«Brexitcast»/«Electioncast»: So geht moderner Journalismus

Die wohl beste Informationsquelle über all things Brexit ist seit Jahren wohl: der «Brexitcast» (derzeit: «Electioncast») von BBC 5 live. Ein Podcast, der vormacht, wie moderner Journalismus funktioniert – und deshalb auch den Sprung ins Fernsehen geschafft hat.

Wenn der Brexit ein Gutes hat, dann wahrscheinlich den Umstand, dass er alle nationalistischen Swexit-, Frexit- und Italexit-Fantasien sukzessive, aber unerbittlich zu Grabe getragen hat. Denn selbst die Hardcore-Antiinternationalisten, ganz gleich ob von links wie Jean-Luc Mélenchon oder von hart rechts wie Jimmie Akesson, wollen von einem Auseinanderdriften Europas und der Abschaffung seiner demokratischen und wirtschaftlichen Inkarnation in der Europäischen Union nichts mehr wissen.

Doch auch im UK, dem Mutterland der modernen nationalen Verirrung, hat der Brexit immerhin eine positive Auswirkung: den «Brexitcast» (derzeit wieder: «Electioncast») der BBC, der seit über zwei Jahren vormacht, wie integerer und immens sachkundiger Journalismus in einer modernen, unprätentiösen Darstellungsform funktioniert.

Einmal wöchentlich – alternativ bei besonderen Vorkommnissen: sofort, oder in Wahlkampfzeiten: täglich – schalten sich vier BBC-Journalisten, die beiden Innenpolitikexperten Laura Kuenssberg und Chris Mason sowie die Europaexperten Katya Adler und Adam Fleming, zusammen, um sich in ungezwungener Atmosphäre über die aktuellen Brexit-Ereignisse auszutauschen. Dabei schrecken sie weder vor längeren Ausführungen über diffizile legalistische Details der diversen Austrittsvertragsentwürfe noch vor der Durchexerzierung kompliziertester machtstrategischer Fragen in Westminster zurück, auch auf die Gefahr hin, dass nur die absoluten Polit-Nerds dranbleiben, die sowieso jeden Satz von Michel Barnier oder Dominic Raab bis in die letzte Silbe interpretiert haben möchten.

Dem inhaltlichen Zuschnitt auf ein vermeintlich enges Zielpublikum steht aber die betont ungezwungene Atmosphäre entgegen, die auf ganz natürliche Weise auch die Zuhörer bei der Stange hält, welche – anders als Adam Fleming, der über die Jahre zum Podcast-internen Hüter der offiziellen Brexit-Dokumente geworden ist – den Anhang zum Protokoll der irisch-nordirischen Auffanglösung oder die EU-Vorschriften zu sanitären und phytosanitären Warenkontrollen an den Außengrenzen des Binnenmarkts nicht aus dem Stegreif beherrschen. Denn neben der imposanten Informationsdichte und den gehaltvollen Analysen ist dieser Podcast eben auch: verdammt witzig.

Nun werden Seriosität und Witz – anders als in Deutschland – im angelsächsischen Raum nie im Grundsätzlichen als Gegensätze aufgefasst, doch das gut harmonierende und nach über zwei Jahren vollends eingegroovte «Brexitcast»-Team gefällt nicht zuletzt durch einen besonderen Sinn für flapsige Anspielungen (wenn sich in den Brexit-Nachrichten gerade alles um long extensions dreht), humoristisch treffsichere Themensetzungen abseits der großen Ereignisse (wenn skandinavische Politiker Wahlwerbung auf einschlägigen Porno-Seiten schalten) und Pub-atmosphärische Abschweifungen in die Pet Peeves der Journalisten und ihrer beruflichen Realitäten. Dazu passt auch, dass der «Brexitcast» für alle Beteiligten eigentlich eine Sideshow neben ihrem hauptsächlichen Arbeitsalltag ist – und dementsprechend oft spät nachts eher hektisch zusammengekloppt wird, während Laura Kuenssberg nicht selten schon im Taxi nachhause sitzt und die Anbindung der in Brüssel sitzenden Kollegen in die Londoner BBC-Infrastruktur in humoristisch ergiebiger Weise nicht immer ganz reibungslos läuft. Geschnitten wird grundsätzlich nicht, und gerade die dadurch erreichte journalistische und persönliche Unverfälschtheit sorgt dafür, dass man nach über zwei Jahren nicht nur perfekt über die britische Innenpolitik informiert ist, sondern die vier jungen Wilden hinter den Mikros richtig ins Herz geschlossen hat. Denn wer sich wie Laura Kuenssberg schon von schier jedem verdammten Autohof im ganzen Vereinigten Königreich in einen Podcast zuschalten ließ oder wie die nahezu omniglotte Katya Adler in Brüsseler Caféhäusern wertvolle Zeit von ihrem wohlverdienten Strudel abknapst, um uns mit einem Lächeln auf den Lippen über die schier undurchschaubaren Johnson’esken Irrungen und Wirrungen auf dem Laufenden zu halten, beweist vor allem: journalistisches Herzblut – was in diesen dunklen Zeiten von kaum schätzbarem Wert ist.
28.11.2019 16:47 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/114031