Punkt sehr stimmige Studioset.
Braucht es das denn wirklich? Seit mehr als einem Jahr bietet nicht nur das ZDF ein Service-Magazin für all diejenigen, die am Vormittag Zeit haben, sich vom Fernsehprogramm berieseln zu lassen, sondern auch Das Erste. Mit der Programmentscheidung brach die ARD mit der Tradition nicht auf Teufel komm raus direkt gegen das ZDF zu programmieren. Und man wagte einen mutigen Schritt – nämlich in Konkurrenz zu gehen mit dem seit gut 20 Jahren etablierten «Volle Kanne» zu gehen. Die ZDF-Vormittagssendung startete nämlich im August 1999.
Die Quittung kam prompt – die Quoten waren zunächst miserabel, ließen aber schon nach einigen Wochen erstmals vorsichtig aufhorchen. Sie waren immer wieder da, die kurzen Ausreißer nach oben. Konzeptuell schien das Konzept – immer die avisierte Zielgruppe im Blick – durchaus stimmig. Mit vielen regionalen Themen und Beiträgen von vor Ort wollte sich «Live nach Neun» nicht nur vom fast unmittelbar davor geendeten «Morgenmagazin» abheben, sondern auch vom ZDF-Pendant. Eben diese Reporter über komplett Deutschland verteilt zu haben, ist letztlich ja auch eine der wesentlichen Stärken der Sendung.
Freilich – nicht alle Themen haben einen derart regionalen Bezug, doch auch jetzt – fast eineinhalb Jahre nach dem Start – finden sich solche regionalen Stücke noch im Format. Unter dem Label „Raus ins Leben“ besuchten Journalisten der Sendung Wildvogelauffangstationen, waren dort, wo Weltraum-Satelliten entstehen oder besuchten einen Viehscheid im Allgäu. Deutlich stärker vorhanden als direkt zu Beginn ist jedoch der Servicecharakter. Während Wetter-Talks eine ähnlich umfangreiche Rolle einnehmen wie vor knapp eineinhalb Jahren, haben sich die Service-MAZEN deutlich vermehrt. In den vergangenen Tagen und Wochen ging es recht ausführlich um’s Reifenwechseln, die Notwendigkeit des Händewaschens oder um „alte Tomatensorten“.
Gemixt werden die Vor-Ort-Geschichten regelmäßig auch mit Studiogästen, beispielsweise einem Gewinn-Berater von Lotto Berlin. Boulevard wird also groß geschrieben – das ist auch weiterhin am Studio erkennbar. Mittlerweile ist die Sendung umgezogen, kommt nicht mehr aus Düsseldorf, sondern wird in Köln produziert. Das nutzten die Macher, um ihr Studio marginal zu verändern. Den Studiohintergrund bilden verschiedene Elemente, unter anderem große LED-Monitore, die in für die jeweilige Jahreszeit typische Farben getaucht werden können. Zuletzt kamen hier vor allem herblichste braun- bis goldtöne zum Einsatz. Ungewöhnlich ist der Einsatz eines recht klassischen, hellen Vorhangs vor den Wänden, der mit Luft angepustet wird, sodass er sich stetig ganz leicht bewegt. Durch dieses recht einfache Stilmittel bringen die Macher Bewegung ins Set.
Ohnehin: Die Einrichtung ist mehr als gelungen – neben einem pinken Tisch ist eine wunderschöne hellblaue Kommode als eine Art Raumtrenner weiterhin erster Eyecatcher. Den Umzug überstanden hat zudem auch eine auf eigenen Füßen stehende und weiterhin goldene Badewanne. Das Utensil, das im Verdacht stand, wegen Sinnlosigkeit als erstes die Segel zu streichen, hat also die knapp eineinhalb Jahre überlebt. Es ist quasi ein gewisses Sinnbild für die gesamte Sendung, die bis mindestens Ende 2020 gezeigt wird, wie die ARD-Oberen in diesem Jahr entschieden.
Was wurde aufgegeben? Vor allem die etwas starre Haltung bei der Moderatoren-Einteilung. Ursprungsplan war, immer ein Duo bestehend aus Mann und Frau und aus zwei Generationen durch die Sendung führen zu lassen. Davon wich man komplett ab, führte zudem 2019 drei neue Moderatoren ein: Anne Willmes, Marco Lombardo und Peter Großmann, die allesamt schon durch andere ARD-Produktionen führen und beim Publikum jeweils gut ankommen.
Nun mag es für das geschulte Auge vielleicht seltsam erscheinen, dass «Live nach Neun» sich immer öfter traut, auch gleichgeschlechtliche Duos durch Sendungen führen zu lassen, inhaltlich tut dies der Qualität keinen Abbruch. So bleibt «Live nach Neun» eine nette Nebenbei-Unterhaltung, deren MAZen vereinzelt sogar dahingehend Mehrwert liefern, als dass sie Zuschauer an Plätze einladen, die sie sonst nicht kennen. Weil das Format nicht weh tut, solide produziert ist und die zuvor auf dem Slot gezeigten Re-Runs der Daily «Rote Rosen» ohnehin in der ARD-Mediathek zur Verfügung stehen, darf die Redaktion gerne auch noch über 2020 hinaus produzieren.