«Limbo»: Ein Take, viele kleine erzählerische Feuer

Der Thriller «Limbo» erzählt in einem Take von Befürchtungen, Versuchungen und Bedrohungen.

Filmfacts «Limbo»

  • Regie: Tim Dünschede
  • Drehbuch: Anil Kizilbuga
  • Cast: Elisa Schlott, Tilman Strauß, Martin Semmelrogge, Mathias Herrmann, Christian Strasser, Steffen Wink Henry, Andreas Borcherding, Victor Asamoah, Matthias Schullan, Theresa Weihmayr, Nicolas Wolf
  • Produktion: Fabian Halbig, Florian Kamhuber
  • Kamera: Holger Jungnickel
  • Musik: David Reichelt
  • Laufzeit: 89 Minuten
  • FSK: ab 12 Jahren
Nach Sebastian Schippers Berlin-Thriller «Victoria», der in einem einzelnen Take gedreht wurde, kommt mit «Limbo» ein weiterer One-Take-Thriller aus Deutschland ins Kino. Wie schon Schippers über zwei Stunden langer Film, der um seine Oscar-Chancen beraubt wurde, beginnt auch «Limbo» mit einem anderen Duktus als er ihn letztlich in seinem Hauptteil zu Tage bringt. Was bei Schipper wie die Nachwehen einer Berliner Party-Nacht beginnt, eröffnet hier als langsam brodelnder, leiser Banken-Thriller. Und wie bei Schipper wird auch in «Limbo» dieser redselige Einstieg letztlich um Action bereichert und um sehr persönliche Fallhöhen. All diese oberflächlichen Parallelen sind aber schlussendlich nicht mehr als genau das. «Limbo» findet eine eigene filmische Identität und macht Langfilm-Regiedebütant Tim Dünschede zu einem Namen, den man sich merken sollte. Bleibt nur zu hoffen, dass er nach diesem Filmhochschulprojekt weiterhin Arbeiten anpacken darf, in denen er sich stilistisch so entfalten kann wie hier.

Die One-Take-Thrillerhandlung beginnt, als die junge Compliance Managerin Ana (Elisa Schlott, «Goliath 96») auf ein Geldwäsche-Netzwerk stößt. Zunächst versucht sie, ihre Vorgesetzten davon zu überzeugen, dass etwas vor sich geht. Sie sollte nicht ahnen, was an diesem Abend noch passieren wird: So kreuzen sich ihre Wege noch am selben Abend mit denen eines alternden Kleinganoven, eines verdeckten Ermittlers und eines Wiener Gangsterbosses. Als sie auf eine Party gebracht wird, wo nicht nur Hochprozentiges fließt, sondern auch rote Lichter fleischliche Verführungen versprechen und illegal bis aufs Blut gekämpft wird, verweben sich Schicksale in einem dramatischen Strudel aus Macht, Angst und Gewalt …


Die Schwächen vorab: In «Limbo» machen Dünschede und Autor Anil Kizilbuga mehrere Handlungsstränge auf, die in einem klassisch erzählten Thriller üblicherweise parallel montiert werden würden, bevor sie letztlich zusammenlaufen. Durch das One-Take-Stilmittel fällt diese Möglichkeit natürlich weg, stattdessen beginnt der Film mit Ana, folgt ihr, folgt daraufhin kurz einer anderen Figur, die uns dann zu einem anderen Handlungsstrang bringt und so geht es dann weiter und weiter.

Das ist einerseits ein cleverer Einfall, um trotz dieser Erzählweise mehrere Plotfäden zu verweben. Doch die Charakterbögen von «Limbo» tragen nicht diese Tempo drosselnde Herangehensweise, und so sorgt dieses Schauplatz/Übergangsszene/Schauplatz/Übergangsszene-Erzählen nur dafür, dass erst im letzten Drittel so richtig Spannung aufkommt. Als filmische Analyse, was Parallelmontage bewirkt und welche Folgen eine "Wie ein stilles Mäuslein verfolgen wir verschiedene Personen, von denen sich manche letztlich wiedersehen"-Ersatzmittel hat, ist «Limbo» interessant zu verfolgen, doch so wirklich nervenaufreibend ist das leider nicht.

Betrachtet man «Limbo» aber als Drama, das sich schleichend zum Thriller entwickelt, macht Elisa Schlott diese Makel streckenweise wieder wett. Ihre Figur ist die am besten ausgearbeitete in «Limbo» und somit steht sie im Zentrum des ausgefeiltesten Handlungselements. Sie mimt die Compliance-Kämpferin mit integrer Ausstrahlung, ohne bieder zu wirken, und wie Ana ratlos immer tiefer in einen Sumpf gerät, den sie nicht überblicken kann, stellt Schlott glaubwürdig zur Schau. Auch Martin Semmelrogge sticht aus dem anderweitig solide aufspielenden Cast heraus: Seine Rolle ist zwar auf dem Papier ein Kleingangster unter vielen, doch er spielt die Figur mit Witz und Undurchschaubarkeit – und vor allem überhaupt nicht wie eine Semmelrogge-Klischeerolle.



Wenn in «Limbo» dann nach und nach Aufrichtigkeit, Verführungen und Bedrohungen einen diffizilen Tanz aufführen, werden die Weichen für ein packendes Finale gestellt. Schon zuvor beeindrucken die atmosphärische Lichtgebung und die soghafte Kameraführung Holger Jungnickels, die uns in diese Welt von Betrug und Morallosigkeit abtauchen lässt: Man fühlt sich wie ein stiller Beobachter, aber doch gleitet die Kamera mit einer unwirklichen Qualität.

Begleitet wird dieser logistisch sehr knifflige Film von einem kühlen, energiereichen Score des Komponisten David Reichelt («Acht Tage»). Unterm Strich ist «Limbo» eine handwerklich beeindruckende Fingerübung, die ein wenig braucht, um in die Gänge zu kommen, doch dank Stil und Schauspiel auch abseits des großen Finales überzeugt.

«Limbo» ist ab sofort in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.
20.02.2020 10:16 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/116018