Die ProSieben-Show «Queen of Drags» wurde vorab intensiv kritisiert – nicht zuletzt aufgrund der Beteiligung von Heidi Klum. In der Auftaktfolge hat sie jedoch relativ wenig zu sagen. Ist das die Rettung von «Queen of Drags»?
Das Konzept
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Conchita im Interview mit 'Zeit Online'
Fernsehdeutschland bekommt noch einen Mix aus Wettbewerbsformat und Dokusoap: «Queen of Drags» schielt ins «Germany's Next Topmodel»-Lehrbuch und verquickt Einblicke in die Kandidaten-WG (eine geräumige Villa im sonnigen Kalifornien) und Interview-Schnipsel mit Juroren und Teilnehmern mit großen Auftritten, die bewertet werden. Und nach und nach dünnt sich das Teilnehmerfeld aus. Statt Models (beziehungsweise Model-Hoffnungen) sind es dieses Mal halt zehn Drag Queens aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die vorab von der Sendungsredaktion ausgesucht wurden – unter anderem wurden Instagram-Accounts durchforstet, um potentielle Namen für das «Queen of Drags»-Aufgebot zu finden.
Die Stammjuroren Heidi Klum, Bill Kaulitz und Conchita Wurst stellen den Drags jede Woche eine neue Aufgabe. Dann begleiten wir die Drags bei ihrer Vorbereitung, lernen sie in Interviewschnipseln näher kennen und bekommen auch Auseinandersetzungen, Teamwork und Trubel in der Villa zu sehen. Dann stellt sich letztlich die große Frage: Wer setzt das Motto besonders gelungen um? Wer inszeniert sich am besten auf der großen Showbühne und begeistert die drei Stammjuroren und die prominenten Gäste? In der Auftaktfolge zu Gast: Olivia Jones.
Die Vorabkritik
Unmittelbar nach der Ankündigung, dass ProSieben mit «Queen of Drags» eine Drag-Wettbewerbsshow plant und dass Heidi Klum in der Jury sitzen wird, ging ein Wutschrei durchs (digitale) Land. Wiederholt wurde spekuliert, dass bei dieser Konstellation unweigerlich ein Format entstehen wird, das kalkulierter und unsensibler mit der Drag-Kunstform umgehen wird als das große, zum Kult gewordene US-Vorbild «RuPaul's Drag Race», das ein TV-Bollwerk der Akzeptanz ist.
Vice sammelte eine Vielzahl dieser kritischen Stimmen. Darunter befand sich Dita Whip, die über den Showablauf mutmaßt: "Letztendlich wird Conchita Wurst neben der Karambolage im Plusquamperfekt sitzen und machtlos zusehen, wie sich Klum und ProSieben auf Kosten queerer Kultur die Taschen vollstopfen."
In einer Online-Petition klagten die Berliner Szenegrößen Ryan Stecken und Margot Schlönzke wiederum: "Wir sehen es als problematisch an, dass eine heteronormative weiße Frau, die bisher keinerlei nennenswerte sichtbare Verbindung zur Drag-Community hatte und bisher auch nicht das Leben einer Drag gelebt hat, nun der deutschen Version der wahrscheinlich erfolgreichsten queeren Sendereihe vorsitzen soll und damit Geld verdienen wird."
Conchita entgegnete diesen kritischen Stimmen bereits in einem Interview mit 'Zeit Online' und argumentiert: Es braucht Heidi Klum, um das Format heutzutage als große Primetime-Show ins deutsche Fernsehen zu bringen. "Wäre dieses Format ohne sie zustande gekommen? Jetzt vielleicht nicht oder vielleicht auch nie. Oder vielleicht auf einem Sendeplatz, wo es niemanden interessiert hätte", lässt sich Conchita zitieren. "Sie ist natürlich ein Multiplikator und dazu noch ein sehr sensibler." Zudem gibt es einen Seitenhieb auf die kritischen Stimmen: "Die Kritik war wahnsinnig laut, und ich war ein bisschen irritiert, weil gerade unsere Community immer danach trachtet, inkludiert zu werden, zu inkludieren und ohne Vorurteile Menschen gegenüber zu sein."
Die Umsetzung
Während der Ausstrahlung der Auftaktfolge zeigte sich online die andere Seite der Meckermedaille. Die hässlichere: Unter anderem auf Twitter kamen jene hervorgekrochen, die ProSieben dafür kritisieren, dass «Queen of Drags» überhaupt läuft. Oder dafür, dass die Show zur Primetime läuft. "Sowas" müsse nach 23 Uhr laufen, um die Jugend zu schützen – und das war noch eine der weniger offensiv gehaltenen Äußerungen. Allerhand intolerante, auf widerliche Weise angewiderte Personen beschimpften das Format und seine Teilnehmer – und bewiesen damit, wie wichtig es ist, dass ProSieben «Queen of Drags» zur besten Sendezeit zeigt und in den sozialen Netzwerken mit gesundem Starrsinn diesen engstirnigen Kritiker Widerspruch leistet.
Und glücklicherweise scheint nicht nur das ProSieben-Social-Media-Team hinter der Botschaft der Toleranz und Vielfalt zu stehen. Die «Queen of Drags»-Premierenfolge selbst vermeidet nämlich –
meistens – die Stolperfallen, mit denen diese Darbietungsform im deutschen Fernsehen sehr häufig konfrontiert wird. Es ist nicht wie ein Schaulaufen der Paradiesvögel aufgezogen. Es werden spürbare Mühen getätigt, sich von dem Schmuddel- und Fetischimage zu distanzieren, das Drags in TV-Beiträgen gerne mal fälschlicherweise aufgezwungen wird. Die Drags dürfen in den Interview-Parts ausführlich ihre Faszination für diese Kunstform erläutern, mit Vorurteilen aufräumen und einfach nur menscheln. Dass sie es auch sind, die im Prolog das Showkonzept zusammenfassen, rückt den Fokus ebenfalls angenehm auf sie als Privatmenschen und Bühnenpersonen – so wird vermieden, dass die Sendung von Anfang an eine "Wir blicken von außen auf diese Leute"-Position annimmt.
Darüber hinaus hat sich die Redaktion beim Casting offenbar Mühe gemacht, einen talentierten Querschnitt zusammenzustellen. Sowohl die Drag-Persönlichkeiten als auch die Künstler dahinter sind nicht alle vom selben Schlag, sondern schrill oder scheu, provokant und gewollt künstlich oder zart und elegant, hibbelig oder ruhig … Und trotzdem kommen sie (jedenfalls in der Premiere) deutlich besser miteinander aus als alles, was man je in der «GNTM»-Villa gesehen hat. Ja, mal fasst eine Drag beim gemeinschaftlichen Feierabend-Gläschen den bisherigen Tag zusammen und wählt ihre Worte etwas unglücklich, so dass am Tisch eine Debatte ausbricht, ob sie die Anderen kränken wollte oder einfach nur schneller spricht als denkt. Und ja, während des Zurechtmachens liegen manche Nerven blank. Gemeinhin herrscht aber ein freundlicher und einladender Zusammenhalt vor. Die Drags wollen einfach nur ihre Kunstform präsentieren und erläutern, sich nicht bekriegen – nichts mit «GNTM»-Vorführfernsehen und forciertem Zank.
Und doch: Er ist da, dieser fade Beigeschmack, der sich hervorragend durch die ersten Gespräche zwischen Jury und Drags in der Villa erläutern lässt. Wir sehen eine Unterhaltung zwischen ein paar Drags und Conchita. Es geht um das Eingewöhnen an die Situation, Nervenflattern – und dann meint eine, das sei aber nun genug! "Wir müssen jetzt über dich und deinen Style sprechen", lenkt eine der Drags das Gespräch um, woraufhin über Conchitas aktuelles Auftreten gesprochen wird, das maskuliner und kantiger ist als zu «ESC»-Zeiten, wenngleich weiterhin der feminin konnotierte Anstrich vorhanden ist.
Andere Szene: Bill steht vor einer Personentraube, es wird locker über dies und das gesprochen, ehe eine Drag auf ihn zugeht und erzählt, wie wichtig es ihr einst war, einen geschminkten, 14-Jährigen Bill im Fernsehen zu sehen. Genauso wie Conchita reagiert auch Bill geschmeichelt und geht ruhig sowie bescheiden auf das neue Thema ein. Und Heidi Klum? Die erste Szene in «Queen of Drags», in der Heidi Klum etwas länger zu Wort kommt, zeigt sie, wie sie sich energisch in eine Gruppe Drags einbringt und mit Wucht das Thema auf sich lenkt: Sie stellt die Suggestivfrage, ob die Drags von der Kritik an ihr mitbekommen hätten und was sie denn davon halten würden, dass sie ja die Sendung angeblich nicht machen dürfe. Ohne Raum für Antworten zu lassen, macht sie weiter ihrem Unmut Luft:
"Ich bin offen für alles, tolerant für alle Menschen", sagt sie, und kritisiert, "die" hingegen seien so "untolerant". "Weil ich Hete bin, weiß bin und eine Frau bin, das ist total gemein", ruft sie, bevor sie erklärt, dass sie ja auch "geshamed" wird, weil sie so viel älter als ihr Mann ist.
So geht's auch: Allies im Hintergrund
Heidi Klum brachte laut mehreren Presseaussagen das Thema Drag erst an ProSieben heran und ist als Executive Producer für die Show verantwortlich. Das ehrt sie – dennoch bleibt nach der Auftaktfolge die Frage offen, weshalb es sie vor der Kamera braucht. Vielleicht wäre sie besser beraten, es Adam McKay & Will Ferrell gleichzutun. Sie produzieren feministische Filme wie «Booksmart» und «Hustlers», und tragen so zur Vielfalt im Kino bei – doch sie kommen in diesen Filmen nicht vor, da es in ihnen keinen Raum für sie gibt. Eventuell überrascht uns Klum aber in den nächsten Folgen und offenbart sich als wertvolle Drag-Schülerin vor der Kamera, so wie Comedy-Produzent Seth Rogen sich in Filmen wie «Long Shot» als guter Ally feministischer Filme beweist, den es anders als McKay & Ferrell vor die Kamera zieht. Basierend auf der Premiere stehen die Chancen aber gering.Fishing for Compassion würde man das im Englischen wohl nennen, oder fieser gesagt: Es ist ein unter dem Niveau der restlichen Sendung ablaufender Pseudo-Umgang mit der Vorabkritik. Man wird sagen können, man hätte ja ganz selbstreflektiv in «Queen of Drags» über die Vorabstimmen gesprochen, aber ganz ehrlich: Was bringt die Szene, außer dass Heidi Klum ein paar Sendeminuten lang "Ich, ich, ich, ich, ich" sagen konnte? Als würde irgendeine der Queens erwidern: "Sorry, Heidi, aber die haben schon irgendwie Recht. Du gehst in «GNTM» so fies und vorurteilbehaftet mit den Kandidatinnen um und du sollst nun die große Toleranz-Botschafterin von ProSieben werden? Und wie willst du denn bitte über uns richten? Conchita, ja – das sehe ich, aber welche Kompetenz hast du denn?"
Hätte man ehrlich auf die Kritik eingehen wollen, hätte es auch ein Interview-Einspieler mit Heidi und Conchita gebracht, in dem Klum erklärt, was sie hinter den Kulissen mit dem Format zu tun hat und dass sie hofft, der Sendung durch ihre Präsenz mehr Aufmerksamkeit zu bringen, selbst wenn sie nur eine Nebenrolle spielen wolle – und Conchita kann ihre Statements aus den vergangenen Tagen wiederholen. Das wäre ehrlicher – und in einer zweiten Staffel könnte man Klum dann ruhig ganz raus nehmen. Denn – und hier kommen wir zum zweiten großen Kritikpunkt: Sie leistet vor der Kamera schlicht keinen relevanten Beitrag. Im Doku-Part betont sie, lernen zu müssen und lernen zu wollen, doch dann ist sie, die selbstdeklarierte Ahnungslose, einige Sendeminuten später Jurorin. Da könnte man genauso gut ein paar Leute aus dem TV-Publikum nehmen, mit der Begründung: "Naja, eben in der Show wurde doch zum Beispiel ein Unterhöschen gezeigt, mit dem Mann effektiv sein Geschlechtsteil verstecken kann – das ist doch Vorwissen genug, um über eine Auswahl der besten Drags des deutschsprachigen Raums zu richten?!"
Fazit: «Queen of Drags» ist glücklicherweise nicht "Die Heidi-Klum-Show feat. ein paar intensiv geschminkte Männer", sondern legt seinen Fokus aufs Teilnehmerfeld sowie auf die Freuden und handwerklichen Tücken der Kunstform Drag. Showdramaturgisch orientiert man sich jedoch sehr an «Germany's Next Topmodel» (nur mit deutlich weniger WG-Zoff), was «Queen of Drags» künstlich einengt. Vielleicht lässt sich das noch in der Postproduktion späterer Folgen beheben.
Als Primetime-Bastion für Toleranz und Vielfalt ist «Queen of Drags» dessen ungeachtet (und auch trotz Heidi Klums "Ich, ich, ich"-Szene) ziemlich progressiv für das deutsche Showfernsehen. Ob das nun eine traurige Feststellung über das deutsche Showfernsehen ist oder ob «Queen of Drags» als wohlmeinende, noch etwas vorsichtige Dosis genau die richtige Medizin zum richtigen Medienzeitpunkt ist, das muss noch ausdiskutiert werden. Nach weiteren Folgen und somit mit mehr Anhaltspunkten. Und von Leuten, die mehr Kompetenz in der Materie mitbringen.
«Queen of Drags» läuft immer donnerstags um 20.15 Uhr bei ProSieben.