Die Patchwork-Familie scheint für ARD-Autoren und -Redakteure immer noch ein sonderbar neuartiger Zustand zu sein. Doch nicht nur das macht diesen Serienneustart so entsetzlich bieder.
Cast & Crew
Vor der Kamera:
Inez Björg David als Lisa
Lucas Prisor als Patrick
Steve Windolf als Martin
Anna Schäfer als Katja
Louise Sophie Arnold als Bianca
Fillin Mayer als Eddie
Levis Kachel als William
Hinter der Kamera:
Produktion: Good Friends Filmproduktions GmbH
Drehbuch: Antonia Rothe-Liermann
Regie: Isabel Braak
Kamera: Lars R. Liebold
Produzenten: Sabina Arnold und Moritz von der GroebenWill man mit einem Klischee beginnen und öffentlich-rechtlichen Fernsehredakteuren unterstellen, ein bisschen von gestern zu sein und zu den gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten drei Jahrzehnte noch nicht so ganz aufgeschlossen zu haben, so wäre es nicht verwunderlich, wenn ihnen das Konzept der Patchwork-Familie weiterhin als ein vollkommen neuartiges und entsprechend erklärungsbedürftiges Lebensmodell erscheint. Klischees haben ja durchaus ihren erzählerische Sinn: Sie sind ein prägnanter Referenzpunkt, um eine Figur, eine Haltung oder eine Situation sofort einordnen zu können – und ein formelhafter Ansatz zur Darstellung eines Phänomens, ohne zu einer großen Erläuterung ausholen zu müssen.
Dieses Klischee vom öffentlich-rechtlichen Redakteur und Autor würde derweil erklären, warum diese «Bonusfamilie» erst einmal lang und breit vortanzen muss, warum die Kinder der vier Erwachsenenfiguren immer mal wieder die Haushalte wechseln: Dekorateurin Lisa (Inez Björg David) hat zwar einen Sohn und eine Tochter mit dem Möbelverkäufer Martin (Steve Windolf), lebt aber jetzt mit dem Deutschlehrer Patrick (Lucas Prisor) zusammen, der wiederum einen Sohn aus seiner Beziehung mit der Architektin Katja (Anna Schäfer) in die neue Partnerschaft mitgebracht hat.
Um dieser ohnehin konfliktreichen Situation größeren erzählerischen Zündstoff zu verleihen, sind die Trennungs- und Neuzusammenlebensumstände natürlich die schwierigsten: Martin war Lisa siebzehn Jahre lang treu, bis die einfach auszog und was mit einem anderen Typen anfing. Jetzt haust er wieder bei seiner Mutter, von der er finanziell abhängig ist. Dass seine Ex von ihrem Schopenhauer lesenden Neuen nun noch ein weiteres Kind erwartet, erwischt alle auf dem falschen Fuß – erst recht die beiden Jungs mit den unterschiedlichen Eltern, die einander nicht ausstehen können. Fehlt nur noch, dass Architektin Katja Lisas „Basteleien“ partout nicht als berufliche Ebenbürtigkeit anerkennen will.
«Bonusfamilie» will also dadurch Druck auf den dramaturgischen Kessel bekommen, dass die Claims der Figuren in den offensichtlichsten Gegensätzen abgesteckt werden: Das bastelnde Heimchen hat den Draufgänger aus dem Möbelhaus durch einen Waschlappen aus dem Schuldienst ersetzt, der wiederum keinen Bock mehr auf seine Karrierefrau hatte. Und während der Sohn von Heimchen und Draufgänger die Schirmmütze konsequent nach hinten trägt, auf Roboter steht und sich zum Geburtstag ein Ballerspiel namens Kadaverkiller wünscht, will der andere mit immer adretter Frisur nichts lieber als ein neues stocksteifes Polo-Hemd und ein magnetisches Schachspiel. Draufgängerisches Rebellentum und geschniegelte Bücherwurmerei pflanzen sich in der «Bonusfamilie» mit schier Mendelscher Zielgenauigkeit fort.
Zugegeben: Die Figuren werden mit der Zeit ein wenig plastischer: Doch von nennenswerter Individualität bleibt die Serie stets weit entfernt, und durchwegs wirkt dieses Stereotypenorchester schier befremdlich vereinfacht. Selbiges gilt für die künstlich hochstilisierten Konflikte und Stellvertreterscharmützel, in deren dialogisierte Auseinandersetzung allzu offensichtlicher, bemühter Subtext gepfercht wird, während am Schluss nach dem Auftritt eines Feindes von außen natürlich wieder die „heile Welt“ stehen muss. Auch das ist so ein Klischee von bemüht aktuellen ARD-Serien, das hier leider ein weiteres Mal zutrifft. Denn «Bonusfamilie» ist nicht nur weichgespült, sondern wurde gleich mehrmals mit Perwoll gewaschen, eine harmlose Kuschelserie, in der der Patchwork-Gedanke immer noch ein familiäres Scheitern impliziert, das man irgendwie wegtherapieren und –knuddeln muss.
Doch auch die altertümlichsten ARD-Redakteure dürften mittlerweile einmal das (auch schon wieder zehn Jahre alte) amerikanische «Modern Family» gesehen haben, dem ebenfalls der Patchwork-Gedanke als situativer Ausgangspunkt zugrunde liegt. Dort ist er aber schlicht und ergreifend gelebte Normalität und muss weder als besonders modern noch als geradezu pathologisch erklärungsbedürftig herhalten. «Bonusfamilie» begreift seine Figuren hingegen nie als echte Charaktere, sondern nur als Ansammlungen der krudesten Klischees und stilisiert sie bis zur Persiflage. Der emotionale Hook will sich dabei allein auf süße Kinder und weinende Frauen verlassen. Lieber single bleiben.
Das Erste zeigt sechs Folgen von «Bonusfamilie» mittwochs ab dem 20. November jeweils um 20.15 Uhr in Doppelfolgen.