Ein Film, der wie eine vorhersehbare Moralschnulze beginnt, mausert sich zur ernsthaften Begegnung mit Schuld und Sühne.
Cast & Crew
Vor der Kamera:
Anton Spieker als Mike Gattner
Laura de Boer als Sylvie Vollert
Franz Pätzold als Maxim Vollert
Ulrike Kriener als Renata Gattner
Bernhard Schütz als Peter Gattner
Jeremias Meyer als Finn Gattner
Amanda da Gloria als Valerie
Hinter der Kamera:
Produktion: Hager Moss Film GmbH
Drehbuch: Susanne Schneider
Regie: Johannes Fabrick
Kamera: Helmut Pirnat
Produzentin: Kirsten HagerSchon nach zehn Minuten ist eigentlich alles klar: Polizist Mike (Anton Spieker) und sein gerade noch minderjähriger Bruder Finn (Jeremias Meyer) feiern zusammen in großer Runde den Junggesellenabschied eines gemeinsamen Freundes. Als es schon ziemlich spät ist, und Finn ziemlich betrunken, schickt Mike ihn nachhause, nachdem er ihm noch Geld für ein Taxi zugesteckt hat. Blöderweise stapft der volltrunkene Halbstarke stattdessen zu Fuß durch die gottverlassene Kälte nachhause – und wird mitten im Nirgendwo von einem Auto angefahren.
Am Steuer saß Maxim (Franz Pätzold), frischgebackener Richter auf Probe am örtlichen Landgericht, und noch dazu ein ziemlich hochnäsiger Typ aus einer maßlos konservativ-arroganten Familie. Wenn jetzt herauskäme, dass er in leicht alkoholisiertem Zustand einen Jungen angefahren hat, wäre es mit der Justizkarriere schnell Essig. Das kann doch auch seine schockierte Frau und Beifahrerin Sylvie (Laura de Boer) nicht wollen. Der vors Auto getorkelte Besoffski hat den Aufprall ja auch ganz gut verkraftet und blutet nicht einmal. Auf Maxims Drängen lässt schließlich sogar die zarte und umsichtige Sylvie davon ab, einen Notarzt zu rufen. Stattdessen setzen die Beiden den Jungen an der nächsten Bushaltestelle ab – wo er am nächsten Morgen tot von der Polizei aufgelesen wird.
Während Sylvie nun die Gewissensbisse peinigen, setzt bei Mike der Aufklärungstrieb ein: Unverhofft treffen sich die Beiden an Finns Grab – und nahezu sofort erkennen die Beiden, wer der jeweils Andere ist. Doch obwohl das Drehbuch vom erwartbaren Fahrplan keinen Millimeter abweicht und die Vorhersehbarkeit der Ereignisse schier penetrante Ausmaße annimmt, gefällt doch, wie intensiv sich der Film auf seine Charaktere einlässt, auch wenn er dabei die letzte Konsequenz vermissen lässt.
© ZDF/Barbara Bauriedl
Renata (Ulrike Kriener, l.), Peter (Bernhard Schütz, M.) und Mike (Anton Spieker, r.) erfahren aus der Zeitung , dass Maxim zum Richter berufen wurde.
Der naheliegende Weg ist natürlich die Erotisierung der Beziehung zwischen der gewissensgeplagten, feinfühligen Frau und dem verwundeten, wütenden, verzweifelten Hinterbliebenen. Die durchaus feinsinnige Inszenierung von Regisseur Johannes Fabrick und das sanfte empathische Spiel von Laura de Boer und Anton Spieker nehmen dieser Wendung dabei viel von der Klischeehaftigkeit, die sie bei nüchterner Betrachtung wohl in sich trüge. Dabei offenbart de Boer ohnehin von ihrer ersten Screen-Minute an die Gravitas, ein komplexes emotionales und psychologisches Schulddrama zu spielen, und sie staffiert ihre Figur mit einer erstaunlichen Vielschichtigkeit aus, obwohl das Drehbuch diese Rolle unangenehm (aber vielleicht aus einer dramaturgischen Notwendigkeit heraus) sehr einseitig anlegt:
In ihrer Beziehung zum ambitionierten Richtersgatten spielt Sylvie eindeutig die zweite Geige. Ihr eigenes Jurastudium hat sie schon vor Jahren abgebrochen, in der Hoffnung, nach dem Referendariat ihres Mannes würde sich ihr schon offenbaren, womit sie ihr Leben verbringen soll. Bisher beschränkt sich das darauf, ein opulentes Abendessen aufzutischen, wenn der Herr Richter nachhause lädt – doch mit der bitteren Kaltherzigkeit ihres Mannes wird «Winterherz» auch zum möglichen Beginn der Emanzipationsgeschichte dieser Frau, die sich selbst als „durch und durch langweilig“ beschreibt: Der Zuschauer braucht mitunter lange, um sich einzugestehen, dass dieser Umstand nicht aus erzählerischer Unfähigkeit herrührt, sondern wesentlicher Bestandteil der Ambition des Films ist.
Dabei endet «Winterherz» lange, bevor seine Charaktere in ein neues Gleichgewicht im Leben gefunden haben, und lässt so viele Fragen offen. Ebenso wenig lässt der Film eine ethisch befriedigende Antwort auf das ihm zugrunde liegende Dilemma zu, sondern erweitert es nur noch um ein weiteres Unrecht. Mit Sicherheit ist das ein intelligenterer Schlusspunkt als man ihn bei den meisten anderen Fernsehfilmen sieht, die sich an moralischen Verfehlungen und Zwiespältigkeiten abarbeiten. Dass man den weiteren Handlungsverlauf nach zehn Minuten mühelos vorhersagen konnte, ist dann längst kein KO-Kriterium mehr.
Das ZDF zeigt «Winterherz – In einer kalten Nacht» am Montag, den 2. Dezember um 20.15 Uhr.