Ein von Disney teilfinanzierter LSD-Trip. Eine vom Disney-Konzern ins Kino gebrachte Gewaltfantasie. Und mehr!
Im Laufe seiner Amtszeit als CEO der Walt Disney Company hat Bob Iger eine Entwicklung vorangetrieben, die viele zuvor wohl nicht für möglich gehalten hätten: Einerseits hat er den Fokus des Disney-Konzerns verengt – aber den Erfolg massiv vergrößert. Unter Iger stützt Disney vor allem eine kleine Auswahl seiner Marken, statt sich so breit zu streuen wie noch unter Michael Eisner. Vor Iger war ab und zu auch mal so etwas wie «Armageddon» der größte Erfolg des Jahres für den Disney-Konzern – also ein Film, den die wenigsten mit Disney assoziieren dürften.
Unter Iger dagegen hat Disney ein paar Marken aufgebaut (und aufgekauft) und sie zum unmissverständlichen Mittelpunkt des Konzernschaffens gemacht. Gewiss, ein «Avengers || Endgame» kam auch nicht unter dem Disney-Label ins Kino, doch während die Disney-Verbindung zu Filmen wie «Con Air», «Kill Bill» oder «The Sixth Sense» in die Sparte Fachwissen fällt, wurde in der Ära Iger die Connection zwischen der Kernmarke Disney und den dazugekauften Franchises wie «Star Wars» und Marvel sehr offen kommuniziert. Disney-Store-Werbespots etwa vereinen Iron-Man-Kostüme, «Star Wars»-Actionfiguren und Prinzessinnen-Plastikschmuck, als gäbe es keinerlei assoziativen Grenzen zwischen ihnen. Einen Disney-Store-Werbespot mit «Con Air»-Waffenreplikas wäre dagegen niemals denkbar gewesen.
Dass sich diverse Sub-Sektionen des Disney-Konzerns enger verknüpft haben, während parallel dazu aus dem einstigen Zwerg unter den großen Hollywood-Konzernen der popkulturelle Obermotz wurde, bringt aber auch einige Missverständnisse mit sich: In einer Ära, in der Disney ein Realfilm-Remake seiner Zeichentrickklassiker ans nächste reiht und die Wahrnehmungsgrenzen zwischen Donald Duck und Hulk verwischen, glaubt die Allgemeinheit, der Disney-Konzern hätte sich völlig aus dem Geschäft zurückgezogen, Filme zu produzieren, die sich unmöglich mit der Kernmarke verbinden lassen. Anders gesagt: Ein «Der Staatsfreind Nummer Eins»-Spielset in einem Disney-Store-Werbespot war undenkbar, dennoch wurde der Paranoia-Actionthriller hergestellt. Heute dagegen würde kein solcher Film mehr das grüne Licht erhalten, da
alles was Disney macht problemlos neben Winnie Puuh Platz finden muss – so der Irrglaube.
Hier folgt daher ein buntes Durcheinander aus Filmen der Iger-Ära, die mit dem Gedanken einer wirklich, wirklich umfassenden Komplettsammlung besessene Disney-Fans eigentlich irgendwo zwischen «Starship Troopers» und «Bambi» im Regal stehen haben müssten. Ob die Liste nun bedeutet "Guckt mal, Disneys Output ist nicht so eng gesteckt, wie ihr denkt" oder "Wow, wie riesig ist dieser Konzern denn jetzt bitte?", das dürft ihr selber entscheiden.
«Porträt einer jungen Frau in Flammen»
Céline Sciammas wunderschöner Historienfilm über eine Malerin, die mit der Aufgabe betreut ist, heimlich das Porträt einer jungen Adligen zu malen, damit diese verheiratet werden kann, wurde in den USA gemeinschaftlich von Hulu und Neon erworben. Neon und der Disney-Streamingdienst bringen die romantische, sinnliche und nachdenkliche Geschichte über weibliche Selbstbestimmung, gesellschaftliche Gräben sowie über die Kluft zwischen individueller Kunst und Auftragsarbeiten derzeit limitiert raus. Im Frühjahr 2020 erhält der Film aber einen breiten Start.
Betörend von Adèle Haenel und Noémie Merlant gespielt und atemberaubend schön fotografiert, ist «Porträt einer jungen Frau in Flammen» genau die Art Film, die laut gewissen Pessimisten angeblich gar nicht mehr existiert: Eine wortkarge Charakter- und Gesellschaftsstudie voller Atmosphäre und Poesie.
«Werk ohne Autor»
Apropos Malerei: Disney Deutschland war einst recht betriebsam darin, einheimische Filme zu produzieren oder wenigstens zu vertreiben, die nicht zum Disney-Familienimage passen. Diese Werke wurden dann schlicht unter dem Touchstone-Banner oder unter Buena Vista International veröffentlicht – wie etwa Til Schwigers «barfuss» oder Marc Rothemunds «Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit». Nach einer Reihe von Misserfolgen stieg Disney Deutschland aus dem Geschäft jedoch aus. Eigentlich. Denn man konnte es sich nicht nehmen lassen, sich trotzdem hinter Florian Henckel von Donnersmarcks «Werk ohne Autor» zu stellen, nachdem man zuvor bereits «Das Leben der Anderen» in die Kinos brachte.
Das drei historische Abschnitte Deutschlands umspannende, dramatische Epos über
Empathie, Kunst und Ignoranz wurde für zwei Oscars nominiert und schien generell im Ausland auf mehr Verständnis zu stoßen als in der Bundesrepublik. Aber wer weiß, vielleicht wird das spannende, grüblerische, traurige Drama mit Tom Schilling, Sebastian Koch, Paula Beer und Oliver Masucci hierzulande wiederentdeckt?
«Little Monsters»
Noch einmal Hulu: Eine Vorschullehrerin (Lupita Nyong'o) mit Sangeskünsten und goldigem Gemüt führt ihre Kids in einen Park, während sie von einem Versagertypen angegraben wird. Oh, und während eine Zombie-Epidemie ausbricht, die die Lehrerin ihren Schützlingen mit aller Macht als Spiel zu verkaufen versucht.
Hat ein paar Durststrecken, ist aber quirlig und lustig.
«Ready or Not»
Einer der ersten Filme, die Fox nach der Übernahme durch Disney veröffentlicht hat, ist diese blutige, bissige Horrorkomödie: In «Ready or Not» spielt Samara Weaving (die Titeldarstellerin aus dem großartigen Netflix-Film «The Babysitter») eine Frau, die in eine wohlhabende Dynastie von Spieleherstellern einheiratet. Ihre Hochzeitsnacht wird jedoch zu einem Spiel auf Leben und Tod.
In einem eleganten, dunklen Look gehalten und behände zwischen Suspense, Gewalt-Schaulust und satirischer Würze wechselnd, ist «Ready or Not» ein köstlicher Genre-Leckerbissen, der ebenso als spritziger Horrorstoff funktioniert wie als Eintrag in die "Eat the Rich"-Filmklasse des Jahres 2019, zu der unter anderem auch «Parasite» gehört.
«Climax»
Genauso wie der iranische Kunst-Horrorfilm «A Girl Walks Home Alone At Night» fällt «Climax» in die Sparte "Ich wette, dass es Disney-Manager gibt, die nicht wissen, dass Disney-Geld in diesen Film geflossen ist": Disney hält Anteile an der journalistischen Plattform Vice, die wiederum ein Filmlabel für fiktive Stoffe gegründet hat. Und die gehört zu den zahlreichen Firmen, die der argentinische Provokateur Gaspar Noé zusammengetrommelt hat, um den LSD-Trip von einem Tanzfilm namens «Climax» zu verwirklichen. Was Bob Iger von dem Film hält, ist meines Wissens nach nicht verbucht.
Der unter anderem auch von arte gestützte, rauschhafte Streifen zeigt die brutal ausartende Party einer Tanztruppe mitten in einem eiskalten Winter irgendwo in Frankreich. Eine mit hartem Stoff gepanschte Sangria weckt die niedrigsten Instinkte im agilen Partyvolk. Urin, Blut, Tränen und Dauergeilheit verwandeln diese unerwartete Drogenparty daraufhin in eine Art Vorstufe der Hölle …
«Beach Bum»
Noch einmal Vice, noch einmal Drogen, aber eine ganz, ganz andere Stimmung:
Ein zugdröhnter Matthew McConaughey latscht debil-munter grinsend durch die Gegend, und er schnallt nicht so wirklich, wie abgefahren und turbulent sein Leben ist. Macht Spaß, ist (auf deutlich seligere Weise als «Climax») rauschartig und ist Charakter- und Stimmungskino pur. Plot, wer braucht schon einen Plot?!