Gleich vier relevante Neustarts stehen am Montag auf dem Programm. Im besten Fall sind es allesamt Game Changer.
Hin und wieder hört man den Spruch „das Fernsehen erfindet sich neu“ – oder aber auch, dass man selbst bei neuen Ideen ja „das Rad nicht neu erfinden“ könne. Je nach Betrachtungswinkel und Anlass mag beides richtig sein. In Bezug auf den Montag, 10. Februar, ist aber wohl nur eine Deutung zulässig. Sat.1 und RTL, die beiden bedeutendsten Privatsender Deutschlands, erfinden sich gewissermaßen neu. RTL krempelt seine Daytime so stark um wie schon ganz lange nicht mehr; gleich drei neue Shows grundsätzlich unterschiedlicher Genres sind künftig werktags zwischen 15 und 17.30 Uhr zu sehen.
In diesem Zuge beendet der Kölner Sender auch das zuletzt immer quotenschwächere «Herz über Kopf» (vergangenen Montag etwa kam die Produktion aus dem Hause The Fiction Syndicate nur auf 4,9% in der Zielgruppe), aber auch Reality-Projekte wie «Mensch Papa» (zuletzt teils 12,9, teils aber auch weniger als 7%). Kurzum: Die neue RTL-Senderführung hat sich für ein grundlegend neues Konzept am Nachmittag entschieden. Es geht – wie bei den erfolgreichen «Superhändlern» um 14 Uhr – wieder zurück ins Studio. RTL kehrt der Straße, die dem Sender einst mit Formaten wie «Familien im Brennpunkt» Mega-Quoten bescherte, wieder den Rücken. Die Idee ist nun: Bekannte, populäre und starke Persönlichkeiten sollen sich von 14 bis 17.30 Uhr den Staffelstab in die Hand geben. Sükrü Pehlivan startet um 14 Uhr mit dem Rückenwind der erst Ende Januar erreichten Marktanteils-Rekorde von über 19 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe für seine «Superhändler».
Um 15 Uhr geht RTL dann ins direkte Trödelduell. Schon zuletzt liefen auf diesem Slot immer mal wieder «Die Superhändler», die sich gegen das ZDF-Hitformat «Bares für Rares» gar nicht so schlecht schlugen. In der Spitze waren heuer schon 14,7 Prozent Marktanteil drin; andererseits: Nur an drei Tagen im Januar erreichte die Sendung auf diesem Slot überdurchschnittliche Werte beim Kölner Sender. Starker Kopf der neuen 15-Uhr-Produktion
«Kitsch oder Kasse» wird Oliver Geissen, der einst selbst in RTL-Daytime mit eigener Talkshow groß wurde und inzwischen durch Primetime-Hits wie «DSDS» oder «Die ultimative Chartshow» führt. Von den «Superhändlern» bringt er Antoine Richard als Experten mit. Im Format selbst geht es nämlich darum, den Wert von Antiquitäten und Raritäten möglichst exakt einschätzen zu können. Die Kandidaten müssen in dem Format am Endeden wertvollsten Gegenstand ausgewählt haben, um so den Gegenwert in Cash abzuräumen.
Wenn der Zeiger auf der Uhr sich zur vier bewegt hat und digitale Ziffernblätter die „16“ vorne anzeigen, geht mit Marco Schreyl ein anderes bekanntes Gesicht on air. Er moderierte «Deutschland sucht den Superstar», als das Format noch an die zehn Millionen Zuschauer hatte. Für RTL präsentiert er nun einen neuen gesellschaftsrelevanten Talk, der sich von seinen Vorgängern aus den 90ern deutlich abheben soll. Es geht um Gesellschaftsrelevantes, Vaterschaftstests müssen draußen bleiben. Die Firma filmpool stellt die tägliche Sendung her, die hin und wieder sogar Aktuelles aufgreifen und live über den Äther gehen will. Fast zwölf Jahre ist es her, dass RTL letztmals einen Daily Talk im Programm hatte. Im Frühjahr 2008 hielt eine Talkshow namens
«Natascha Zuraw», deren Konzept es war pro Stunde auf mehrere Gespräche und Themen zu setzen, nicht lange im Programm aus. Gestartet war das Format damals um 15 Uhr mit schwachen 8,7 Prozent – nur vier der 20 ausgestrahlten Folgen kamen auf zweistellige Werte, was für RTL im Jahr 2008 noch weitaus schlimmer war als es heute der Fall wäre. In der Regel interessierten sich nur etwas mehr als eine halbe Million Menschen für den Talk. Vier Jahre später, nämlich 2012, probierte sich auch Sat.1 noch einmal an einem Mittagstalk und testete in diesem Zuge mit Annica Hansen und Ernst-Marcus Thomas on air gleich zwei Hosts. Das Konzept beider Formate war ähnlich; man bediente sich nämlich gescripteter Geschichten und arbeitete mit Gästen, die eigentlich Laiendarsteller waren. All das fruchtete nich und auch dieses Talk-Comeback war also schnell Geschichte. Das galt auch für einen Sat.1-Versuch im Herbst 2019 - doch das
von der UFA kommende «Ungelogen» lief auf dem Slot um 17.30 Uhr nur zwei Mal. Der Lügendetektor wurde nach gerade einmal zehn Episoden wieder ausgemacht. Am Ende der kurzen Phase sahen teils weniger als sechs Prozent der klassisch Umworbenen zu.
2020 sei aber dennoch ein gutes Jahr für die Rückkehr des Nachmittags-Talks findet Marco Schreyl im Quotenmeter.de-Interview: „2020 ist ein guter Zeitpunkt, weil es in der Gesellschaft großen Gesprächsbedarf gibt. Es gibt viele Themen, die intensiv diskutiert werden müssen oder können. Wir wollen den Menschen dafür eine Plattform bieten.“
Schreyl, der den Staffelstab von Oliver Geissen übernimmt, gibt diesen um 17 Uhr dann an Steffen Henssler weiter. RTL probiert sich immer dann eine halbe Stunde an einem täglichen Kochformat – und ändert somit die Programmfarbe auf dem Slot gänzlich. In den vergangenen Jahren war RTL hier immer fiktional unterwegs, egal ob die Sendungen «Freundinnen», «Betrugsfälle», «Die Schulermittler», «Berlin Models» oder «112» hießen.
«Hensslers Countdown» versteht sich dabei als Genre-Mix, bietet nämlich auch Rätselrunden an. Steffen Henssler lädt quasi zum Improvisations-Kochduell für drei selbstbewusste Hobbyköche, die antreten, um in 25 Minuten ein bestimmtes Gericht zu kochen. Sie starten mit je 2.500 Euro und bekommen die gleichen Zutaten. Durch Fragen rund ums Thema Kochen können die Hobbyköche weiteres Geld (v)erspielen. Für Steffen Henssler, den Quotenkönig von VOX, geht es hier also erneut um die Quotenwurst. Während er bei «Schlag den Henssler» (ProSieben) nicht ausreichend Anerkennung fand, funktioniert sein «Grill den Henssler» weiterhin sehr gut.
„Das Thema Kochen anzugehen, ist ein mutiger Schritt. Aber wir sind mutig“, geht der bei RTL unter anderem für die Daytime zuständige Thorsten Gieselmann voran. In einem DWDL-Interview fuhr er im vergangenen Herbst fort: „Unsere große Herausforderung liegt darin, auffällig und anders zu sein, in den Inhalten jedoch nicht zu nischig werden. Wir haben als RTL schließlich nach wie vor eine breite Zielgruppe im Blick.“
Doch Fernsehdeutschland wartet nicht nur auf diese drei RTL-Neustarts, sondern schaut gespannt auch auf Sat.1. Der Münchner Sender wagt sich erstmals an eine Normalo-Staffel von
«Big Brother», jenem Format also, das der kleineren Konkurrenz von RTL II bis ins Jahr 2011 regelmäßig hohe Quoten am Vorabend beschert hat. Selbst die im Nachhinein als schwächer bewerteten späteren Staffeln, die hohe einstellige Marktanteile in der Zielgruppe holten, wären heute ein Segen für den Sender. Mit «Genial Daneben – Das Quiz» kommt der Kanal zur Zeit um 19 Uhr in der Regel auf um die sechs Prozent bei den Jungen. «Auf Streife – Die Spezialisten» um 18 Uhr läuft sogar noch einen Tick schwächer. Beflügelt vom allgemeinen Reality-Hype dieser Tage und eben der Hoffnung auf eine treue Fangemeinde des Großen Bruders dürfte es durchaus die Rechnung von Sat.1 sein, an die einstigen Werte der RTL II-Vorabend-Ausstrahlung anzuknüpfen. 2011 kam die Sommerstaffel beim kleinen Münchner Sender um 19 Uhr auf in der Spitze 9,9 Prozent Marktanteil in der klassischen Zielgruppe.
Nimmt man das Erreichen von sieben Prozent mal als Mindestziel und zieht all die «BB»-Ausgaben aus dem Jahr 2011 ab, die bei RTL II damals am Samstag und Sonntag liefen, waren es 2011 18 Ausgaben, die den Schnitt verfehlten. Das dürfte Sat.1, das die Tageszusammenfassungen nur werktags zeigt, durchaus helfen. Mit umfassender Online- und Social-Media-Präsenz, durch die der Sender das Fehlen eines 24/7-Livestreams zu kaschieren versucht und auch einer montäglichen Late-Night-Lästerrunde mit dem eingespielten Duo Khalaj/Bendel wollen Endemol Shine Germany und Sat.1 für genug Buzz sorgen, um wirtschaftlichen und quotentechnischen Erfolg zu generieren.