Setzt «1917» nun zum Spurt im Oscar-Rennen an? Was passiert mit «The Irishman»? Fragen, Fragen, Fragen ...
Nach den Golden Globes stellt sich allen Filmfans und der gesamten Branchenpresse wieder einmal die Frage: "Wie ernst nehmen wir das denn jetzt bitte?" Denn einerseits werden die Golden Globes von der breiten Öffentlichkeit massiv in ihrem Status als Oscar-Indikator überschätzt. Die Globes sind ein Glitz-and-Glamour-Award einer fast hundertköpfigen Pressevereinigung, die Academy Awards dagegen werden von Tausenden Filmschaffenden gewählt. Und da zahlreiche der Berufsgruppierungen, die beim Oscar repräsentiert werden, ihre eigenen Gewerkschaftspreise haben und es deutliche Überschneidungen zwischen den Wahlberechtigten bei den Gildenpreisen und den Academy Awards gibt, sind die Gewerkschaftspreise die
wahren, wichtigen Indikatoren.
Dessen ungeachtet: Die Globes sind eine prestigeträchtige und viel beachtete Preisverleihung, die obendrein mitten während des Oscar-Nominierungsprozesses stattfindet. Dadurch haben die Globes Einfluss darauf, welche Filme den Stimmberechtigten ganz frisch in Erinnerung gerufen werden – und im Rahmen von Globes-Partys oder aber auch durch mitreißende Dankesreden lassen sich womöglich Unentschlossene auf dem allerletzten Meter von einem ihrer Favoriten um den Finger wickeln. Gerade dieses Jahr könnte das durchaus von Bedeutung sein (welche Narrative sich hier gerade wirklich entwickelt, weiß die Oscar-Geschichtsschreibung sowieso erst, nachdem der letzte Academy-Umschlag des Jahres geöffnet wurde): Laut zahlreichen Brancheninsidern wurden sich dieses Jahr erst in letzter Sekunde viele Academy-Mitglieder dessen bewusst, dass gerade Zeit für's Nominieren ist.
Soll heißen: Globes-Gewinner wie Sam Mendes fesselnder Weltkriegsfilm
«1917», der so gestaltet ist, als würden wir in einer langen Plansequenz und unmittelbar die unfassbaren Leiden zweier Soldaten miterleben, könnten durch die Preisgala an Zugkraft gewonnen haben. Man muss nämlich bedenken, dass «1917» sehr spät im Oscar-Rennen gestartet ist und daher bislang von vereinzelten Experten nur eine geringe Chance ausgerechnet bekommen haben – denn was nur wenige Leute gesehen haben, kann auch nur von wenigen gewählt werden. Da «1917» aber sogleich zwei Globes abgeräumt hat (den für das beste Drama und den für die beste Regie) kramen womöglich nun einige Academy-Mitglieder in ihrem Stapel mit Screenern und ziehen den Film raus, um nachzugucken, was der Hype denn nun soll.
Nüchterner betrachtet spricht der «1917»-Sieg aber auch noch eine Sprache: Sam Mendes' Film ist ein filmtechnisch beeindruckender und emotional aufwühlender Film, hat aber nicht den Glanz und Glamour eines "Martin Scorsese hat die Speerspitze des Gangsterkinos wiedervereint" («The Irishman») oder einer immens erfolgreichen Comicadaption («Joker»). Diese beiden Titel wären näher liegende Globe-Gewinner gewesen – wenn «1917» also schon bei der Hollywood Foreign Press Association so durch die Decke ging, wie sehr muss der Film dann erst bei der Academy funktionieren, die eher auf seiner Wellenlänge liegen dürfte?
Ansonsten: Taron Egerton, dem pessimistischere Stimmen bislang zugetraut haben, bei den Oscar-Nominierungen übergangen zu werden, sollte seine Position durch den Globes-Gewinn für
«Rocketman» gestärkt haben und wer bisher
«Mister Link» in seiner Oscar-Prognose für den besten Animationsfilm nicht auf dem Schirm hatte, dürfte die Stop-Motion-Produktion nun nach ihrem Sieg wohl wieder in die Nominierungen packen.
Pessimistischer aus dem Wochenende werden dagegen die Fans von
«Knives Out» gehen: Als mit Stars bespickter Krimi ist Rian Johnsons globaler Hit wie gemacht für die Globes – wenn die HFPA dem Film also schon keinen Preis gönnt, stehen die Chancen für eine überraschend große Präsenz bei den Oscar-Nominierungen eher mau. Aber was soll's:
Offenbar wird Benoit Blanc eine zweite Chance erhalten.