«Der Prinz der Drachen»: Eine animierte Netflix-Fantasy-Heldenreise
Mit dieser Serie macht der Streamingdienst seinem Namen als Wegbereiter für Formate von außergewöhnlicher Qualität alle Ehre.
Ein Nebeneffekt des (Real-)Serienbooms wird noch immer viel zu selten thematisiert, und das, obwohl dieser nun bekanntlich auch schon einige Jahre andauert: Zeichentrick- und Animationsserien erleben aktuell nämlich ebenfalls ihren x-ten Frühling. Und wer nun einwendet, dass es doch seit einer gefühlten Ewigkeit stets seriellen Bewegtbildnachschub für die „Kleinen“ gibt, für den könnten die nachfolgenden Zeilen besonders interessant sein. Denn bereits früher existierten großartige „Nicht-Real-Formate“, die eindeutig auch, aber eben nicht nur für Kinder und Jugendliche gedacht waren, sondern ebenso Erwachsene ansprechen sollten – man denke etwa an «Batman – The Animated Series» oder «Gargoyles – Auf den Schwingen der Gerechtigkeit». Davon, dass allein in Japan Anime unterschiedlichster Prägung existieren, die sich natürlich auch an sehr unterschiedliche Zielgruppen richten, fangen wir an lieber gar nicht erst an.
Als eine der besten Zeichentrickserien überhaupt gilt bis heute «Avatar – Der Herr der Elemente». Als einer der ausführenden Produzenten und vor allem in seiner Funktion als Head-Autor hatte Aaron Ehasz einen großen Anteil am Erfolg des Nickelodeon-Aushängeschilds, das auf Bryan Konietzko und Michael Dante DiMartino zurückgeht. Dass viele in «Der Prinz der Drachen» eine Art Nachfolger im Geiste von «Avatar: The Last Airbender», so der Originaltitel, sehen, verwundert daher nicht, weil Ehasz der Kopf des Netflix Originals ist und der Streamingriese ihn sicherlich auch deshalb verpflichtet hat, weil man früh erkannt hat, dass die Nachfrage an gezeichneten oder animierten Inhalten aktuell ziemlich groß ist und in Zukunft wohl noch größer werden wird. Und da ist es nur logisch, auf jemanden zu setzen, der schon für einen globalen Hit verantwortlich gezeichnet hat. Der US-Amerikaner und dessen Mitstreiter sowie Landsmann Justin Richmond, der primär Videospiel-Fans ein Begriff sein dürfte, haben kürzlich verlauten lassen, dass ihr Plan vorsieht, ganze sieben Staffeln von «The Dragon Prince » zu produzieren – vorausgesetzt, der Streamingdienst mit dem roten N spielt mit.
Dass dies so kommen könnte, ließ sich im Prinzip bereits nach den einleitenden Erzählerworten in der allerersten Folge erahnen, in denen die Welt, in welcher sich all die außergewöhnlichen Abenteuer zutragen, vorgestellt wird. Denn dort werden als Quellen der Magie explizit die Sonne, der Mond, die Sterne, die Erde, der Himmel der Ozean und (in gewisser Weise) die Dunkelheit genannt. Letztere war Resultat der menschlichen Bemühungen, eine eigene Urenergie (die Dunkle Magie, die davon lebt, dass man für jeden Zauber magischen Geschöpfen ihre Energie, die sogenannte Essenz, entzieht) zu kreieren, die den Menschen eine ähnliche Macht verleihen würde wie jene, über die die Bewohner Xadias verfügten. Und da Season 1 den Zusatz „Buch 1: Mond“ trägt, gehörte nicht viel Fantasie dazu, um zu erahnen, wie viele weitere „Bücher“ die Macher im Sinn hatten. Mittlerweile muss auch nicht mehr gemutmaßt werden: Staffel 2 steht unter dem Motto „Himmel“ und Staffel 3, die kürzlich veröffentlicht wurde, ist mit „Sonne“ überschrieben. Dieses erste „magische Trio“ bildet außerdem den ersten von drei Arcs, in die sich die gesamte Handlung unterteilen lässt. Der zweite Handlungsbogen soll aus der 4. und 5. Season und der finale aus der 6. und 7. bestehen. Auch diese Form der Aufteilung erinnert übrigens ebenfalls an das Vorgehen, das man einst gewählt hatte, um die Reisen des jungen Aang etwas zu strukturieren.
Doch bevor an dieser Stelle zu sehr der Eindruck erweckt wird, dass «Der Prinz der Drachen» eine schlichte Kopie von «Avatar: The Legend of Aang» – in einigen Ländern ist die Nickelodeon-Produktion auch unter diesem Titel bekannt – ist, sei auch noch einmal hervorgehoben, dass nahezu alle diese vermeintlichen Ähnlichkeiten schlicht typisch für das Genre sind: Bei «Der Herr der Ringe» oder «Game of Thrones» begeben sich die Protagonistinnen und Protagonisten ebenso in wechselnden Konstellationen auf abenteuerliche Reisen, bestaunen beeindruckende Landschaften und treffen auf sympathische Menschen oder mehr als nur unsympathische Widersacher. Besagte Franchises leben ebenso wie das «Harry Potter»-Universum von ihrem enormen Detailreichtum und der sich einem entweder von Anfang an oder erst nach und nach erschließenden Komplexität des Erzählten. Man arbeitet hier wesentlich lieber mit Grautönen, obwohl Vieles auf den ersten Blick schwarz oder weiß anmutet. Und wenn man es ganz genau nimmt, handelt es sich bei all den aufgeführten Punkten nicht unbedingt um Fantasy-Exklusives, sondern vielmehr schlicht um Merkmale guter Geschichten.
Sprich: Ein übertriebenes Vergleichen ist überflüssig – vor allem weil es in erster Linie logischerweise immer um die Frage geht, wie originell die eigenen Ideen der Macher sind respektive von wie viel Kreativität deren Umsetzung zeugt. Und «Der Prinz der Drachen» sprüht zweifellos nur so vor Einfallsreichtum und unkonventionellen Ideen. Dies lässt sich allein daran ablesen, dass einem mit jeder Episode klarer wird, dass alles, was das Publikum präsentiert bekommt, auch von Bedeutung ist. Und das erhöht den Spaß beim Zuschauen selbstredend nur noch mehr. Eben weil irgendwann jedem bewusst ist, dass auch der nächste Abstecher in diesen faszinierenden Kosmos viele neue Erkenntnisse zutage fördern wird. Es ist nie egal, ob man eine Szene mitbekommt oder nicht und das klingt lapidarer, als es ist. Die logische Konsequenz, die aus diesem Umstand resultiert, lautet nämlich ganz eindeutig: Dieses Format hat nur eine Zielgruppe, und zwar alle, die sich für Fantastisches begeistern können – egal welchen Alters oder Geschlechts.
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Wobei: Ohne Zweifel dürften Kinder allein aufgrund der Thematik sowie der imposanten Bilder schnell Feuer und Flamme für den (zumindest in Deutschland) „Noch-Streaming-Geheimtipp“ sein – mutmaßlich schon nach der Begutachtung der ersten Minuten. Und sie spüren mit Sicherheit auch, dass diese Serie keine gewöhnliche ist, wissen allerdings höchstwahrscheinlich selbst nicht so recht, woran das liegt. Wobei an dieser Stelle direkt darauf hingewiesen werden muss, dass die fesselnden Abenteuer selbst mit fünf zugedrückten Augen eigentlich niemals durch die Bank ein „FSK 6“ hätten bekommen dürfen: Allein in der Auftaktfolge treten Attentäter auf, die planen, in das Schloss einzudringen, um sich auf blutige und unumkehrbare Weise zu rächen, der Einsatz von Dunkler Magie hat aus Sicht eines Erwachsenen eindrucksvolle, aus der eines Kindes extrem gruselige Bilder zur Folge und nicht wenige Kreaturen, die zum Teil bei Nacht ihren ersten Auftritt haben, sind personifizierte „Alptraumgaranten" – von der Tatsache, dass Erstklässler etwa die politische Dimension des Ganzen überhaupt noch nicht begreifen können, ganz zu schweigen. Somit ist das Netflix Original ein gutes Beispiel, um zu verdeutlichen, dass uns eigentlich noch ein „FSK 10“ fehlt.
Schließlich steht die jüngste Hauptfigur selbst vor dem Sprung zur 11: Prinz Ezran. Dieser ist der Sohn von König Harrow und Königin Sarai, die wiederum einen Sohn mit in die Ehe gebracht hat: Callum, der 5 Jahre älter als sein Halbbruder ist. Die Dritte im Bunde ist die Mondschatten-Elfe Rayla, die zu dem Assassinentrupp gehört, der besagtes Attentat auf den Herrscher von Katolis verübt (und damit – so sieht es für den Großteil des Volkes jedenfalls aus – Erfolg hat), weil dieser einst den König der Drachen, Donner, wie die Menschen ihn nennen oder Avizandum, wie er eigentlich heißt, getötet hat. Und all das erfährt man (wenigstens ansatzweise) tatsächlich in dem Piloten, dessen Laufzeit – wie die der allermeisten Episoden – circa 25 Minuten beträgt. Diese ersten Eindrücke und vermittelten Inhalte genügen zudem bereits, um älteren Zuschauerinnen und Zuschauern von Beginn an zu verdeutlichen, dass dieses fiktionale Universum ihnen noch eine Menge zu bieten hat, sofern sie sich auf es einlassen. In der Retrospektive erkennt man darüber hinaus, dass in dieser Ausgangssituation im Prinzip schon alles enthalten ist, was «The Dragon Prince» nicht nur drei, sondern ohne Probleme auch sieben Staffeln bestimmen kann – ohne Gefahr zu laufen, sich zu wiederholen. Der erste, 3 x 9, also insgesamt 27 Folgen umfassende Arc zeichnet – von der handwerklichen Seite aus betrachtet – insbesondere das herausragende „Balancing“ aus, und zwar in mehrerlei Hinsicht: Zum einen sind die einzelnen Episoden nie mit zu vielen Handlungssträngen überfrachtet (auch die vielen Rückblenden fügen sich ungemein organisch in das Gesamtgeschehen ein), sodass stets der Fokus klar ist und es den Streamenden trotz der Fülle an neuen Informationen über Land und Leute möglich ist, diese direkt aufnehmen und verarbeiten zu können – in diesem Zusammenhang auch wichtig: Das Erzähltempo ist gleichmäßig. Zum anderen sorgt die richtige Mischung aus ernsten, emotionalen, spannenden, epischen und lustigen Momenten dafür, dass man recht schnell erkennt, wie stark die Produktion in Sachen Storytelling ist.
Und das wiederum hat selbstverständlich ebenfalls zu einem großen Teil mit den Charakteren zu tun: Bereits der Fakt, dass es sich bei der königlichen um eine Patchworkfamilie handelt, ist ungemein interessant und gewissermaßen exemplarisch für eine Welt, die von Vielfalt geprägt ist, eine, in der Menschen und auch Elfen, die an unterschiedlichen Orten leben, auch verschiedenen Ethnien angehören und in der gleichzeitig die Individualität und die Besonderheit eines jeden Einzelnen betont wird. Deswegen ist es nur logisch, dass die Serie über sehr viele Figuren mit einem hohen Identifikationspotenzial verfügt, wodurch das Dargebotene für die Zuschauenden natürlich noch unmittelbarer und die Akteurinnen und Akteure noch nahbarer werden. Besonders, da sich diese außerdem von ihrem Wesen und ihren Fähigkeiten sehr unterscheiden. Auffallend ist dabei zudem, dass hier ausnahmslos fehlbare Personen im Mittelpunkt der Ereignisse stehen: solche, die unsicher sind, sich fragen, was richtig und was falsch ist, deren Weltbild mehr als einmal förmlich auf den Kopf gestellt wird und die voller Zweifel sind. Da wird es auch plötzlich vollkommen egal, ob jemand übernatürliche Kräfte besitzt oder nicht. Und hierzu passt wiederum ein Motiv, das wohl von der ersten bis zur letzten Folge erhalten bleiben wird: Kinder sind nicht ihre Eltern.
Selbstredend ist damit nicht nur die wörtlichen Ebene gemeint, sondern ebenfalls die bildliche: Der Status quo, zwei verfeindete Lager und ein Teufelskreis der Gewalt, ist das Ergebnis einer Politik, die sich immer an dem orientiert, was die Vorgängergeneration getan hat. Die Generation der Protagonisten sieht sich jedoch nun in der Pflicht, diesem „Weiter so!“ ein Ende zu setzen, weil sie verstanden hat, dass der allseits gewünschte Frieden so nicht zu erreichen ist, dass ein ewiges „Wir gegen die“ nicht die Antwort sein kann. Und wenn das, was alle wissen, keiner so recht wahrhaben will, hat das selbstverständlich auch immer etwas von „Kindermund tut Wahrheit kund“. Die Autoren machen es sich aber erfreulicherweise nicht zu leicht, sondern konfrontieren diejenigen, die Gutes im Sinne haben und im Sinne aller agieren wollen, ohne dass irgendwer dabei zu Schaden kommt, mit der harten Realität: Überzeugungen, die sich über Jahrzehnte oder Jahrhunderte verfestigt haben, werden nicht von jetzt auf gleich aufgegeben, Vorurteile lassen sich nicht in Windeseile abbauen und Frieden ist mehr Prozess, den Zustand. Kurz: Es werden uns keine einfachen Lösungen präsentiert und der Blick durch eine rosarote Brille umgehend als ebensolcher entlarvt. Gleichsam wird dem Publikum vor Augen geführt, dass es genau aus diesem Grund so wichtig ist, nicht aufzugeben oder zu resignieren, sondern unermüdlich weiterzumachen. Und die Heldenreise – nebenbei bemerkt eines der ältesten Grundmuster der Literaturgeschichte – des besonderen Trios steht dafür, dass all diese Mühen und Anstrengungen nicht nur Bestandteile theoretischer Ausführungen oder wohlklingender Reden bleiben.
Die personifizierte Hoffnung ist Azymondias respektive „Zym“, der Prinz der Drachen. Sämtliche Bewohnerinnen und Bewohner des magisch-mystischen Xadia lebten seit einer Ewigkeit im Glauben, er wäre am selben Tag wie sein Vater ermordet worden. In Wahrheit befand sich das Ei, denn geschlüpft war die Feuer (oder eher Blitze) speiende „Junior-Majestät" noch nicht, in einer Geheimkammer innerhalb des Schlosses, in welcher Ezrans, Callums und Raylas Mission quasi ihren Anfang nahm. Kurz zuvor hatte Letztere die beiden anderen noch angegriffen, mit dem Ziel, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Doch die Existenz dieses besonderen Fundstücks änderte schlagartig alles, und die drei erkannten ihre einmalige Chance. Doch alle zahlten (vermeintlich) auch einen hohen Preis: Die jüngste Mondschatten-Elfe war zwar nicht alleine gekommen, allerdings die Einzige, die das Schloss lebend wieder verlassen konnte, und der (Stief-)Vater der Jungen überlebte diese Nacht ebenfalls nicht – vermeintlich. Und damit wäre der nächste zentrale Gedanke endgültig im Spiel: Alles (auch Zauberei) hat seinen Preis!
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Rayla fühlt sich nämlich seit diesem Tag verantwortlich für den Tod ihrer Kameraden (ihr gutes Herz verhinderte, dass sie einen der royalen Späher exekutierte) – in erster Linie für den von Runaan, dem Anführer der Gruppe, der sie gemeinsam mit seinem Mann bei sich aufgenommen hatte, nachdem ihre Eltern (vermeintlich) ihren Posten verlassen und so den „Ei-Raub“ erst ermöglicht hatten (sie waren Mitglieder der sogenannten „Drachenwache“), was ebenfalls lange schwer auf der 15-Jährigen lastete, wie nach und nach herauskommt. Daher sieht sie sich in mehrfacher Hinsicht in der Pflicht, den xadianischen Thronfolger wieder zu seiner Mutter Zubeia, der Königin der Drachen, zurückzubringen. Den Brüdern hingegen könnte niemand verübeln, wenn sie ihr geflügeltes Pendant aus dem tiefsten Inneren verabscheuen würden – schließlich – und langsam dürfte jeder das Muster erkannt haben – war dessen Vater an dem Tod ihrer Mutter schuld. Jedoch sind solche Gedanken mit den Naturellen der Halbwaisen unvereinbar. Beide haben ein gutes Herz, sind friedliebend, besonnen und denken immer zuerst an andere – was durchaus mit ihren (Stief-)Eltern zu tun hat, die sich innerlich schon von vielen der angestaubten Ansichten gelöst hatten, ehe Harrow – ergriffen von Trauer und Wut – wieder „rückfällig“ wurde. Als echter Tierfreund könnte Ezran dem Ei sowieso nicht einmal eines seiner nicht vorhandenen Haare krümmen. Immer an seiner Seite ist die Leuchtkröte Bait, an deren Hautfarbe man stets ihre Laune ablesen kann – sozusagen ein lebendiger Stimmungsring. Wie man etwas später erlebt, mag der Thronerbe Tiere nicht nur, sondern kann sogar mit ihnen (auch magischen) kommunizieren – was ihn zum idealen Vermittler zwischen den beiden großen Parteien macht. Callum ist darüber hinaus ein fantastischer Zeichner, aber dafür nicht einmal ein passabler Schwertkämpfer. Allerdings, wie sich bald zeigt, mit einem Magier-Talent gesegnet – wobei er, den die Himmels-Magie sehr reizt, keinesfalls „Dunkle Magie“ praktizieren will.
Wer dagegen keinerlei Probleme mit dem Einsatz ebendieser hat, sind die junge und überaus begabte Magierin Claudia und ihr Vater Lord Viren, einem der Hauptantagonisten von «Der Prinz der Drachen». Dieser wird als einer der engsten und langjährigsten Vertrauten Harrows eingeführt, dem er bis zu dem Moment treu ergeben ist, als das Oberhaupt von Katolis aus der Sicht des Hochmagiers nicht mehr das Wohl der Menschheit über alles stellt. Mit diesem Argument rechtfertigt dieser jede einzelne seiner Taten, hält diese außerdem deshalb logischerweise stets für alternativlos und ist deswegen auch ein glühender Anhänger der Theorie vom Zweck, der die Mittel heiligt oder anders: Er ist ein nahezu perfekter Bösewicht, weil er sich für den Helden dieser Geschichte hält, für den Guten, der im Zweifelsfall sogar dazu bereit wäre, sein eigenes Leben zu opfern. Während seine Tochter dies nicht wahrhaben will, spricht es sehr für die Drehbuchschreiber, dass sie seinen oftmals begriffsstutzigen, prahlerischen und stets nach dem Prinzip „Erst handeln, dann denken“ verfahrenden Sohn Soren, eine Kronwache, sich von seinem Vater abwenden lassen. Dafür findet Viren einen anderen mysteriösen Verbündeten, der jedoch eindeutig seine eigene Agenda verfolgt. Vorerst ist er aber auf die Hilfe des Hochmagiers angewiesen, weshalb der listige „Einflüsterer" ihn glauben lässt, er unterstütze ihn vollkommen uneigennützig dabei, Katolis zu beschützen.
Bei diesem handelt es sich um das größte der fünf Menschenkönigreiche, dessen Wappen ein Bär ziert. Die weiteren sind Evenere (Wappentier: Libelle), Del Bar (Wappentier: Schlange), Neolandia (Wappentier: Elefant) und Duren, auf dessen Wappen eine Blume zu sehen und das lange von zwei Königinnen regiert worden ist. Zusammen bilden diese Herrschaftsgebiete den Westen, während das bereits mehrfach angesprochene Xadia, das in Season 3 erstmals über einen längeren Zeitraum zum Schauplatz zahlreicher Ereignisse wird, den Osten darstellt – getrennt werden die Landmassen im Übrigen durch einen riesigen Lavastrom. Dort ist jede Pflanze (beispielsweise Melodahlien) und jedes Lebewesen (etwa Putzigel, Banther oder Schlurfer) erfüllt von Magie, weil sie alle über ein Arcanum verfügen. Darunter versteht man eine Art natürliche Verbindung (von Geburt an) zu einer der 6 Urquellen der Magie: also zur Sonne, zum Mond, zu den Sternen, zur Erde, zum Himmel oder zum Ozean. Es gibt zudem bestimmte Orte, die Nexus genannt werden, an denen jeweils eine Urenergie am intensivsten zu spüren ist. Ebenfalls begegnen den Fans darüber hinaus Drachen (ihre Sprache weist übrigens erstaunliche Gemeinsamkeiten mit Latein auf), die eine solche Zuordnung allein aufgrund ihres Aussehens ermöglichen, und natürlich die Elfen. Über die Mondschatten- und Sonnenfeuer-Elfen, die in dem prächtigen Lux Aurea leben, erfahren wir am meisten, außerdem ein wenig über die Erdblut- und Himmelsschwingen-Elfen und nahezu nichts über die Elfen, die das Arcanum der Sterne und das des Ozeans in sich tragen, was aus dramaturgischer Sicht selbstredend völlig nachvollziehbar ist. Speziell durch diese „Fast-Menschen“ mit je vier Fingern erfährt man eine Menge über die Mythologie dieses Universums und lernt Traditionen, Bräuche und typische Kleidungsstücke kennen, die – bei den Menschen ist es nicht anders – es einem ermöglichen, mehr und mehr in diese Welt einzutauchen und noch mehr über sie herausfinden zu wollen.
Und dies ist nicht nur das Verdienst von Aaron Ehasz und Justin Richmond, sondern das von einem riesigen Team von vornehmlich bei Wonderstorm oder Bardel Entertainment beschäftigten Popkulturbegeisterten wie Executive Producer Giancarlo Volpe, Supervising Director Villads Spangsberg und Art Director Edison Yan. Leute also, die von den großen Science-Fiction- und Fantasy-Franchises ebenso inspiriert worden sind wie von Videospielen oder dem Anime-Genre, weshalb sie einige ihrer Inspirationsquellen auch zitieren oder schlicht ihre Liebe zu einigen Kulttiteln zum Ausdruck bringen: Im Original fällt zum Beispiel der recht einprägsame Satz „winter is coming“ und es wird mit Ballisten auf einen Drachen geschossen, wir werden Zeuge, wie eine Stimme durch den Mund des „Eigentümers“ entfleucht und denken urplötzlich an Unterwasserwelten, wer roten Beerensaft aus einem Glasfläschchen mit Korken trinkt, fühlt sich bestimmt wie ein hüpfender Bär, ein riesiges Tier mit enorm langen Beinen, das als Fortbewegungsmittel in einer Wüste eingesetzt wird, ruft bei einigen sicherlich „sternkriegerische" Assoziationen hervor, wenn sich jemand verwandelt, erinnert das an eine Kriegerin, die im Namen des Mondes kämpft, die rennende Rayla an einen Nudelsuppenliebhaber respektive dessen Freunde, und ein Feind, der zwei magische Stäbe kreuzt, sehr an Fieslinge, die es normalerweise mit „teenagers with attitude“ zu tun bekommen. Und die Tonalität der Serie selbst ist eine Verbeugung vor vielen (noch nicht einmal zwangsläufig extrem populären) Cartoons der 90er-Jahre, in denen noch Abenteuergeist, Dramatik, Spannung, Herz und Werte großgeschrieben worden sind, und man sich nie mit weniger als einem epischen Endergebnis zufriedengegeben hat, wie «Highlander – The Animated Series» oder «Dragon Flyz » (beide von Gaumont Multimedia produziert).
Diese Welt hinterlässt bei den Streamenden auch deshalb einen bleibenden Eindruck, weil sie nicht nur zu sehen, sondern gewissermaßen ebenfalls zu fühlen und zu hören ist. Und das liegt an dem deutschen Filmkomponisten Frederik Wiedmann, der mittlerweile in Los Angeles lebt, schon einen Daytime Emmy Award gewonnen hat und nicht nur Gezeichnetes oder Animiertes wie einige der „DC Universe Animated Original Movies“ oder «Miles von Morgen» musikalisch untermalt hat beziehungsweise untermalt, sondern auch «Alarm für Cobra 11 – die Autobahnpolizei» und einige weitere RTL-Produktionen. Bei diesem Projekt hat man allerdings das Gefühl, dass Wiedmann sich so richtig austoben durfte und nicht eher mit dem Feilen aufgehört hat, bis er einen ungemein atmosphärischen Soundtrack fertiggestellt hatte. Die Musikstücke motivieren und berühren einen gleichermaßen. Sie passen zu einem Kosmos, der nur so von Ecken wimmelt, die es sich lohnt, zu erforschen und Charakteren – besonders auch wunderbaren Nebencharakteren wie der stummen Generalin Amaya, ihres Zeichens Schwester der verstorbenen Königin Sarai und Tante der Prinzen –, die man blitzschnell in sein Herz schließt, was selbstverständlich auch an ihrer Gestaltung liegt. Dieses Format dient nämlich ebenfalls als Beweis dafür, dass der Welt des Zeichentricks oder der Animation nahezu keine Grenzen mehr gesetzt sind und die richtigen Leute im Prinzip alles „zu Papier“ bringen können – auch das, was selbst bei Realfilm- beziehungsweise Realserienproduktionen mit riesigen Budgets nicht finanzierbar und in dieser Geschwindigkeit ohnehin nicht realisierbar wäre. Der Look sieht im ersten Moment wie eine Mischung aus klassischem Zeichentrick und Computer-Animationen aus, dabei wurde eine Technik verwendet, die primär bei Games zum Einsatz kommt und den Anschein erwecken kann, als handle es sich um Gezeichnetes. Nach Staffel 1 und dann noch einmal nach Staffel 2 hatte die Design-Abteilung – auch und gerade – auf den Wunsch zahlreicher Anhänger der Sendung hin dennoch jeweils nachjustiert, bis man auf diese Weise letztendlich fast einen klassischen 2D-Look kreiert hatte, der lediglich noch in imposanten Kampfsequenzen auf 3D-Einstellungen zurückgreift und dabei deutlich von Justin Richmonds Gaming-Expertise, die er unter anderem bei der Arbeit an der „Uncharted“-Reihe unter Beweis stellen durfte, profitiert.
Abschließend soll an dieser Stelle zudem noch einmal explizit die deutsche Synchronfassung lobend hervorgehoben werden, die gar besser als das Original geworden ist. Dies hat maßgeblich damit zu tun, dass Dialogregisseur und Dialogbuchschreiber Jan Fabian Krüger sehr darauf geachtet hat, dass vor allem die Dinge, die zwischen den Zeilen mitschwingen, sich aus den Worten der Synchronsprecher ableiten lassen. Schließlich haben viele Figuren mit ihrer Unsicherheit und ihren Zweifeln zu kämpfen beziehungsweise kommt es bei ihnen allgemein häufig zu Stimmungswechseln, die ausgespielt werden wollen, ohne dass man dabei übertreibt. Neben den – man möchte fast sagen – Altmeistern Peter Flechtner (Feststimme von Ben Affleck) und Erich Räuker (Feststimme von Hugh Bonneville), die Viren und dessen mysteriösem Unterstützer Leben einhauchen, hat Krüger überwiegend auf noch recht unverbrauchte Stimmen gesetzt – also solche, denen der Sprung in das oberste „Hollywood-Liga-Regal" bisher noch nicht geglückt ist. Erwähnung finden müssen in diesem Kontext zweifelsohne Maximiliane Häcke (aka das Kikanichen, das jeder kennt, der Enkel, Kinder oder kleine Geschwister hat), durch die Claudias Facettenvielfalt großartig zur Geltung kommt, Sascha Werginz, der Callums Nachdenklichkeit wie auch dessen Entschlossenheit gut herausarbeitet, Newcomer Arthur Wolfgang Mai, dem in Sachen Natürlichkeit kaum jemand das Wasser reicht und der überdies ein talentierter Nachwuchseiskunstläufer ist, und ganz besonders Amelie Plaas-Links Intereptation der Rayla. Die Schauspielerin, die einst eine Hauptrolle in der Sat.1-Soap «Hand aufs Herz» bekleiden durfte, schafft es, die weiche ebenso wie die toughe Seite der Mondschatten-Elfe immer in den richtigen Augenblicken zum Vorschein kommen zu lassen. So verleiht sie Rayla die der Protagonistin eigene Tiefe und Liebenswürdigkeit, die sie aus- und erst zu dem Publikumsliebling machen, der sie ist.
«Der Prinz der Drachen» ist visuell beeindruckend, mit Weitblick geplant sowie packend erzählt und setzt die Messlatte für animierte Serien endlich wieder so hoch, wie es zuletzt vor dem Jahrtausendwechsel der Fall war, und alles spricht dafür, dass eine (etwaige) Staffel 4 das Niveau der vergangenen drei mindestens halten wird.
Die ersten drei Staffeln von «Der Prinz der Drachen» sind auf Netflix verfügbar.
06.12.2019 10:00 Uhr
• Florian Kaiser
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