Sonntagsfragen an Kirsten Erl (Teil II)
Wie real sind die Fälle, die im Fernsehen gezeigt werden? Könnte so etwas wirklich in einem deutschen Gericht passieren?
Das kann man nicht pauschal beantworten. Unsere Fälle sind erfunden, das werden wir übrigens auch oft gefragt.
Die Fälle sind fiktiv, die hat sich die Redaktion ausgedacht und sich dabei aber natürlich an der Realität bedient. Sie haben also entweder etwas in der Zeitung gelesen oder etwas Ähnliches im Radio gehört. Dann haben wir Dinge dabei, die einfach aus dramaturgischen Gründen mit rein geschrieben werden. Im wirklichen Leben gibt es ganz viele Straftäter, die von Anfang an geständig sind. Wenn jemand im Fernsehen nach fünf Minuten sagen würde „Ja, ich war’s“, dann wäre der Fall erledigt. Deswegen müssen wir immer eine Spannungskurve haben und am Ende bauen wir meistens noch eine Überraschung ein. Das ist Unterhaltung.
Im wirklichen Leben ist eine Gerichtsverhandlung aber eben keine Unterhaltung, weil es um Menschenleben, um Freiheit oder Nicht-Freiheit geht. Der Gang der Hauptverhandlung, die Formalien und alles das entspricht den wirklichen Umständen. Ein weiteres Beispiel, wo es große Unterschiede gibt sind Mordprozesse: Wir stellen gelegentlich eine Verhandlung beim Landgericht dar. So ein Prozess dauert im wirklichen Leben mehrere Verhandlungstage. Wir beim Fernsehen machen das in einer Stunde. Deswegen ist so ein Prozess dann sehr komprimiert und so entstehen da dann schon einige Unterschiede. Juristisch versuchen wir aber durchaus, alles korrekt aufzubauen und auch alles ordentlich darzustellen.
Court-Shows haben in der Bevölkerung nicht gerade den besten Ruf. Wie standen Sie früher zu solchen Formaten, wie stehen Sie heute dazu und warum hat sich Ihre Meinung vielleicht geändert?
Ich habe früher schon Gerichtsshows geschaut, allein aus beruflichem Interesse. Als Barbara Salesch damit anfing, hat mich das natürlich interessiert. Wie wird mein Berufsbild dargestellt? Gerade am Anfang, als Frau Salesch noch Zivilrecht verhandelt hat, hat mir die Sendung sehr gut gefallen. Damals sind ja auch witzige Sachen entstanden, wie zum Beispiel der „Maschendrahtzaun“. Aber zu der Zeit, in der Gerichtsshows normalerweise laufen, war ich immer arbeiten. Deswegen habe ich keine Sendung jeden Tag geschaut, aber immer mal wieder, wenn ich eben Zeit hatte. Und da ist es wie überall im Leben: Es gibt bessere und mal weniger gute Folgen. Ich habe auch Episoden gesehen, wo ich mir gedacht hab: „Na ja.“ Aber genauso gab’s auch Sendungen, die ich sehr unterhaltsam fand. Wenn man aber selbst mitspielt, ist das sehr schwierig, so etwas zu beurteilen. Ich habe meine ersten Sendungen selbst auch im Fernsehen angeschaut, aber ob der Fall jetzt gut oder spannend ist, kann ich nicht sagen, weil ich den Ausgang schon kannte.
Jeder entscheidet für sich, was ihn unterhält und was er gut findet und das ist auch okay so. Gerichtsshows sollen Unterhaltung am Nachmittag bieten und die, die Lust haben, das anzuschauen, die sollen reingucken. Und wir versuchen dabei natürlich, unser Bestes zu geben.
Als Richterin hat man oftmals den ganzen Tag mit „sozialen Brennpunkten“ zu tun. Man hört viele Probleme, hört wenige schöne Geschichten. Wie schaffen Sie es, nach einem Verhandlungstag wieder einen „freien Kopf“ zu bekommen?
Für mich ist Sport sehr wichtig. Ich gehe regelmäßig laufen, schnappe mir meinen Hund und jogge mit ihm durch den Park. Das ist eine gute Art und Weise, gewisse Sachen zu verarbeiten. Es ist ja nicht so, dass ich mit dem Schließen der Bürotür alle Probleme mit wegschließe. Man nimmt den einen oder anderen Fall mit nach Hause, grübelt über eine tragische Geschichte, die hinter einer Tat steht und hat so keinen freien Kopf.
Das ist sowohl vor einem Fall, also bei der Vorbereitung als auch nach einem Fall so. Gerade vor einer schwierigen Verhandlung tut mir das sehr gut. Da denke ich noch mal darüber nach, was mich alles so erwarten wird und auf was ich besonders achten will. Auch im wirklichen Leben gibt es besonders emotionale Verhandlungen, da spielen sich im Gerichtssaal manchmal schon kleine Tragödien ab. Oft tun mir die Opfer auch leid, wenn sie zum Beispiel besonders schwere Verletzungen erlitten haben.
Oftmals ist es aber auch so, dass schon die Anklage alleine ausreicht, um den Ruf und auch das Leben eines Menschen zu zerstören. Gute Beispiele sind hier Michael Jackson und Andreas Türck.
Bei Andreas Türck habe ich das zunächst auch gedacht. Ich war mir auch sicher, dass er diesen „Makel“ nie wieder los wird. Jetzt scheint es aber wohl doch so zu sein, dass er relativ eindeutig freigesprochen wurde. Die Zeugin und das vermeintliche Opfer haben wohl nicht die Wahrheit gesagt. Prozessbeobachter haben das in Interviews ja von vornherein gesagt. Problematisch ist es eigentlich nur dann, wenn es am Ende in der Urteilsbegründung heißt, „wir wissen nicht, was passiert ist, aber wir sprechen ihn aus Mangel an Beweisen frei“.
Bei Andreas Türck denke ich, dass viele davon überzeugt sind, dass er das „Opfer“ nicht vergewaltigt hat. Aber ich gebe Ihnen natürlich recht: Die Staatsanwaltschaft muss aufpassen, ob sie jemanden anklagt. Da muss sorgfältig gearbeitet und überlegt werden, weil wenn man jemanden anklagt, dann hat das für ihn schwerwiegende Folgen. Deswegen müssen ganz massive Beweise vorliegen, bevor man so einen Schritt geht. Das ist ganz besonders der Fall, wenn es um Delikte wie Vergewaltigung geht oder es etwas mit Kindern zu tun hat. Das ist dann immer ein ganz besonders sensibles Thema. Man muss dem Sachverhalt nachgehen, darf aber auf der anderen Seite auch keinen Menschen zu Unrecht anklagen. Es ist aber nicht möglich, das immer im Vorfeld herauszufinden, manchmal stellt sich der wahre Hergang wirklich erst während einem Prozess heraus.
Auch an Sie zwei Fragen aus der Kategorie „Sonntagsfragen – kurz und knapp“: Welche TV-Sendung verpassen Sie nie?
Ich gucke gerne «Wer wird Millionär», ich sehe «Einsatz in vier Wänden» sehr gerne, weil man da einfach sieht, wie eine Wohnung verschönert wird. Ich gucke ganz gerne aber auch Krimis, was man vielleicht gar nicht denken mag (lacht). «CSI» finde ich zum Beispiel sehr spannend. Und ab und zu schalte ich auch bei Formel 1 ein.
Was möchten Sie Ihren Fans sagen?
(überlegt) Ich freue mich, wenn sie meine Sendung anschauen. Sie sollen gerne an die Redaktion schreiben, wenn ihnen Dinge nicht gefallen. Wir haben es ja schon besprochen, dass Gerichtsshows immer wieder in der Kritik stehen und wir wollen da auch gerne wissen, was wir möglicherweise verändern können. Ich mag auch einige Sachen nicht so gerne. Wenn zum Beispiel ganz viel geschrieen wird, wenn die Leute sich an die Gurgel gehen, das alles mag ich nicht so gerne. Vielleicht finden das aber manche Fans toll?! Das würde mich sehr interessieren. Vor allem würde mich interessieren, wie die Zuschauer auf die Veränderungen reagieren. Wir haben jetzt kleine Einspielfilme, Besprechungen mit dem Staatsanwalt und dem Verteidiger und so weiter.
Frau Erl, ich wünsche Ihnen ganz viel Erfolg als Fernsehrichterin und bedanke mich für das Interview.