Die Kultserie «Die Simpsons» begeht aktuell ihr großes Jubiläumsjahr anlässlich ihres 30-jährigen Bestehens. Serientäter Sidney Schering begleitet die Serie bereits seit ihrer ZDF-Ära, verlor zwischenzeitlich aber die Lust an ihr. Mittlerweile schaut er «Die Simpsons» wieder sehr gerne. Was ist passiert?
Als ich in der Grundschule war, gab es in Sachen Popkultur nur wenige Verbindungen zwischen mir und dem Rest meiner Klasse. Ich liebte (und liebe immer noch) «Die Dinos», meine Klassenkameraden wollten in der Pause aber «Power Rangers» nachspielen, die mir sowas von egal waren. Ich fand «Darkwing Duck» super, aber schon damals sangen alle viel lieber das Titellied der «Gummibärenbande» (und dabei bin ich gar nicht zusammen mit Luke Mockridge zur Schule gegangen). Und während ich das „Micky Maus Magazin" und das „Lustige Taschenbuch" verschlang, kauften die Jungs lieber Disneys „Limit" – „aber nur für die Sportberichte!" Immerhin hatte ich einen Super Nintendo und lud ab und zu zu Spielesessions ein (auch wenn manche Jungs es doof fanden, dass ich auch Mädchen einlade – „iiiih").
Und ich hatte mehrere Videokassetten mit «ALF» und den «Simpsons». Mein Bruder hat sie mir aufgenommen und ich habe so die komplette Serie «ALF» und die ersten paar Staffeln «Simpsons» mehrmals gucken können. Dafür interessierte sich keiner meiner Altersgenossen (Banausen!), aber mein Bruder sah sie sehr gerne und so wurden diese Serie eines „unserer Dinger". «Die Simpsons» erwiesen sich, das dürfte niemanden überraschen, als langlebigeres Thema.
„Die Folge war toll." „Die war okay – aber die Disney-Anspielung war lustig." „Ich liebe die Musicalfolgen, wieso hassen die alle?" Und Jahre später ging es natürlich auch darum, ob die «Simpsons» gerade in ein kreatives Loch gefallen sind. Unsere Wahrnehmung war aber oft etwas verschoben – während im (noch etwas tapsigen) englischsprachigen Internet «Simpsons»-Fans schon den Tod der echten Simpsons ausgerufen haben, lachten wir uns über die Metafolge «Hinter den Lachern» kaputt und feierten, wie ausgefallen die Idee dahinter ist. Für uns gab es kein „seit Tag X sind die «Simpsons» mies", sondern nur ein „Jetzt kommen wieder öfter gute Folgen" und „Joah, die letzten paar Folgen waren lahm".
Ich machte die Phase durch, als mein Bruder «Futurama» besser fand als «Die Simpsons» und mich bei Matt Groenings Sci-Fi-Serie anfixte. Ich machte es mit, als «Futurama» vorzeitig beendet war und «Die Simpsons» wieder in den Vordergrund rückten. Ich war dabei, als «Futurama» zurückkehrte und uns einfach nicht mehr abgeholt hat. Wir beide begrüßten Anke Engelke, die Elisabeth Volkmann in der deutschen Synchro ersetzen musste und sich nach kurzer Eingewöhnung wunderbar in die Rolle hineingearbeitet hat. Natürlich war da auch der «Simpsons»-Film, der plötzlich in meinem Umfeld eine große «Simpsons»-Wiederentdeckungsphase ausgelöst hat.
Es gab immer wieder mal Folgen, die mir ein Augenrollen entlockt haben – aber frei nach „Selbst eine schlechte Pizza ist im Normalfall immer noch Pizza, also lecker" fand ich auch schwache «Simpsons»-Folgen im schlimmsten Fall wenigstens kurzweilig genug, dass ich die 20 Fernsehminuten nicht bereut hätte. Und nach drei, vier mageren Folgen kam eigentlich immer auch ein Highlight. Homer wurde vor unseren Augen vom komplexen Gegenpart zum heimlichen Star zum Arschlochvater zum Volldödel und wahren Star der Serie – und wir konnten sehr gut damit leben. Nur die Halloween-Specials, die sorgten immer wieder für Differenzen – für mich waren sie jahrelang die Highlights der Staffel. Mein Bruder mochte sie nie so wirklich – in den vergangenen paar Jahren, wo sie mich anödeten, haben sie ihn dagegen erreicht. Verrückt!
Der Bruch im Sommer 2016
Nach so vielen Jahren musste es wohl unweigerlich zu einer Überdosis kommen: Vielleicht ein, zwei Monate nach dem Debüt von Homers neuer deutscher Synchronstimme wurde ich der Chaoten aus Springfield überdrüssig. Das hatte nichts mit Christoph Jablonka zu tun. Er muss in große Fußstapfen treten und hat diese Aufgabe erstaunlich gut gemeistert. Aber es kam wohl alles zusammen: Eine qualitative Berg-und-Tal-und-Hügel-und-Tal-und-Berg-und-Tal-Fahrt. Ein weiterer, tragischer Bruch mit dem sentimentalen Wert, den ich den «Simpsons» beimesse, weil noch eine Stimme, die mich seit meiner Kindheit begleitet, von uns ging. (Ja, ich schaue «Die Simpsons» sehr gerne in der Synchro, ja, ich weiß, wie oft die Synchro patzt, ich lese mir diese Aufstellungen fiebrig durch, doch Nostalgie ist Nostalgie und Familiending ist Familiending. Bohrt euch mit eurer Anti-Synchro-Arroganz ein Loch ins Knie!)
Und jahrzehntelanger, sehr regelmäßiger «Simpsons»-Konsum, kann halt auch einfach so bedeuten, dass mir deren Humorrezept irgendwann aus den Ohren rauskommen musste. Und so kam es: Ich brach mit den «Simpsons». Es war kein harter Bruch, ich habe nicht wütend die Fernbedienung von mir geschmissen und geschworen, nie wieder «Die Simpsons» zu gucken. Ich habe einfach mehrere Wochen nacheinander vergessen, dass ja neue Folgen laufen. Und realisiert, dass mir nichts fehlte. Auch die vorabendlichen Wiederholungen habe ich ignoriert. Als ich einige Monate später am Vorabend bei ProSieben vorbeizappte, lief eine mir unbekannte Folge. Mehrere Randfiguren hatte neue Stimmen und kein Gag zündete. Ich schaltete wieder weg. Einige Zeit später erwischte ich eine alte Folge – ein «Simpsons»-Klassiker. Und selbst der ließ mich kalt.
«Die Simpsons» schienen mich verloren zu haben. Aber ich brauchte wohl einfach nur Abstand: Diesen Sommer habe ich nach einem langen, nervigen Tag den Fernseher eingeschaltet. Es lief eine der neuen «Simpsons»-Folgen. Ich erfreute mich daran, wie gut Christoph Jablonka Norbert Gastells Erbe antritt. Schmunzelte über eine Filmanspielung. Staunte, dass William Cohn nun Kent Brockman spricht. Ich blieb dran und freute mich über den Couchgag der nächsten Folge. So einfach kann es sein: «Die Simpsons» hatten mich wieder. Ich holte versäumte Folgen nach, genoss wieder Klassiker und holte auch meine DVD-Box der dritten Staffel wieder heraus – die Staffel, die mich einst unwissend angefixt hat, war sie es doch, die auf die VHS-Kassetten gebannt wurde, die ich am häufigsten wieder und wieder und wieder und wieder geguckt habe.
Seither genieße ich sie wieder. Bart, Lisa, Marge, Homer, Maggie. Moe, der je nach Autor und Showrunner einfach nur Zielscheibe und Zyniker ist, eine traurige Seele in einer rauen Schale, ein Perversling oder ein Mix aus allem. Krusty, der schlechteste Fernsehclown, den man sich vorstellen kann, der entweder unerklärlichen Erfolg oder gar keinen (und daher aus unerklärlichen Gründen noch immer eine Sendung) hat. Mr. Burns, dieses kapitalistische Fossil. Der dämliche, sexy Flanders. Milhouse, der dem englischsprachigen Internet ein unsterbliches Zitat bescherte („Everything coming up Milhouse!"). Ralph, das wandelnde Meme, das schon wandelte, als alle gesagt hätten: „Meme? Ich kenne nur ,Memme', du Lusche." Und die ganzen anderen Spinner, diese liebenswerten. Mir egal, wie sehr sich der Stil wandelte, wie oft die Qualität steigt und wieder sinkt, sie gehören zu meinem popkulturellen Vokabular, sind alte Freunde, die ich treffen möchte, selbst wenn sie aus der Form geraten, die Form wiederfinden und dann wieder aus der Form geraten.
Eine Trennung von den «Simpsons» steht für mich dennoch bevor: Seit Jahren schenke ich meinem Bruder zu seinem Geburtstag sowie an Weihnachten «Die Simpsons»-Staffelboxen. An seinem diesjährigen Geburtstag habe ich jedoch hinter der letzten bereits erschienenen Box ein Häkchen gemacht – für kommendes Weihnachten muss ich mir also was Neues einfallen lassen. Dämliche, unsexy DVD-Veröffentlichungspolitik!