«Big Brother» 2020: Wie viel ist dieser Artikel Wert?

20 Jahre nach dem Start der ersten Staffel ist der große Bruder mit einer Normalo-Staffel im deutschen Fernsehen zurück. Sat.1 spricht von einer Weiterentwicklung und will neue Tabus brechen. Doch wie viel Potential in der auf 100 Tage angelegten Show steckt, lässt sich nach der Einzugsshow am Montag noch schwer sagen.

“Die Tür ist zu. «Big Brother» hat angefangen.“


20 Jahre ist dieser Satz her. Vor 20 Jahren schrieb die Produktionsfirma Endemol deutsche TV-Geschichte, in dem es die einst aus den Niederlanden kommende Idee in die Bundesrepublik brachte. Das simple Konzept: Eine Gruppe von Menschen lässt sich in einer WG einsperren und rund um die Uhr filmen. (Fast) uneingeschränkte Beobachtung war seitdem in elf Staffeln beim Privatsender RTLZWEI und einer Staffel beim Frauensender sixx (im Herbst 2015) das Grundkonzept. Sat.1 nun erweitert diese Idee in dieser Staffel um ein weiteres Attribut: Uneingeschränkte Beobachtung gepaart mit uneingeschränkter Bewertung. Ins Jahr 2020 transferiert öffnet sich die Reality-Show nach außen; und wird immer sieben der 14 Bewohner quasi in jedem Zimmer zeigen, wie sie gerade in der Außenwelt ankommen.

Wie verändert sich das Verhalten eines Menschen, wenn dieser rund um die Uhr, also auf Schritt und Tritt, von TV-Deutschland bewertet wird? Wenn sein Wert nach bestimmten Aktionen steigt und nach anderen Aktionen sinkt? Kernfrage der Kampagne: Was ist ein Mensch wert? Wie schon seit Staffel vier usus, unterteilt «Big Brother» die Bewohner auch in dieser 13. Normalo-Staffel wieder in zwei Bereiche. Die Macher entschieden sich hier aber gegen eine Unterscheidung in Arm und Reich, oben und unten oder draußen und drinnen. Stattdessen gibt es das „Glashaus“, das mit allen technischen Finessen ausgestattet ist und ein „Blockhaus“, eingerichtet im etwas urigen Stil und vor allem ohne jeglichen Kontakt nach draußen.

Grob formuliert: Das Blockhaus hat ein wenig den Charme von «Big Brother», Staffel 1 – Hühner im Garten inklusive. Vor allem die Hühner hatten es den Kandidaten angetan: Von den ersten 13 Kandidaten wollten gleich zehn „zu den Hühnern“, ergo: Das Blockhaus war schnell voll; die letzten vier Kandidaten hatten keine echte Wahl mehr und mussten in den „edlen Bereich“. Das „Glashaus“ derweil erinnert an die gerne mal flippig eingerichteten Häuser aus den Produktionen im Ausland, insbesondere in Großbritannien. Eingefleischte Fans des großen Bruders dürften bei der Betrachtung des „Glashauses“ große Augen bekommen und dieses wohlwollend aufnehmen. Ähnliches Feedback gab es zuletzt in einschlägigen Foren über den stimmigen Cast. Die Angst, dass «Big Brother» aus den über 14.000 Bewerbern hauptsächlich sich selbst darstellende Influencer gewählt hat, war unberechtigt. Die jüngste Bewohnerin, Gina, 19, ist Kellnerin. Der älteste Bewohner, Rene, 44, ist Gesundheitscoach und Kampfsportlehrer. Daneben sind am Montagabend Studenten, die Inhaberin einer Tauchschule, Krankenpfleger, Event-Manager und und und eingezogen.

Wie vor jeder Staffel gilt: Ob der Cast hält, was er auf dem Papier verspricht, lässt sich frühestens nach einer Woche, vermutlich aber sogar erst nach 20 Tagen sagen. Es wird, wie üblich, Zeit brauchen, bis auch der letzte Teilnehmer aufgetaut und in seinem neuen zu Hause angekommen ist. Das Konzept betreffend dürfte es spannend zu beobachten sein, ob die Grundidee, die auf dem Gegensatz zwischen analoger Welt (von früher) und hoch-digitaler Welt (von heute und der nahen Zukunft) beruht, auch wirklich trägt. Eine Trennung in sehr reich und sehr arm wäre fraglos krasser, aber eben auch plakativer und abgenutzter.

100 Tage lang kämpfen die Besucher nun um die Krone, wer das Haus als Letzter verlässt, wird um 100.000 Euro reicher sein. Gemessen daran, dass es vor über einem Jahrzehnt bei RTLZWEI für eine Ein-Jahres-Staffel schon einmal eine Million Euro zu gewinnen gab, zeigen sich die Macher bei der Gewinnsumme also eher wenig spendabel; doch der letztliche Geldgewinn dürfte nicht entscheidend dafür sein, ob die Show für Sat.1 ein Erfolg wird. Aufmachung und Inhalt sind da sicherlich wichtiger. Bei der über drei Stunden langen Einzugsshow, die Jochen Schropp aus einem kleinen und sehr blauen Studio in Köln präsentierte, gingen die Macher den klassischen und traditionellen Weg. In der Tat sind alle 14 Teilnehmer auch wirklich erst am Montagabend ins Haus marschiert. Andere Reality-Events, übrigens auch «Promi Big Brother», arbeiteten zuletzt mit dem Trick, zumindest einen Teil des Casts schon vorab im Haus wohnen zu lassen, um schon in der Auftaktshow erste Highlight-Bilder anbieten zu können.

Während für die gewählte Variante der ursprüngliche Charakter spricht, zieht diese den Nachteil mit sich, dass das Einzugsprocedere sehr lang dauert. Nach exakt 90 Minuten der schon kurzfristig um über eine halbe Stunde verlängerten Liveshow hatten sich gerade einmal sieben Bewohnerinnen und Bewohner präsentiert und entschieden, welches der beiden Häuser ihr vorläufiges Zuhause sein solle. Schon frühere Staffeln von «Big Brother» litten gewissermaßen unter einer lahmenden Einzugsshow. Weil: Abgesehen von einem ersten Match und ersten direkten Zuschauerbewertungen passierte bis kurz vor halb zwölf Uhr abends nicht ganz so viel.

Doch nach der Einzugsshow geht es mit dem Projekt bekanntlich erst so richtig los. Heimliches Highlight wird auch in diesem Jahr wieder die nächtliche Begleitsendung bei sixx sein; im Late-Night-Talk kommentieren und analysieren die Experten Melissa Khalaj (in der Sat.1-Show auch als Backstage-Reporterin aktiv) und Jochen Bendel das Verhalten der Bewohner – knallhart und gerne mal zynisch. 14 Wochen lang sind herrliche Late-Night-Unterhaltung in der (fast) alles passieren kann, garantiert. Darüber hinaus verspricht Sat.1 ein sehr umfangreiches Online/Social-Media-Paket, von dem zumindest am Montagabend selbst noch nicht allzu viel zu sehen war. Ab Dienstag darf die Online-Redaktion dann gerne so richtig loslegen, um vor allen den ganz eingefleischten Fans den Schmerz zu lindern, dass es bei der digitalsten aller «Big Brother»-Staffeln keinen erneuten 24-Stunden-Livestream geben wird. Anders als in den erfolgreichsten der früheren Staffeln gibt es solche ungeschminkten Einblicke ins Haus nicht mehr; nicht zuletzt auch deshalb eine unverständliche Entscheidung, weil die ProSiebenSat.1-Gruppe mit Joyn mittlerweile selbst ein Bezahlangebot betreibt.

Dabei wäre ein Livestream in dieser Staffel auch konzeptuell wichtiger denn je; denn nur so können die Bewohner für ihre Taten unmittelbar und quasi live bewertet, also `rauf oder `runterevoted werden. Durch das Fehlen des Livestreams bekommen die Kandidaten ihr Feedback von den Zuschauern nun um Stunden verzögert; angesichts der sicherlich auch immensen On-Demand-Nutzung vielleicht sogar um Tage verspätet.

Deshalb gilt: So groß die Freude über die Rückkehr des großen Bruders ist. So groß die Hoffnungen von Sat.1 sind und so hoch die Wahrscheinlichkeit, dass sich «Big Brother» in der Montags-Primetime erfolgreicher schlägt als Paula Lamberts Nackt-Experiment und am Vorabend auch die Werte von «Genial Daneben – Das Quiz» übertrumpfen wird: So groß ist auch die Gewissheit, dass Sat.1 nicht alle Handbremsen vollends gelöst hat. Die allererfolgreichsten Staffeln, etwa die Runden vier und fünf, liefen auch samstags und sonntags bei RTLZWEI und wurden von Tele5 mit dem «Nachtfalken» jeden Abend rund drei Stunden lang interaktiv begleitet – neben einem 24-Stunden-Livestream.

Im Falle eines Erfolgs und der Verwirklichung des Plans, «Big Brother» als jährliches 100-Tage-Event zu etablieren, sollten sich die Verantwortlichen in diesem Punkt noch einmal hinterfragen.

Die Sendetermine: Entscheidungsshow montags um 20.15 Uhr, gefolgt von der Late-Night-Show bei sixx (in der Regel ab 22.15 Uhr. Tageszusammenfassungen werktags um 19 Uhr in Sat.1, lineare TV-Wiederholung vormittags um zehn. Joyn will zudem die aktuellen Folgen auf Abruf anbieten.

Bewertungen gefragt! Was ist dieser Artikel wert?
1 Stern
15,7%
2 Sterne
6,6%
3 Sterne
17,9%
4 Sterne
27,0%
5 Sterne
32,8%

10.02.2020 23:58 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/115754