«Little America»: Die Freiheitsstatue von AppleTV+

In seiner Anthologie-Serie erzählt AppleTV+ acht amerikanische Einwanderergeschichten. Wie gut gehen dabei Haltung und künstlerische Komplexität zusammen?

Cast & Crew

  • Executive Producers: Kumail Nanjiani, Alan Yang, Lee Eisenberg, Emily V. Gordon, Joshuah Bearman, Joshua Davis
  • Produktion: Alan Yang Pictures, Quantity Entertainment, Epic Magazine, Universal Television
Für einen abgeklärten Zuschauer ist vielleicht zu offensichtlich, worauf die achtteilige Anthologie-Serie «Little America» von AppleTV+ hinauswill: die Herausstellung der Eigenschaft und des Gründungsmythos Amerikas als Einwanderungsland in einer hochpolitisierten, von Konternarrativen zersetzten Atmosphäre sowie die Zelebrierung seiner durch Immigration gespeiste kulturelle Vielfalt.

Die acht Episoden, die der Streaming-Anbieter für die erste Staffel seines Formats ausgesucht hat, sind dabei bewusst so vielfältig wie die Kulturräume, denen seine Protagonisten genealogisch entstammen – in sprachlicher und ethnischer Hinsicht genauso wie in künstlerischer und geografischer.

Die erste Folge handelt von einem zwölfjährigen indischstämmigen Jungen, dessen Eltern plötzlich aus den USA ausgewiesen werden. Nun muss er den Familienbetrieb, ein Motel in der Peripherie von Utah, alleine schmeißen. Akademisch engagiert er sich – amerikanischer geht es nicht mehr – beim betulichen Buchstabierwettbewerb Spelling Bee, der ihm schließlich die Chance eröffnet, der amtierenden First Lady beim Empfang im Weißen Haus die tragische Geschichte seiner Eltern höchstpersönlich vorzutragen.

Eine Folge später hat die High-School-Schülerin Marisol (eine wunderbare Entdeckung: Jearnest Corchado) den amerikanischen Traum eigentlich schon aufgegeben. Ohne Aufenthaltsstatus und Papiere wird sie nie eine vernünftige Arbeit finden, geschweige denn aufs College gehen können. Ihre Zukunft wird bestenfalls unter dem Radar der amerikanischen Mehrheitsgesellschaft stattfinden. Die Perspektiven, die die Schulleitung ihr eröffnet, schlägt sie mit berechtigtem Zynismus in den Wind. Doch mit ihrer unverhofften Freude am Squashsport tun sich neue Möglichkeiten auf, auch wenn der Weg hart bleibt.

Im nächsten Halbstünder findet ein nigerianischer Student in Oklahoma durch seine Liebe zur amerikanischen Cowboy-Kultur Anschluss. Eine andere Geschichte – prominent besetzt mit Mélanie Laurent und Zachary Quinto, und künstlerisch die experimentierfreudigste der acht Folgen – erzählt von einem Schweigemeditationsaufenthalt irgendwo im Nirgendwo, wo Sprachbarrieren kein Hindernis bei intimer Konversation sind. Und so weiter und so fort.

All diese Vignetten haben zwei Dinge gemeinsam: Sie basieren auf realen Geschichten. Und sie sind extrem erbaulich. Das mag im aufgeheizten politischen Umfeld, in dem sich die USA unter der Präsidentschaft Trump befinden, seine Berechtigung haben, und setzt ein deutliches Statement, dessen sich Konzerne wie Apple in opportunistischer Weise gerne verweigern. Und doch bleibt inhaltlich zu kritisieren, dass die Narrative zumeist diesem Erbaulichkeitsendziel untergeordnet wird.



Die angelsächsische Soziologie kennt das Dictum der zwei Arten, Menschen ihrer Menschlichkeit zu berauben: ihnen alle Tugenden und jede Aufrichtigkeit abzusprechen – oder sie pauschal von allen Sünden und Lastern freizusprechen. Gerade die Geschichte um den zwölfjährigen indischstämmigen Amerikaner, der nun ein Motel in den Rocky Mountains zu führen hat, und sich dabei stets mit besonderem Pflichtbewusstsein und Engagement hervortut, kann fast als exemplarisches Beispiel für diese Beobachtung herhalten. Denn außer, dass er im fortgeschrittenen Alter mal eine größere Party in dem Etablissement schmeißt, bei der auch ein Joint die Runde macht (Peanuts!), bleibt er ein Musterknabe wie er im Buche steht. Das wirkt wie eine allzu plumpe Lenkung der Sympathien der Zuschauer – und lässt wohlgemerkt jedwede nennenswerte psychologische Komplexität missen; ein Eindruck, den glücklicherweise die folgenden Episoden entkräften, indem sie ihre starke Haltung mit vielschichtiger vorgetragenen Erzählsträngen kombinieren.

«Little America» ist bei AppleTV+ verfügbar.
19.02.2020 12:00 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/115996