«Perfect Strangers» & «Le Jeu – Nichts zu verbergen»: Zwei sehr empfehlenswerte Kammerspielkomödien über perfekte Geheimnisse

Drei Frauen. Vier Männer. Sieben Telefone. Und die Frage: Wie gut kennen sich diese Freunde und Paare wirklich? Bei einem Abendessen entschließen sie sich zu einem Spiel: Alle legen ihre Smartphones auf den Tisch, und alles, was reinkommt, wird geteilt …

«Perfect Strangers»


Filmfacts «Perfect Strangers»

  • Regie und Story: Paolo Genovese
  • Produktion: Marco Belardi
  • Drehbuch: Paolo Genovese, Filippo Bologna, Paolo Costella, Paola Mammini, Rolando Ravello
  • Darsteller: Giuseppe Battiston, Anna Foglietta, Marco Giallini, Edoardo Leo, Valerio Mastandrea, Alba Rohrwacher, Kasia Smutniak
  • Musik: Maurizio Filardo
  • Kamera: Fabrizio Lucci
  • Schnitt: Consuelo Catucci
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
  • Laufzeit: 97 Minuten
Dinnerparty während einer Mondfinsternis unter (Noch)-Freunden: Ein langjähriges Ehepaar, er ist Schönheitschirurg, sie ist Psychotherapeutin, begrüßt zwei befreundete Pärchen bei sich: Ein gestresstes Ehepaar mit Kindern, und ein noch etwas frischer gebackenes, hibbeliges Pärchen ohne Kinder – sie ist trotz ihrer Quirligkeit im Leben angekommen, er tingelte sein Leben lang von Job zu Job und arbeitet aktuell als Taxifahrer. Die drei Paare hoffen, an diesem Abend endlich die Freundin ihres Kumpels Peppe kennenzulernen. Doch Peppe kommt alleine, was zuerst für eine große Runde Enttäuschung unter den Freunden sorgt. Aber im Laufe des Abends sollen noch ganz andere Gefühlsschwankungen aufkommen:

Am Esstisch wird beschlossen, dass es für diesen Abend keine digitalen Geheimnisse gibt. Jede SMS, jeder Anruf, jedes empfangene Foto – alles wird mit der gesamten Gruppe geteilt. Das Übel ist unausweichlich: Es dauert nicht lange, und die ersten Verurteilungen werden ausgesprochen. Bald wird der Tonfall rauer. Aus Freunden werden Feinde, Beziehungen drohen zu zerbrechen …

«Perfect Strangers», auf seinem Heimatmarkt als «Perfetti sconosciuti» bekannt, war im Februar 2016 ein immenser Überraschungserfolg: Die Kammerspiel-Streitkomödie mit dramatischen Beiklängen wurde von der Kritik umjubelt und nahm überaus stattliche 31,47 Millionen Euro an den Kinokassen ein. Und dieser Erfolg überrascht auch kein Stück: Die Grundidee allein zündet schon. Smartphones als Erbringer und Zerstörer von Doppelidentitäten zu skizzieren, ist ein köstlicher Einfall, und das Drehbuch nimmt diese Ausgangsidee als Sprungbrett für feurige Streitgespräche.

Unter anderem schlagen sich die Freunde und Liebenden die Köpfe ein, weil durch das "Sämtliche Kommunikation wird offengelegt"-Spiel ein Freund herausfindet, dass sich seine Kumpels ohne ihn zum Fußballspielen treffen. Sie streiten, weil einer der vergebenen Männer zu vertuschen versucht, dass er täglich ein sehr freizügiges Foto erhält, und weil eine der Frauen ihrem Freund bisher verheimlicht hat, dass sie weiterhin Kontakt zu ihrem Ex unterhält. Dass die Gastgeberin eine Brust-OP unternimmt, nicht aber bei ihrem Mann, sorgt genauso für Zündstoff. Den meisten Zündstoff bringt aber Peppe mit, der durch eine Verwechslung Bestätigung in seiner Sorge erhält, dass seine Freunde wohl wirklich nicht die Menschen sind, denen er sich anvertrauen möchte …

In einem eleganten, dunklen filmischen Look gehalten, wird der Schauplatz in seiner gepflegten, aber auch vollgestopften Landhaus-Ästhetik zur Bände sprechenden Kulisse für diesen Verbalkrieg der Freunde: Regisseur Paolo Genovese und Kameramann Fabrizio Lucci setzen auf minimale Beleuchtung und eine Dominanz erdiger Farbtöne, und mit konsequentem Voranschreiten des Streitgesprächs ändert Genovese die Gangart, mit der er sein Ensemble zanken lässt. Was eingangs als "Haha, schau nur, was die sich alle einbrocken" beginnt, erhält zunehmend eine bitter-diebische Freude daran, wie sich diese Mistkerle und heimtückischen Damen selber als fiese Menschen enttarnen. Gleichwohl wird durch dramatische Pausen und das Innehalten der Kamera verdeutlicht, welche Tragik hinter dieser Situation steckt: Diese Menschen haben einander vertraut – und das völlig vergebens.

Der Cast meistert diese tonale Ambivalenz, und auch wenn Genovese seinen allerletzten Twist ungelenk umsetzt, räsoniert seine Aussage. Schlussendlich stellt «Perfetti sconosciuti» die profunde Frage: Was ist trauriger – seine Freunde zu verlieren, oder nicht zu erahnen, wie schlecht die Beziehungen sind, die wir zueinander pflegen?

«Perfetti sconosciuti» ist als Import-DVD erhältlich.



«Le Jeu – Nichts zu verbergen»


Filmfacts «Le Jeu – Nichts zu verbergen»

  • Regie: Fred Cavayé
  • Produktion: Pietro Valsecchi, Camilla Nesbitt, Stéphane Célérier, Valérie Garcia
  • Darsteller: Bérénice Bejo, Suzanne Clément, Stéphane De Groodt, Vincent Elbaz, Grégory Gadebois, Doria Tillier, Roschdy Zem
  • Drehbuch: Fred Cavayé, basierend auf «Perfetti Sconosciuti»
  • Musik: Christophe Julien
  • Kamera: Denis Rouden
  • Schnitt: Mickael Dumontier
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
  • Laufzeit: 90 Minuten
Dinnerparty während einer Mondfinsternis unter (Noch)-Freunden: Ein langjähriges Ehepaar, er ist Schönheitschirurg, sie ist Psychotherapeutin, begrüßt zwei befreundete Pärchen bei sich: Ein gestresstes Ehepaar mit Kindern, und ein noch etwas frischer gebackenes, hibbeliges Pärchen ohne Kinder – sie ist trotz ihrer Quirligkeit im Leben angekommen, er tingelte sein Leben lang von Job zu Job und arbeitet aktuell als Taxifahrer. Die drei Paare hoffen, an diesem Abend endlich die Freundin ihres Kumpels Ben kennenzulernen. Doch Ben kommt alleine, was zuerst für eine große Runde Enttäuschung unter den Freunden sorgt. Aber im Laufe des Abends sollen noch ganz andere Gefühlsschwankungen aufkommen:

Am Esstisch wird beschlossen, dass es für diesen Abend keine digitalen Geheimnisse gibt. Jede SMS, jeder Anruf, jedes empfangene Foto – alles wird mit der gesamten Gruppe geteilt. Das Übel ist unausweichlich: Es dauert nicht lange, und die ersten Verurteilungen werden ausgesprochen. Bald wird der Tonfall rauer. Aus Freunden werden Feinde, Beziehungen drohen zu zerbrechen …

Diese Plotangabe kommt euch bekannt vor? Keine Sorge, weder spinnt ihr, noch eure Webanzeige. Und ein Versehen unsererseits liegt auch nicht vor: «Le Jeu – Nichts zu verbergen» hat dieselbe Ausgangsidee, denselben Plot, dieselbe Figurenkonstellation und phasenweise auch dieselben Gags wie «Perfetti sconosciuti». Aber da wurde weder geklaut, noch abgeguckt, noch der bloße Umstand, dass man sich auf die Schultern eines kreativen Riesen gestellt hat, halbgar vertuscht: «Le Jeu – Nichts zu verbergen» ist, und das verkündet unter anderem das Poster zu dieser französischen Komödie ohne jegliche Scham, ein Remake von «Perfetti sconosciuti». Warum auch sollte es anders sein?

Noch bevor «Le Jeu – Nichts zu verbergen», hierzulande ein Netflix-Originalfilm, in die französischen Kinos kam, berichteten nämlich zahlreiche (vornehmlich italienische) Portale, dass «Perfetti sconosciuti» einen Weltrekord geknackt hat: Sage und schreibe 18 Remakes zu diesem Film wurden in Gang gesetzt (von denen manche noch nicht erschienen sind). In Griechenland und Spanien war man besonders fix, im Herbst 2018 erschien dann mit «Le Jeu – Nichts zu verbergen» in Frankreich, Belgien und der französischen Schweiz eine weitere von vielen Varianten. Wer das Original kennt, wird hier sehr viel wiedererkennen – «Le Jeu – Nichts zu verbergen» ist keine lose Adaption, sondern ein Remake mit dezenten Anpassungen an den Markt, die Stilistik des Regisseurs und an die neuen Darsteller.

Dessen ungeachtet hat «Le Jeu – Nichts zu verbergen» aber zweifelsfrei seinen Reiz und seine Daseinsberechtigung. So setzt das französische Remake durch eine stringentere Einleitung auf eine größere Einheit von Ort, Zeit und Handlung und bringt konsequenterweise schneller den Ball ins Rollen. Darüber hinaus erschafft Regisseur Fred Cavayé eine grundsätzlich andere Ästhetik. Weg von der reduzierten Ausleuchtung und dem Bildungsbürger-Landhausstil, hin zu einer hellen, hippen Lichtsetzung, einer bunteren Farbpalette und einem modernen Großstadt-Loft. Die Kamerasetzung unterstreicht stärker die Dynamik des Gesprächs, der zügige Schnitt betont Pointen stärker als im Original. Allerdings lässt Cavayé seine Figuren gelegentlich geordneter reden, was manchen Zank etwas künstlicher wirken lässt – der inszenatorische Schwung gleicht das aber aus.

Auch die Figuren sind im Detail angepasst. Die Gastgeberin (gespielt von Oscar-Anwärterin Bérénice Bejo) ist beispielsweise geschäftiger und dominanter als ihr italienisches Pendant, Ben ist sensibler und wird generell stärker als Außenseiter charakterisiert als Peppe im italienischen Film. Damit erhält der dritte Akt ein größeres tragikomisches Gewicht, selbst wenn der Krach unter den Freunden (selbst bei einem verdammt ähnlichen Skript) etwas forcierter in Gang kommt.

Aus den bitterkomisch-dramatisch getakteten und inszenierten Auseinandersetzungen des italienischen Films wird hier mittels behutsamer Änderungen eine explosivere, schrillere Verbalkabbelei. Dennoch hat dieser Film Leben, eine eigene Charakteristik und zudem einen esoterischer angehauchten Ausgang, der die schwere Schlussfrage des Vorbilds auf dezent, doch entscheidend andere Weise einläutet. So lässt Fred Cavayé sein zackiges Streitkomödie-Remake als flotte, doch nachdenkliche Streit-Tragikomödie nachhallen. Sehenswert!



«Le Jeu – Nichts zu verbergen» ist auf Netflix abrufbar.
28.10.2019 10:10 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/113209