Einst das weltweite Fiktionsaushängeschild und heute von zahlreichen „Mitbewerbern“ abgehängt? Ist das Medium „Buch“ schon am Ende? Mitnichten! Seine Rolle hat sich nur verändert.
Es ist endgültig nicht mehr zu leugnen: Wir leben im Zeitalter der Bilder! Man muss sich nur ansehen, welche Sozialen Medien – vor allem bei den ganz Jungen – einst angesagt waren und welche heute das Maß aller Dinge sind. Wer das tut, ist nämlich direkt im Besitz des gewichtigsten Argumentes, mit dem diese These gestützt werden kann. Den Begriff „Facebooker“ gibt es schließlich bis heute nicht, aber „YouTuber“ oder „Instagrammer“ schon beziehungsweise spricht man ja mittlerweile hauptsächlich von „Influencern“. Ob Videos oder Fotos, ob „in Bewegung“ oder statisch, das Bild steht so sehr im Fokus wie nie zuvor – auch dank all der Prominenten-Accounts, die natürlich die größte Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Allgemein hat in der Welt der Unterhaltung eine spürbare Verschiebung stattgefunden:
Ein lange belächelter „Contender“ ist die Videospielindustrie. Spätestens als diese aber erstmals mehr umsetzte als das so erfolgsverwöhnte Hollywood, kam man nicht mehr umhin, Games nach all der Zeit ernst zu nehmen. Denn inzwischen existieren so viele „Zocker-Generationen“ nebeneinander wie nie zu vor, die wiederum selbst ganz unterschiedliche Konsolen präferieren. Sprich: Es handelt sich hierbei nicht nur um einen temporären Trend, sondern vielmehr um einen mittlerweile etablierten Zweig der Entertainment-Welt – mit enormem Wachstumspotenzial. Und dies bedeutet, dass – Stand heute – nicht auszuschließen ist, dass sich das Kräftegleichgewicht im Unterhaltungsbereich in Zukunft noch weiter verschieben wird.
Dass jede PR gute PR ist, wäre mit diesen Ausführungen auch widerlegt. Klar, das Phänomen „Trash-Hype“, das Tele5 mit seinen „SchleFaZ“-Abenden befeuert hat, wäre ein Gegenargument, doch tatsächlich ist das Publikum – gerade an den Kinokassen – sehr wählerisch geworden, weshalb auf der großen Leinwand in Summe primär die Abendfüller genossen werden, die bereits weit vor ihrem Release für unzählige Klicks, Likes und viel Traffic in den Kommentarspalten sorgen. Zumal hier nicht nur der finanzielle Aspekt von Belang ist, sondern auch der Faktor Zeit. Schließlich ist insbesondere der jüngeren Generation wenig so heilig wie ihre Freizeit. Es kommt nicht von ungefähr, dass „Netflix & Chill“ längst den „Geflügeltes Wort“-Status erreicht hat. Sich vom heimischen Sofa (oder sogar vom Bett aus) in fiktionale Welten entführen zu lassen, garantiert eben ein Höchstmaß an Komfort und ist im doppelten Wortsinn bequem sowie (im Verhältnis) ziemlich kostengünstig. Seit Videospiele immer häufiger nur noch heruntergeladen werden und Services wie der sogenannte „Game Pass“ existieren, gilt dies quasi auch für den Gaming-Bereich. Angesichts dieser Fakten ist es nicht verwunderlich, dass das Wort „Buch“ bislang nur in der Überschrift beziehungsweise im ersten Absatz aufgetaucht ist. Ein so traditionelles Medium hat schließlich keine Chance gegen solch moderne Mitbewerber …oder etwa doch?
Wie oft wird davon gesprochen, wie schnelllebig unsere Zeit geworden ist – und der Medienwandel hat daran einen erheblichen Anteil. Wie schon ausgeführt, sind die Sekunden, Minuten und Stunden, in denen wir machen können, wonach uns gerade ist, das wahre Luxusgut der Gegenwart. Und angesichts dessen ist es sogar durchaus plausibel, warum primär zu den im Vergleich zum Buch (vermeintlich) leichter konsumierbaren Unterhaltungsalternativen gegriffen wird. Denn Lesen bedeutet nicht nur Entschleunigung, es bedeutet vor allem auch, sich voll und ganz auf diesen zwischen zwei Buchdeckeln eingefangenen Kosmos einzulassen. Sprich: Dabei handelt es sich um eine bewusste Entscheidung, eine für ein Medium und gegen viele andere. Als Leserin oder Leser geht man so gesehen eine Art exklusive Beziehung mit dem Medium seiner Wahl ein. Kein Smartphone, generell kein Second Screen, nur Werk und Rezipientin respektive Rezipient. Wer das Handy nicht weit genug weggelegt respektive auf lautlos gestellt hat und trotzdem schwach wird, lernt schnell, dass man zwar nebenbei lesen kann, sich dann allerdings die Frage stellt, wie viel man so eigentlich mitbekommt.
Dass der Großteil einer Generation über mehrere Jahre zahlreiche solcher „Leseerinnerungen“ parallel sammelt, ist äußerst selten. Dass ein solches Szenario allerdings eintreten kann, hat eine gewisse Joanne K. Rowling – ihres Zeichens Erfinderin von Harry Potter, dem jungen Zauberer, der innerhalb kürzester Zeit zu einer Bekanntheit gekommen ist wie kaum ein anderer Buchcharakter jemals zuvor – eindrucksvoll bewiesen. Unvergessen sind die nicht nur hierzulande inzwischen geradezu legendären Lesenächte, die erstmals unmittelbar vor dem Veröffentlichungstag von „Harry Potter und der Feuerkelch“, also dem vierten Band der Reihe, im Jahr 2000 veranstaltet worden sind. Zu diesem Zeitpunkt war auch längst klar, dass nur wenige Monate später (Ende 2001) «Harry Potter und der Stein der Weisen» ins Kino kommen würde – ein Film, auf den noch 7 weitere folgen sollten, da das finale Abenteuer des Jungen mit Blitznarbe auf der Stirn („Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“) als Zweiteiler produziert worden ist. Für die Fans begann nun also eine regelrechte „Schlaraffenlandphase“, da sie sich, wenn es nicht gerade literarischen Nachschub gab, an filmischem erfreuen durften und umgekehrt. Außerdem wurden alle Bände selbstredend auch als Hörbuch aufgenommen, was dazu führte, dass Rufus Beck, der sieben Mal im Aufnahmestudio Platz nahm und jedem der unzähligen Figuren auf einzigartige Weise Leben einhauchte, für „Potterheads“ im deutschsprachigen Raum auf ewig untrennbar mit diesem Universum verbunden bleiben wird.
2011 strömten all jene, die mit Harry, Ron und Hermine aufgewachsen sind – und nicht nur die –, vorerst zum letzten Mal in die Lichtspielhäuser ihres Vertrauens, um aus nächster Nähe mitzuverfolgen, wie ihre Lieblinge Lord Voldemort endgültig besiegten. Wer nun aber dachte, dass die Nachfrage nach Stoffen dieser Art mittlerweile stark nachgelassen oder sich eine Übersättigung eingestellt hätte, der irrte gewaltig. Im Gegenteil: Längst war die Suche nach dem legitimen Nachfolger in vollem Gange. Sie gestaltete sich allerdings als nicht gerade einfach: Ob „Die Chroniken von Narnia“, „Eragon“, „Tintenherz“ oder „Percy Jackson“, an adaptionswürdigen Vorlagen mangelte es nicht, und trotzdem konnte keine der auf ebendiesen basierenden Verfilmungen auch nur im Ansatz eine ähnliche Welle der Begeisterung auslösen, wie es einst den Hogwarts-Schülern oder den Bewohnern von Mittelerde gelungen war. Dieses einzigartige Erbe anzutreten, dürften die Köpfe hinter den «Twilight»-Umsetzungen nicht im Sinn gehabt haben. Stephenie Meyers Tetralogie hatte für ein echtes Vampir-Comeback gesorgt – glühende Anhänger und scharfe Kritiker inklusive. Die fünf Abendfüller (man machte auch hier aus dem letzten Band einen Zweiteiler), die zwischen 2008 und 2012 erschienen, generierten jedoch zufriedenstellende Umsätze und puschten darüber hinaus die Buchverkäufe. Dies hatte vornehmlich damit zu tun, dass sich neben denjenigen, die mehr und mehr (lesend) in all die mystisch-magischen Universen eingetaucht waren und stets nach neuen potenziellen Hits Ausschau hielten, inzwischen auch immer mehr Menschen zu Fans dieser sogenannten „Franchises“ erklärten, die durch die Filme erstmals mit der Materie in Berührung gekommen waren. Und diese Entwicklung sollte sich in den Folgejahren bis zum heutigen Tag nur verstärken. Ein weiteres Beispiel dafür sind die vier «Die Tribute von Panem»-Teile, die auf der Trilogie von Suzanne Collins basieren – ja, auch hier wurden die Geschehnisse aus dem finalen Buch in zwei Teile gepackt.
Diejenigen hingegen, die sich bereits sehr früh die Romanen zugelegt hatten, sie vielleicht sogar seit Mitte der 90er kannten oder seitdem sie nach etwas gesucht hatten, um die Leere zu füllen, die sich nach dem fünften Durcharbeiten sämtlicher „Der Herr der Ringe“- oder „Harry Potter“-Bände so langsam dann doch bei ihnen eingestellt hatte, verschafften sich ebenfalls immer häufiger nachhaltig Gehör. Anfangs noch auf Blogs, später vermehrt auf YouTube und schließlich mithilfe von Podcasts – und zwar vielfach auf hohem Niveau und zum Teil gar mit einem eigenen künstlerischen Anspruch. Das mittlerweile zum festen Bestandteil der Medienindustrie gewordene „Influencertum“ beweist bis heute gerade im Zusammenhang mit Popkultur oftmals, dass es dessen Vertreterinnen und Vertretern eben doch nicht immer, wie ihnen nicht selten vorgeworfen wird, um die maximale Klickanzahl oder den größten Werbedeal geht. Im Internet konnte das, was vor nur wenigen Jahren von vielen Chefredakteurinnen und Chefredakteuren noch für eine absolute Nische gehalten wurde, wachsen, gedeihen und immer mehr Zuspruch finden. Interessanterweise erreichen aber auch dort Videos von Kanälen, die sich bevorzugt oder ausschließlich dem geschriebenen Wort widmen, bei Weitem nicht die Abrufzahlen, wie es bei solchen der Fall ist, die sich mehrheitlich um Serien und/oder Filmen drehen. Ebenso spannend: Die meisten sogenannten „BookTuberinnen“ und „BookTuber“ stellen häufig Werke vor, die dem Bereich der Fantastik zuzuordnen sind, oder bezeichnen das Genre als dasjenige, das sie am meisten anspricht, beeinflusst oder überhaupt erst zum Lesen gebracht hat. Und in den zugehörigen Kommentarspalten, in denen es im Übrigen auffallend harmonisch zugeht, ergibt sich häufig ein ähnliches Bild. Umso bemerkenswerter ist das, wenn man sich einmal vergegenwärtigt, wie schwer sich das Feuilleton lange mit Fantasy-Literatur (oder auch Science-Fiction) getan hat und in Teilen nach wie vor tut.
In diesem Zusammenhang bietet es sich an, auf «Das Literarische Quartett» zu sprechen zu kommen, das in neuer Besetzung seit 2015 wieder regelmäßig im ZDF ausgestrahlt wird – und 2020 in veränderter Form zurückkehren soll. Wie diese Anpassungen im Detail aussehen werden, ist noch nicht bekannt, interessant dürfte in diesem Kontext jedoch sein, ob man beabsichtigt, in Zukunft stärker auf Stoffe zu setzen, die zu einem Zeitpunkt X (beispielsweise aufgrund einer Verfilmung) besonders im Fokus stehen werden. Wenn man vorhat, die Zielgruppe zu erweitern, wäre das ein denkbarer Schritt. Denn bis dato sind es eher (auf wahren Begebenheiten beruhende oder von ihnen inspirierte) Romane und Sachbücher, auf die die breite Öffentlichkeit zumeist erst durch die Sendung oder einen Blick auf die Bestsellerlisten aufmerksam wird, die das Gros der vorgestellten Titel ausmachen. Es wäre aber falsch, im Zuge all der Erneuerungsbemühungen, den Kern des Formats zu verraten, und der besteht eben im leidenschaftlichen Austausch über Literatur. Die Stamm-Diskutanten Volker Weidermann, Christine Westermann (beide werden 2020 nicht mehr mit von der Partie sein) und Thea Dorn, die 2017 Maxim Biller ersetzte, sind auch in der Zeit nach Marcel Reich-Ranicki absolut streitbar. Es gibt wenige Orte im deutschen Fernsehen, wo noch mit so viel Hingabe argumentiert wird und Worte derart mit Bedacht gewählt werden. Und weil dies so bleiben soll, müssen die Teilnehmer auch – wie bisher – ihr Buch selbst auswählen dürfen. Daher würden Gäste wie zum Beispiel Deutschlands Fantasy-Aushängeschilder Markus Heitz oder Kai Meyer, Jugendromanautorin Cornelia Funke, die vornehmlich auf Krimis spezialisierte Cornelia „Nele“ Neuhaus oder Thriller-Experte Sebastian Fitzek der Sendung sicher guttun. Gäste also, zu denen die Mehrheit der deutschen Leserinnen und Leser einen Bezug hat und die eventuell Werke vorstellen würden, die es sonst eher nicht in eine solche Sendung geschafft hätten. Wobei an dieser Stelle selbstredend nicht vergessen werden darf, dass viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller sich ungern über die Arbeit ihrer Kolleginnen und Kollegen auslassen oder es einige auch schlicht nicht ins Fernsehen zieht.
Selbst wenn es sie selbst jedoch nicht dorthin ziehen sollte, gilt dies nicht unbedingt für die von ihnen ersonnenen Geschichten. Programmverantwortliche geben aktuell wohl so viele Buchadaptionen in Auftrag wie nie zuvor. Dabei wurde in Deutschland bislang eindeutig alles, woraus sich Historiendramen, Krimis oder Komödien entwickeln ließen, allem, was von den unendlichen Weiten der Galaxie oder Zauberei und Magie handelte, vorgezogen. Es gilt aber zu bedenken, dass das klassische Fernsehen gefühlt gerade erst entschieden hat, größer und internationaler zu denken. Im Zuge dessen kommt es auch immer häufiger zu Koproduktionen über Ländergrenzen hinweg, was verstärkt zu einer echten Genrevielfalt in Sachen High-End-Serien/-Mehrteilern führen wird und zu mehr Mut, auch außergewöhnlichere Ideen zu verfolgen. So darf man etwa gespannt sein, was der Intendant der Nibelungenfestspiele Nico Hofmann, der bekanntermaßen auch UFA-Chef ist, für Siegfried, Kriemhild und Hagen im Sinn hat – dass er die populärste deutsche Sage nicht mehr nur alljährlich auf die Wormser Bühne, sondern gerne auch auf die heimischen Bildschirme bringen möchte, war lange ein offenes Geheimnis, bevor es kürzlich von dem gebürtigen Heidelberger auch offiziell nochmals bestätigt wurde. Das aktuelle Prestigeprojekt des ZDF wiederum dürfte eindeutig die «Der Schwarm»-Serie sein. Aus Frank Schätzings Bestseller sollen insgesamt 8 aufwendig produzierte Episoden werden – unter Mitwirkung von unter anderem Frank Doelger, einem der «GoT»-Executive-Producer. Während die ARD und Sky mit «Babylon Berlin» schon gemeinsam ein solches Mammutprojekt gestemmt haben – die ersten beiden Staffeln sind recht freie Umsetzungen von Volker Kutschers erstem Gereon-Rath-Roman „Der nasse Fisch“, die im Januar 2020 startende dritte Season basiert auf dem zweiten („Der stumme Tod“) und eine vierte Season, die ebenfalls von Tom Tykwer, Hendrik „Henk" Handloegten und Achim von Borries realisiert werden wird, wurde ebenso bereits angekündigt.