Hauseigene Filmproduktionen von Netflix geraten oftmals in die Kritik, dass sie qualitativ nicht an das große Kino heranreichen können. Mit «The Irishman» soll sich dies aber nun ändern.
Cast und Crew
Vor der Kamera:
Robert De Niro ist Frank Sheeran
Al Pacino ist Jammes Riddle Hoffa
Harvey Keitel ist Angelo Bruno
Joe Pesci ist Rosario Alberto Bufalino
Bobby Cannavale ist Felix SiTullio
Hinter der Kamera:
Regie: Martin Scorsese
Drehbuch: Steven Zaillian
Schnitt: Thelma Schoonmaker
Kamera: Rodrigo Prieto
Musik: Robbie Robertson
Produktion: Robert De Niro/ Martin Scorsese/ Jane Rosenthal
Denkt man an Gangsterfilme, ist Martin Scorsese die erste Adresse. Der Filmemacher beeinflusste die Hollywoodindstrie wie kaum ein anderer Regisseur. Mit «Taxi Driver», «Good Fellas - Drei Jahrzehnte in der Mafia» und «Casino» schuff der US-Amerikaner, der selbst italienische, bzw. sizilianische Wurzeln hat, Klassiker der Filmgeschichte. Dabei ist ein Narrativ bei dem Oscargewinner besonders deutlich: die Gangster stehen im Mittelpunkt.
Denn diese und sonstige ominöse, zwielichtige Figuren spielen in den meisten seiner Filmen eine zentrale Rolle. Ob es nun Robert De Niro und Joe Pesci in «Good Fellas - Drei Jahrzehnte in der Mafia» sind oder Jack Nicholson, Leonardo DiCaprio und Matt Damon in «Departed - Unter Feinden» - wenn Scorsese ruft, dann steht Hollywood bereit. Und vornehmlich besetzt er große, praktisch legendäre Namen in der Rolle der Gangster. So wie nun auch in «The Irishman», dem ersten Film, den Scorsese in Zusammenarbeit mit Netflix drehte.
In «The Irishman» folgt man dreieinhalb Stunden den Hollywoodgrößen schlechthin. Al Pacino, Robert De Niro, Harvey Keitel, Joe Pesci - Scorseses alte Riege ist wieder zusammengekommen. Das Publikum verfolgt die Lebensgeschichte von Frank Sheeran, einem einfachen Arbeiter, der immer weiter in mafiöse Strukturen hinabtaucht, dabei den großen Hintermännern begegnet und letztendlich selbst die Waffe in die Hand nimmt.
Während man Sheeran verfolgt, der von De Niro gespielt wird, erlebt man mehr als nur einmal einen Sprung durch die Zeiten. Mal erzählt «The Irishman» etwas, das bereits zurückliegt, mal springt er in die Zukunft, nur um dann wieder in einer Konversation in seiner eigenen Gegenwart zu landen. Scorsese wechselt oft die Erzählzeit und als Zuschauer sollte man genau aufpassen, in welcher man sich gerade befindet. Ansonsten kann man leicht schnell verwirrt werden und den Anschluss verlieren. Sinn und Zweck haben die Zeitsprünge jedoch immer, da sie der Handlung stets eine neue Facette hinzufügen.
Robert De Niro und Joe Pesci liefern sich mehr als nur einmal hitzige Wortgefechte.
Was tatsächlich als Orientierung dienen kann, sind die Gesichter der Darsteller. Denn damit die Schauspieler ihr jüngeres Ich selbst verkörpern können, wurde auf die neuste Verjüngungstechnologie zurückgegriffen. Diese hat man unter anderem bereits in «Rogue One: A Star Wars Story» mehr oder weniger gelungen erleben können. In «The Irishman» ist sie hingegen nahezu ausgereift, da die Gesichter sich hervorragend an die jeweilige Zeit anpassen, ohne dass man direkt nach "Uncanny Valley" oder schlechtem CGI rufen möchte. Doch perfekt ist auch diese Technik nicht. Natürlich merkt man, dass hier an manchen Stellen getrickst wurde, aber ist das wirklich störend, wenn es so gelungen ist und sich so immersiv anfühlt?
«The Irishman» ist Scorsese in gewöhnt starker Form. Die Dialoge, Charaktere, die stilisierte Gewalt und der Hauch von einem alten New Hollywood. Und dennoch ist «The Irishman» nicht der beste des berühmten Regisseurs. Um an «Good Fellas - Drei Jahrzehnte in der Mafia» oder gar «Taxi Driver» heranzureichen, fehlt es Scorseses aktuellem Gangsterepos an inhaltlicher Stringenz. Denn in dreieinhalb Stunden werden derartig viele Schubladen geöffnet, die letzten Endes nicht alle geschlossen werden. Am besten funktioniert «The Irishman» nicht als Sozialdrama oder Gesellschaftsstudie, sondern als klassischer Gangsterfilm - das, was Martin Scorsese am besten beherrscht.
Unter den hauseigenen Netflix-Filmen ist «The Irishman» zweifelsohne der beste. Zwar sollte man dabei auch Filme wie «Das Spiel» oder «Beasts of No Nation» nicht vergessen, Scorseses Beitrag steht jedoch auf einer anderen Stufe. Mit diesem dreieinhalbstündigen Epos hat Netflix einen großen Clou gelandet, mit dem auch die Chancen auf mögliche Preise wie etwa den Oscar gut stehen dürften.
Um in die berüchtigte "Award Season" zu geraten, hat Netflix dem Film einen zusätzlichen Kinostart beschert. Zwei Wochen vor seinem Netflixstart - dem 27. November - kam «The Irishman» in die Kinos. Man kann sich natürlich darüber streiten, ob Streaming und Kino gleichermaßen von diesem Release profitieren oder ob es nur eine Marketingkampange von Netflix ist, um bei dem Oscar Komitee besser anzukommen. Fakt ist jedoch, dass man mit «The Irishman» einen fantastischen Gangsterfilm der alten Schule bekommt, der mit starken Hollywoodgrößen aufwartet und über seine gigantische Lauflänge überraschend kurzweilig bleibt.
Netflix hat mit Scorsese eine hervorragende Wahl getroffen und einen qualitativen Volltreffer gelandet. Es ist nicht nur der beste Netflix Film, sondern auch einer der guten Scorsese Filme. Nein, «The Irishman» ist nicht die absolute Königsklasse, spielt aber dennoch weit oben mit. Alleine wegen De Niro und Pacino ist der Film sehenswert und man sollte sich von der langen Laufzeit keineswegs abschrecken lassen. Im Gegenteil sogar.
«The Irishman» ist seit dem 27. November auf Netflix verfügbar.
27.11.2019 14:00 Uhr
• Martin Seng
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