Ein Mann und eine Frau auf der Flucht vor der Polizei – mit ihrer Abwandlung des bekannten «Bonnie & Clyde»-Motivs prangert die Regisseurin Melina Matsoukas rassenkulturelle Missstände in den USA an. Doch «Queen & Slim» ist damit nicht automatisch ein guter Film.
Wie viele ihrer Kollegen hat auch Regisseurin Melina Matsoukas als Werbe- und Musikvideofilmerin angefangen. Der Vorteil daran: Häufig besitzen Filmemacher mit diesem Werdegang ein ganz besonderes Gespür für Ästhetik, wenngleich das, wie etwa im Falle von Michael Bay, nicht immer automatisch mit erzählerischer Finesse einhergeht. Die unter anderem für Musikclips von Beyoncé und Rihanna verantwortliche Matsoukas stellt bei ihrem Spielfilmdebüt «Queen & Slim» nun ebenfalls die Inszenierung in den Vordergrund, indem sie eine hoffnungsvoll ikonische Szene an die nächste reiht. Es wäre die Aufgabe von Drehbuchautorin Lena Waithe («Bones – Die Knochenjägerin») gewesen, diese Style-Over-Substance-Attitüde ihrer Kollegin mit einem ähnlich ambitionierten Skript zu unterfüttern, doch mehr als eine Variation von «Thelma & Louise» oder «Bonnie & Clyde» – nur eben mit zwei schwarzen Protagonisten im Mittelpunkt – ist «Queen & Slim» nicht geworden; eher im Gegenteil.
Das generelle soziokulturelle Missstände in den USA anprangernde Roadmovie-Drama verfolgt eine sehr eindeutige Agenda. So weit und im Anbetracht der durchscheinenden Wut der Regisseurin auch so nachvollziehbar. Doch über den Ansatz, den Hass und den Rassismus für sich selbst sprechen zu lassen, vergisst Matsoukas sowas wie Figurenzeichnung und Dramaturgie.
Mord oder Notwehr
Auf dem Rückweg nach seinem ersten Date wird ein junges schwarzes Paar wegen einer Nichtigkeit von einem Polizisten angehalten. Als die Situation aus dem Ruder gerät, erschießt Slim (Daniel Kaluuya) den Polizisten in Notwehr, um die junge Anwältin Queen (Jodie Turner-Smith) zu retten, die diesen Polizeiübergriff nicht einfach hinnehmen will. Die Dashcam-Aufnahme des Vorfalls macht die beiden für die Staatsgewalt zu eindeutigen „Polizistenmördern“, aber gleichzeitig auch zu heldenhaften Symbolfiguren, während das Video zum viralen Hit wird. All der Schmerz über unschuldig getötete Schwarze, das Trauma andauernder Polizeiwillkür und die anhaltende Wut über ein immer noch rassistisches System entladen sich in einer Welle der Unterstützung und Proteste für die beiden Flüchtenden. So beginnt eine verzweifelte und gefährliche Odyssee, auf der die zwei sich immer näherkommen und ein tiefes Verständnis und eine bedingungslose Liebe füreinander entwickeln.
«Queen & Slim» beginnt mit einem kurzen Einblick in das mehr schlecht als recht verlaufende Tinder-Date der beiden Hauptfiguren und geht dann zügig ans Eingemachte: Bei einer Polizeikontrolle sind die eigentlich auf die Namen Angela und Ernest hörenden jungen Menschen der Willkür eines rassistischen Cops ausgesetzt, woraufhin die Situation eskaliert. Ein Schuss fällt, der Officer ist tot. Und für Queen und Slim beginnt eine Flucht durch die Vereinigten Staaten. Ein moralisches Dilemma ergibt sich aus der Situation schon mal nicht; Matsoukas inszeniert den tödlichen Vorfall eindeutig als Akt der Notwehr, der lediglich auf den Kameras innerhalb des Polizeiwagens nicht als solcher wahrgenommen werden könnte, da diese den Tatort nicht komplett abbilden konnte. Insofern müsste es also ein Leichtes sein, mit den beiden fälschlicherweise als „Polizistenmördern“ gesuchten Opfern der Umstände mitzufiebern. Schließlich appelliert «Queen & Slim» ja vor allem an Gleichbehandlung und Gerechtigkeit.
Doch mit den zwei Protagonisten tut sich Matsoukas keinen Gefallen. Es ist gewiss mutig, anders als in «Thelma & Louise», «Bonnie & Clyde» und in Teilen sogar «Natural Born Killers» keine alleinigen Sympathieträger in den erzählerischen Mittelpunkt zu rücken. Doch das regelrechte Desinteresse an ihrer misslichen Lage erstickt auch direkt beim Zuschauer jegliches Interesse am Ausgang der Geschichte im Keim. Nach anfänglich kurzer Panik (immerhin bei Slim) verlaufen die Ereignisse anschließend wie bei einem ganz gewöhnlichen Roadtrip. Von Flucht-Atmosphäre keine Spur.
Auf der Flucht
Nun passt dieses ungeahnte Freiheitsgefühl der beiden Flüchtenden schon irgendwie zur Musikvideo-Atmosphäre, die Kameramann Tat Radcliffe («White Boy Rick») mit seinen stylischen Bildern hier heraufbeschwört. Das Paar fährt lässig in einen Sonnenuntergang, Queen lehnt sich in bester Indie-Film-Manier aus dem offenen Fenster ihres Wagens oder die zwei tanzen in einem Jazz-Club, in dem offenbar jeder der Gäste von ihrer symbolischen Tat gehört hat und sie deswegen nicht ausliefert. Doch für derartige Randnotizen pfeifen die Macher auf jedwede Glaubwürdigkeit. Egal ob Queen und Slim nun am Straßenrand halten um ein paar Pferde zu streicheln, ausgiebigen Sex haben oder sich für ein Foto – das auch als Motiv für das Filmplakat dient – fotografieren lassen: Es fehlt nicht viel, um ihnen bei so viel mangelnder Achtsamkeit auch ein Stück weit die Schuld am Ausgang der Ereignisse zu geben – schließlich gehören sie nach der Tat zu den meistgesuchten Menschen der USA und käme ihnen in einigen Momenten nicht auch noch der irgendwann kaum mehr glaubwürdige Zufall zur Hilfe, hätte man sie schon nach wenigen Stunden gefasst.
Nun geht es Melina Matsoukas weniger um das Nachzeichnen eines echten Kriminalfalles mit all seinen plausiblen Folgen als vielmehr um das Erzeugen einer Stimmung. Und man kann es mutig finden, dass die Regisseurin ein eigentlich für eine Machart à la «Beale Street» oder «Nächster Halt: Fruitvale Station» prädestiniertes Drama im Stil eines Reggae-Videos aufzieht; Queen und Slim lassen sich durch ihre ohnehin von vielen geachtete Tat nicht unterkriegen und fühlen sich erstmals in ihrem Leben so richtig frei. Doch woher soll eine dramatische Fallhöhe kommen, wenn noch nicht einmal Queen und Slim selbst den Eindruck vermitteln, irgendwas an dieser Situation hier sei bedrohlich?
Auch der mediale Wert der Tötungstat bleibt die meiste Zeit über reine Behauptung. Einmal gehen Queen und Slim in einen Club und werden hier von der Barkeeperin auf ihre Präsenz in den Medien aufmerksam gemacht. Ein anderes Mal hat ihre Tat offenbar eine ganze Bewegung hinaufbeschworen, weshalb sich eines Tages plötzlich Menschen versammeln, um gegen Polizeigewalt zu demonstrieren. Ansonsten bleibt es bei kurzen Erwähnungen aus Queens Verwandtenkreis darauf, dass im Fernsehen von den beiden berichtet wurde; doch in Zeiten, in denen Derartiges noch viel schneller viral geht als etwa im Smartphone-freien «Natural Born Killers» ist der von den Machern beabsichtigte Einfluss der Hauptfiguren auf die Black Community verschwindend gering. In gewisser Weise ist das plausibel: Queen und Slim heizen ihren Rächer-Status nicht zusätzlich an, wollen bisweilen gar überhaupt nichts damit zu tun haben. Vor allem Newcomerin Jodie Turner-Smith («The Neon Demon») wirkt in ihrer Rolle der Queen sogar angewidert von ihrem Einfluss auf die, die sie und ihre Begleitung anhimmeln. Und Slim hat – zumindest zu Beginn – einen viel zu großen Respekt vor falscher Anerkennung, dass er den Medien keine größere Beachtung schenkt.
Zumindest hier lässt sich so etwas wie eine Chemie zwischen Daniel Kaluuya («Get Out») und seiner Filmpartnerin erkennen, die ansonsten weder als Liebespaar noch als Partners in Crime funktionieren. Aber abgesehen von der stilsicheren Inszenierung ist «Queen & Slim» ohnehin ziemlich missglückt.
Fazit
Es ist ein interessanter Ansatz, den Melina Matsoukas mit ihrem ambitioniert inszenierten Drama «Queen & Slim» verfolgt. Doch anstatt zwei zu Unrecht beschuldigten Mördern bei ihrer Flucht zuzusehen, wird das Publikum Zeuge eines stylischen Roadmovies, dessen zwei Protagonisten keinerlei Chemie miteinander haben.
«Queen & Slim» ist ab dem 9. Januar in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.