In ihrem nunmehr siebten Spielfilm kombiniert die Regisseurin Julie Delpy ein herbes Scheidungsdrama und eine düstere Zukunftsvision. Ein spannender Genrespagat, der im Falle von «My Zoe» leider nicht ganz aufgeht.
Filmfacts: «My Zoe»
Start: 14. November 2019
Genre: Drama/Science-Fiction
FSK: 12
Laufzeit: 100 Min.
Kamera: Stéphane Fontaine
Buch und Regie: Julie Delpy
Darsteller: Julie Delpy, Richard Armitage, Daniel Brühl, Gemma Arterton, Sophia Ally, Saleh Bakri
OT: My Zoe (UK/DE/FR 2019)
Wenn in einem Film zwei verschiedene Genres aufeinanderprallen, wird es ja oft erst so richtig interessant. In einem Hybriden aus Komödie und Drama setzt man auf vollkommen gegensätzliche Emotionen. Im Falle eine Horrorcomedy besteht die große Kunst darin, den Grusel nicht mit dem Humor zu ersticken. Manchmal ergänzen sich zwei Filmgattungen aber auch einfach nur sehr treffend, wie etwa im Falle eines Actionthrillers. Regisseurin und Schauspielerin Julie Delpy («Before»-Reihe) inszeniert ihre nunmehr siebte Langfilmregiearbeit nun ebenfalls als einen Genre-Mix – in diesem Fall ist die erste Hälfte von «My Zoe» ein herbes Familiendrama über zwei Eltern, die sich nach der Scheidung mit den Tücken des geteilten Sorgerechts beschäftigen müssen. Nach rund der Hälfte mutiert ihre ganz und gar bodenständige Geschichte dann aber plötzlich zur Sci-Fi-Zukunftsvision, die die vorausgegangene Dreiviertelstunde eben nicht stimmig um eine weitere Ebene ergänzt, sondern sich eher wie ein überlanger und noch dazu vollkommen art- (oder besser: welt-)fremder Nachklapp anfühlt.
Für sich genommen überzeugen beide Hälften. Als kompletter Film dagegen fällt «My Zoe» vollkommen zwischen die Stühle und ginge in geraffter Form höchstens als ganz passable «Black Mirror»-Folge durch.
Ein herber Schicksalsschlag
Die Genetikerin Isabelle (Julie Delpy) ist dabei, sich nach der Scheidung von ihrem Mann ein neues Leben aufzubauen. Sie hat einen neuen Freund, und auch ihre Karriere will sie wieder neu beleben. Ihr Ex-Mann James (Richard Armitage) kann sich damit allerdings nicht abfinden und macht ihr mit dem Kampf um die Ausgestaltung des Sorgerechts für die gemeinsame Tochter Zoe (Sophia Ally) das Leben schwer. Dann aber kommt es zu einer Tragödie, die die zerbrochene Familie bis ins Mark erschüttert. Isabelle trifft eine Entscheidung und nimmt ihr Schicksal selbst in die Hand.
In «My Zoe» beweist sich Julie Delpy nicht nur einmal mehr als formidable Schauspielerin, die insbesondere in der subtilen zwischenmenschlichen Interaktion mit ihrer Filmtochter Sophia Ally («Edison – Ein Leben voller Licht») überzeugt. Als Regisseurin und Drehbuchautorin stellt sie hier auch ihre ganz besondere Beobachtungsgabe darin unter Beweis, den zwar längst durch die Scheidung und Sorgerechtsregelungen besiegelten, aber gleichzeitig auch immer wieder unterschwellig ausgefochtenen Kampf um die Gunst der gemeinsamen Tochter zu inszenieren. Delpy und ihr Filmehemann Richard Armitage («Ocean’s 8») verbindet außer die Sorge um Zoes Wohl nichts mehr miteinander. Und doch können sich beide Sticheleien gegen den jeweils anderen nicht verkneifen; ob nun aus Gehässig- oder Hilflosigkeit – gerade bei James klingt immer wieder auch etwas Wehmut über die unschöne Trennung an – darüber lässt einen der Film weitestgehend im Unklaren.
Und so ist «My Zoe» gerade in der ersten Hälfte eine berührend-authentische Momentaufnahme über zwei sich ehemalige Liebende, deren tiefe Verbindung zueinander allenfalls in Extremsituationen noch durchscheint und die sich doch nicht zu schade dafür sind, sich selbst im Todeskampf ihrer Tochter verbal an die Gurgel zu gehen und einander Schuldvorwürfe zu machen. Und auch die Hilflosigkeit, mit der Isabelles neuer Partner Akil (Saleh Bakri) zum Zuschauen verdammt ist, lässt Delpy in einigen einprägsamen Momenten deutlich werden.
Wie eine überlange «Black Mirror»-Folge
Dass man die einstige Liebe der beiden Ex-Eheleute trotzdem immer wieder mal zu erahnen glaubt, liegt an dem nuancierten Spiel der beiden optimal aufeinander eingespielten Hauptdarsteller. Delpy und Armitage überzeugen nicht nur in den emotionalen Extremen. Stattdessen ist es in erster Linie ihr nahezu intuitives Aufeinander eingehen, das deutlich macht, wie eng die beiden einst miteinander waren, dass sie das Verhalten ihres Gegenübers noch immer vorherzusehen scheinen. Doch auch in den großen Gesten bleiben die zwei absolut glaubwürdig. Die Verzweiflung ob des bevorstehenden Todes steht ihnen ebenso ins Gesicht geschrieben wie die Wut ob der Ungerechtigkeit. Die emotional höchst aufwühlenden Momente im Wartezimmer des Krankenhauses sind klar die stärksten des gesamten Films. Vielleicht auch deshalb ist der stete dramaturgische wie qualitative Fall ab dem Moment von Zoes Tod umso stärker zu spüren, denn für Delpy scheint das eigentliche Anliegen ihres Films erst damit eingeläutet, dass die von ihr verkörperte Mutter anschließend versucht, ihr eigen Fleisch und Blut zu klonen (!).
Damit eröffnet sie ihrem Film zwar ganz neue moralische Dimensionen, aber der neue Plot fügt sich absolut inhomogen zu allem Vorausgegangenen.
Das beginnt schon damit, dass man erst nach etwa der Hälfte der Spielzeit überhaupt realisiert, dass sich die Geschichte nicht in der Gegenwart, sondern in einer nicht näher definierten Zukunft abspielt. Anzeichen dafür bilden in erster Linie futuristische Technikgadgets wie etwa ein zusammenfaltbarer Tablet-Computer oder eine noch smartere Weiterentwicklung heutiger Smartwatches. In dieser ungenauen Verortung der Geschichte liegt zweifelsohne auch ein gewisser Reiz; Gleichwohl gerät der Sprung vom unaufgeregten Familiendrama hin zum Sci-Fi-Krimi derart grobschlächtig, dass man nicht das Gefühl hat, hier einer in sich geschlossenen Geschichte zuzuschauen. Die Konflikte aus der ersten Hälfte von «My Zoe» sind mit dem Tod der Tochter kommentarlos abgeschlossen. Richard Armitage verschwindet sogar ganz aus der Handlung. Stattdessen folgen wir Delpys Isabelle bei ihren Gesprächen mit dem Genetikarzt Dr. Fischer (Daniel Brühl in einem insgesamt recht blassen Auftritt), der sie zwar mit seinen moralischen Bedenken konfrontiert (bislang hat er nur Tiere aber keine Menschen geklont), diese Zweifel aber recht schnell vergisst, als ihn die Mutter nur lang genug mit traurigen Augen anschaut.
Was folgt, böte Stoff genug für einen ausladenden zweieinhalb-Stunden-Film, wird hier allerdings im Zeitraffer abgehandelt; ehrliches Interesse am Ausgang der Geschichte kommt in diesen Momenten vollkommen abhanden. Und obwohl Delpy die Verzweiflung und Aufopferungsbereitschaft für ihre tote Tochter ins Gesicht geschrieben stehen, lässt es sich fortan nicht mehr mit ihr mitfühlen. Im Eiltempo rast «My Zoe» schließlich auf sein zweifelhaftes Ende hin, vorbei an Gemma Arterton («Ihre beste Stunde») in einem Kurzauftritt, der eigentlich viel mehr Beachtung hätte vertragen können. Wie fast alles in der zweiten Hälfte von «My Zoe».
Fazit
Mit «My Zoe» erzählt Autorenfilmerin Julie Delpy zwei Geschichten in einer – das herbe Familiendrama um Sorgerecht und familiären Neubeginn ist sehr gelungen, der Sci-Fi-Krimi um die Moral des Klonens dagegen nicht.
«My Zoe» ist ab dem 14. November in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.