Die neue Serie der «Sherlock»-Macher Mark Gatiss & Steven Moffat verengt die Eigenheiten ihres Mitbewerbers Ryan Murphy sowie ihre eigenen Tendenzen auf ein dichtes Serienerlebnis.
Hinter den Kulissen
- Regie: Jonny Campbell, Damon Thomas, Paul McGuigan
- Cast: Claes Bang, Dolly Wells, John Heffernan
- Musik: David Arnold, Michael Price
- Idee und Drehbuch: Mark Gatiss, Steven Moffat
Das Produzenten- und Autoren-Duo Mark Gatiss & Steven Moffat erfand bereits Dr. Jekyll und Mr. Hyde neu. Dann sorgten sie weltweit für Furore, indem sie Sherlock Holmes in die Neuzeit versetzten. Und jetzt packen sie eine weitere, ikonische Figur der Literatur an: Den Grafen und Vampir Dracula. Bei ihrer neusten Serie hatten Mark Gatiss & Steven Moffat ein ansehnliches Budget zur Verfügung (sicherlich einerseits ihrem «Sherlock»-Erfolg geschuldet, andererseits wird der Netflix-Deal auch nicht geschadet haben) und sofern kein völlig absurdes Serienwunder geschieht, soll diese drei Neunzigminüter umfassende Staffel auch die einzige bleiben – anders als bei «Sherlock», das zwar nur sporadisch fortgeführt wurde, dennoch durchaus als klassische Serie gedacht war.
Mit «Sherlock» hat «Dracula» jedoch gemeinsam, dass Gatiss & Moffat wieder ihren Kniff "Ein Teil überraschend originalgetreu, ein Teil völlig neu" verfolgen, der «Sherlock» zu einem weltweiten Hit und (für lange Zeit) zum Kritikerliebling gemacht hat: Diese BBC/Netflix-Serie beachtet Elemente aus dem ursprünglichen «Dracula»-Roman Bram Stokers, die durch ständige Abwandlungen in Adaptionen und Hommagen allgemein in Vergessenheit geraten sind. Gleichwohl erlauben sich Gatiss & Moffat auch allerhand Eigenheiten, die ihr «Dracula» weit von anderen Varianten des Vampirmythos hinfort tragen.
Der "Einfach mal schauen, was passiert"-Ansatz des Duos hat zur Folge, dass seit der Serienveröffentlichung beide Seiten des politischen Spektrums auf «Dracula» eindreschen. Die einen wimmern und jammern, weil Dracula unter anderem einem gleichgeschlechtlichen Paar begegnet und sich mit starken, wehrhaften Frauen misst und jada jada, wimmer-wimmer, angeblich hätte der gute alte Mann der ganz alten Schule ja gar nichts mehr, was er gucken kann, ohne so etwas sehen zu müssen. Eine Runde Mitleid. (Nein, das war Sarkasmus. Keine Runde Mitleid.)
Gleichzeitig ist die Serie, die so manchen Ewigvorgestrigen zu aufgeschlossen ist, manchen Serienfans zu verbittert, negativ und toxisch: Gatiss & Moffat, die sich mit dem Abschluss von «Sherlock»
allerhand Fan-Kritik eingehandelt haben, wird vorgeworfen, sich oberflächlich queeren Fans anzubiedern, sie aber letztlich nicht ernstzunehmen oder gar trollen zu wollen. Ob dem so ist, müsste besser an anderer Ort und Stelle entschieden werden – aber es ist ja nicht so, als wäre dies die einzige «Sherlock»-Tendenz, die sich in «Dracula» wiederholt:
Wie schon das Benedict-Cumberbatch-Vehikel, beginnt auch «Dracula» als geistreiche, zurückhaltende Abwandlung der Vorlage, mit raffinierten Dialogen und mühsam eingefädelten erzählerischen Kniffen. Und genauso wie «Sherlock» gleitet auch «Dracula» von dieser nüchternen, mit kühlem Kopf erzählten Spielweise eines bekannten Stoffes ab, hin zu einer nach fiebriger Logik operierenden, sprunghaften Story, in der das Gefühl und die Metaphorik jeglichen inneren Realismus des Materials übertrumpfen. Bloß, dass «Sherlock» sich im Laufe von vier Folgen und einem Special in diese Richtung bewegte, während «Dracula» diese 180-Grad-Wende in nur drei Episoden vollführt.
Das ist ein sehr radikaler Ritt, und ein holpriger noch dazu. Denn es gibt sogleich mehrere Story-Wendepunkte, die einen Übergang zu einem "Erzählen wie im Delirium" rechtfertigen würden, hätten es Moffat und Gatiss darauf abgesehen, den Erzählstil eng mit dem Handlungsgeschehen zu verknüpfen. Doch weit gefehlt: Ja, selbstredend sind Albträume/Träume/Visionen fiebrig inszeniert, aber oberflächlich kehren die Serienmacher immer wieder zu einer vermeintlich nüchternen Herangehensweise zurück – bloß, dass sich mit weiterem Serienverlauf die "Moment, das ergibt doch keinen Sinn, weil …"- und "Als würde das je so passieren, selbst in der Serienwelt"-Logiklöcher rapide vermehren. Bei einer wahnhafteren Umsetzung, einem deutlich metaphorischen Ansatz wäre das zu verzeihen, aber in der gebotenen Form ist «Dracula» leider wiederholt frustrierend, sobald man zu lange das Gezeigte hinterfragt.
Dabei hat «Dracula» durchaus einige starke Pluspunkte, so dass es schwer fällt, die Serie als "Es sind Moffats und Gatiss' ärgste Tendenzen, hoch konzentriert" abzutun: So erschafft Regisseur Paul McGuigan («Sherlock: Die Hunde von Baskerville») im Finale einige ausdrucksstarke Bilder mit metaphorischer und emotionaler Tragweite, die davon träumen lassen, wie «Dracula» hätte aussehen können, wäre man konsequenter in diese experimentelle Richtung gegangen. Und selbst wenn Kostüm und Maske Claes Bang («The Square») eher entstellt als aufgepeppt haben (was unglücklich ist bei diesem Ansatz, Dracula wieder als galant-verführerischen Edelmann darzustellen), spielt er den Blutsauger mit intellektuellem Esprit und neckischem Witz.
Die Heldin der Serie (in mehrfachem Sinne) ist allerdings Dolly Wells («Can You Ever Forgive Me?»): Mit dickem, aber auch keckem niederländischen Akzent und unentwegtem, schelmischem Grinsen versehen, spielt sie eine neugierige, der Gefahr trotzende (oder gar die Gefahr suchende) Nonne, die sich auf ein intellektuelles Kräftemessen mit der Titelfigur einlässt und dem mehrmals einen überraschenden, fesselnden Dreh verleiht. Darüber hinaus ist es spannend, zu sehen, wie sich Moffat & Gatiss in tonale Schwankungen stürzen, wie sie Ryan Murphy in «American Horror Story» zum Alltag gemacht hat: In der einen Minute gibt es drastische Ekel- oder relativ grafische Gewaltszenen, dann kommt es zu spritziger Situationskomik oder einer kuriosen Vermischung aus albernen Dialogen und dicker, cleverer Zynik. Und wie schon bei «American Horror Story» zerreißt die Serie nicht daran, da der Cast und die Regie diese Extreme vereinen.
«Dracula» ist via Netflix abrufbar.