Mitte der 1990er-Jahre verabschiedete sich eine Serie aus dem TV, die wie kaum eine andere mit einer klassischen Identifikationsfigur aufwarten konnte: Integer, verlässlich, moralisch einwandfrei. Wer hätte ahnen können, dass wir danach 25 Jahren auf diese Werte im TV würden verzichten müssen?
In rund sechs Wochen wird es für viele Fans von «Star Trek » oder generell Freunde des Bereiches der Science-Fiction ernst. Dann startet mit «Star Trek: Picard» eine Serie, die ebenso freudig wie argwöhnisch erwartet wird. Doch warum ist das eigentlich so? Machen wir uns gemeinsam auf die Suche nach Gründen für den Kult sowie für die Hoffnungen und Erwartungen der Fans und auch jene Stolperfallen, die es zu umschiffen gilt.
Worauf basiert das Ganze?
«Star Trek: Picard» wird die insgesamt siebte Realserie aus dem beliebten Star-Trek-Franchise sein. Die ersten fünf liefen zwischen 1966 und 2005 weltweit frei empfangbar, 2017 ging es dann bei Netflix mit «Star Trek: Discovery» erstmals im Streamingbereich weiter. Auch nach zwei Staffeln lief die Serie bislang noch nicht im deutschen Free- oder Pay-TV. Doch gelang es immerhin, das Franchise mit dieser Inkarnation wiederzubeleben. Neben den größtenteils erfolgreichen Rebootfilmen im Kino entsteht daraus aktuell ein ganzes Universum neuer Serien. Dieses untersteht dem aktuellen Macher Alex Kurtzman, der damit in die großen Fußstapfen von Trek-Schöpfer Gene Roddenberry, Harve Bennett, Rick Berman oder auch J. J. Abrams tritt.
Die neue Serie basiert ganz konkret auf «Star Trek: The Next Generation», die ab 1987 die Originalserie rund um Captain Kirk und Spock im TV beerbte, sieben Jahre (und 178 Episoden lang) sensationelle Einschaltquoten einfuhr und dann noch erfolgreich durch vier Kinoabenteuer flog. 2002 war nach dem kommerziellen Flop mit «Star Trek: Nemesis» jedoch vorerst Schluss. 16 Jahre lang haben wir inzwischen nichts mehr von den alten Helden zu sehen bekommen. Bis jetzt. Übrigens sollte man auch den 2009 erschienenen Reboot-Kinofilm «Star Trek» kennen, da dessen erste Minuten nicht nur in der gleichen Zeitlinie wie alle TV-Serien spielen, sondern offenbar auch inhaltlich von Bedeutung sein werden.
Doch ist «Star Trek: Picard» natürlich erst der Anfang. Später im Jahr 2020 geht es mit der dritten Staffel von «Star Trek: Discovery» weiter, «Star Trek: Lower Decks» wird die zweite animierte Serie werden, ein ebenfalls animiertes Nickelodeon-Projekt zielt auf die jüngere Zielgruppe ab und steht ebenso in den Startlöchern wie eine Serie über die Sektion 31 mit Michelle Yeoh in der Hauptrolle. Dazu gibt es regelmäßige «Short Treks», laufende Planungen für aktuell zwei neue Kinofilme und Gerüchte um eine Serie über die Abenteuer von Captain Pike und Spock auf der USS Enterprise. Viel Stoff für Trekkies!
Worum geht´s?
Dennoch haben wir es bei «Star Trek: Picard» schon wegen des popkulturellen Einflusses des Vorgängers natürlich mit einem spezialgelagerten Sonderfall zu tun. Was die Macher indes von vorneherein klargemacht haben: Es handelt sich bei dieser neuen Serie nicht um ein Revival der Next Generation und auch nicht um eine direkte Fortsetzung. Durch den langen Zeitraum, der zwischen den beiden Erzählungen liegt (rund 20 Jahre), haben sich grundlegende Dinge im Trek-Universum verändert. Das gilt auch für die Lebenswege der Figuren. Zuerst betrifft das natürlich den Star der Serie: Sir Patrick Stewart. Dieser hatte Picard bereits in der Serie und den Filmen verkörpert und dem Vernehmen nach eine ganze Weile lang mit der Sternenflottenuniform abgeschlossen. Doch irgendwie gelang es den Machern rund um Kurtzman, ihn von einer Rückkehr zu überzeugen. Geld dürfte kein Motiv gewesen sein. Doch was dann? Ist die Idee vielleicht wirklich so gut?
Zwar werden neben ihm auch Brent Spiner (als Data), Jonathan Frakes (als Riker) und Marina Sirtis (als Troi) im Verlauf der Staffel ihre Rollen aus der gemeinsamen Serie wieder aufnehmen, bezüglich der restlichen Originalbesetzung (Worf, Geordi LaForge, Dr. Crusher) gibt es jedoch noch keine Informationen. Dafür holte man aber – zugegebenermaßen etwas überraschend – die aus «Star Trek: Voyager» bekannte Jeri Ryan als Seven of Nine an Bord und verschafft obendrauf dem aus «Star Trek: The Next Generation» bekannten Gastdarsteller Jonathan del Arco als Borg Hugh ein Comeback. Somit dürfte die ganze Angelegenheit fraglos zu einer Art Familientreffen werden, wenngleich nicht in einer Form, wie man das vorher vielleicht hätte annehmen können.
Wer ist sonst noch beteiligt?
Neben Alex Kurtzman besteht der Stab der Kreativen aus einigen bekannten Namen: Heather Kadin und Akiva Goldsman gehören wie auch Roddenberry-Sohn Rod und Trevor Roth zum Stab von «Star Trek: Discovery». James Duff ist erst kürzlich zum Team gestoßen und hatte schon für «Star Trek: Enterprise» geschrieben. Die Hoffnungen vieler Fans vereint allerdings Pulitzer-Preisträger Michael Chabon auf sich, der die erste Staffel als Showrunner begleitet und inzwischen auch schon zwei gute «Short Treks» beisteuerte. Leider wurde jedoch jüngst bekannt, dass Chabon in der (zu erwartenden) zweiten Staffel nicht mehr in dieser Funktion zurückkehren wird, da er sich um andere Projekte für CBS kümmern soll.
Zum neuen Team des Jean-Luc Picard gehören Isa Briones als Dahj, Alison Pill als Agnes Jurati, Santiago Cabrera als Chris Rios, Michelle Hurd als Raffi Musiker, Harry Treadaway als Narek und Evan Evagora als Elnor.
Was ist wichtig?
Wenn eine neue Serie erscheint, die auf etwas so langlebiges und erfolgreiches zurückgreift wie «Star Trek: The Next Generation», muss die Frage nach den Werten gestattet sein, für die die Ur-Serie stand.
Bei keiner Trek-Serie war diese Frage dann auch so berechtigt wie hier: Captain Jean-Luc Picard bildete immerhin über sieben Serienjahre und in vier Kinoabenteuern das moralische Zentrum der Handlung. Dieser Mann war nicht nur der Captain, sondern vielmehr Leitfigur, Vorbild, Mentor, Philosoph und Gewissen in Personalunion und hatte neben den Interessen seiner Freunde und Kollegen auch immer noch das große Ganze im Blick. Für seine Überzeugung ging er, ohne zu zögern, über Grenzen oder riskierte seine eigene Karriere. Wenn es einen ultimativen Vorzeige-Captain in der Geschichte von «Star Trek» gibt, ist es fraglos der Franzose mit dem britischen Akzent.
Somit wäre es wichtig, exakt diesen klar definierten Kern der Figur für die neue Serie wiederzufinden. Dabei besteht kein Zweifel daran, dass sich in rund zwanzig Jahren eine Menge ändern kann – auch Menschen. Es ist ebenfalls nachvollziehbar und akzeptabel, dass Picard sich aktuell in einer schwierigen, zweifelnden Phase seines Lebens befindet. Die Gründe dafür wird man uns bestimmt darlegen. Wichtig wird jedoch der Umgang damit sein. Wohin führt ihn sein Weg? Wie handelt er, wenn es hart auf hart kommt? Wird er seine Überzeugung wiederfinden und auf seine Art das Richtige tun?
Heutzutage ist es hip und modern, Figuren zu brechen oder zu drehen, um ihnen eine neue, spannende Ausrichtung zu geben. Damit befeuert man aber leider auch das Wendehals-Schema, das uns insbesondere in der Politik seit geraumer Zeit täglich vorgeführt wird. Aussagen und Überzeugungen zählen nur so lange, wie es die Tagesaktualität erlaubt. Somit mag eine Serienfigur, die dieser Logik folgt, zwar realistisch sein, jedoch nicht das abbilden, was wir vorgelebt bekommen müssten. Picard ist ein Mann der gelebten Prinzipien und das sollte er auch in letzter Konsequenz immer bleiben dürfen.
Die Zukunft, das unentdeckte Land
Nun haben wir viel über früher gesprochen. Und es ist auch nie verkehrt, sich das Vergangene vor Augen zu führen. Dennoch bekommen wir es im Januar mit dem Produkt einer gänzlich anderen Zeit zu tun. Was damals die Syndication in den USA war, ist heute das Streaming. Die Serie wird nicht mehr im Free-TV gezeigt werden, sondern weltweit nur bei Amazon Prime. Hinzu kommt eine vollkommen veränderte Gemengelage hinsichtlich der Dramaturgie bei TV-Serien. «Star Trek: The Next Generation» bot 178 Abenteuer der Woche, Veränderungen bei den Figuren und dem Setting waren nur dezent zu spüren. Die Machart wirkt nach heutigen Maßstäben angestaubt und langatmig. Aktuell gilt es eher, zusammenhängende Geschichten zu erzählen und groß zu denken. Dass man sich daran auch gut verheben kann, hat «Star Trek: Discovery» insbesondere mit der unausgegorenen ersten Staffel bereits kürzlich im Trek-Bereich bewiesen. Dass der Stil von Fernsehserien nicht nur in Bezug auf die technische Umsetzung zusätzlich heute ein vollkommen anderer ist als damals, spielt ebenfalls in die Gleichung hinein.
Doch was erwartet uns dann Ende Januar? Blickt man auf die beteiligten Darstellerinnen und Darsteller darf man durchaus noch viel Retro-Atmosphäre erwarten. Nimmt man das (weitergedachte) Serien- und Filmsetting sowie die offensichtlich sehr stark vom Vorgänger geprägte Machart aus den Trailern hinzu, deutet ebenfalls alles in die gleiche Richtung.
Was dann noch bleibt, ist das Team der Kreativen, die hinter der Serie stecken und mit «Star Trek: Discovery» bereits mehr als einmal bewiesen haben, dass sie auf der einen Seite zwar großformatig unterhalten können, den Kern und Zauber von «Star Trek» aber auf der anderen Seite zu selten treffen. Bei einer gänzlich neuen Serie und einem neuen Cast mag das ganz gut funktionieren. Doch wie wird es sein, wenn dieses Team nun ikonische Figuren wie Picard, Data, Riker, Troi und Seven of Nine schreiben muss? Werden sie den richtigen Ton treffen können? Wir werden es bald erfahren.
So lange gilt es schlicht, alle Daumen gedrückt zu halten, dass ein ganz besonderer Held der 1980er- bis 2000er-Jahre nicht grundlos entzaubert und sein Vermächtnis verwässert wird. Jean-Luc Picard wird heutzutage genau als der Mann gebraucht, der er in 178 Episoden und vier Filmen immer war. In Zeiten wie diesen mehr denn je. Please make it so.
Star Trek: Picard startet am 24. Januar 2020 bei Amazon Prime in die erste Staffel.
12.12.2019 11:30 Uhr
• Björn Sülter
Kurz-URL: qmde.de/114272