Ungewöhnliche Lage in Berlin, denn mit Welt hat man eigenen Fernsehsender. Statt diesen weiter auszubauen, ist Bild jetzt selbst ein digitaler Sender geworden.
Die Verlagsbranche war im Jahr 2013 geschockt, als der Axel Springer Verlag einen Großteil seiner Zeitschriften und Regionalzeitungen an die Funke-Gruppe veräußerte. Mit Titeln wie der Programmzeitschrift „Hörzu“ verdiente der Springer-Konzern über 900 Millionen Euro. Die „Hörzu“ hat zwar rund 300.000 Abonnenten verloren, schlägt sich mit über 900.000 verkauften wöchentlichen Ausgaben auch weiterhin gut. Weit über die Hälfte der Käufer leisten sich das wöchentliche Abonnement.
Dennoch sinken die Auflagen der Tageszeitungen seit Jahren weiter. Kurz nach der Wende waren die Deutschen an 27,3 Millionen Zeitungen interessiert, seither ging es kontinuierlich abwärts. Nur zwei Mal konnten die Auflagen gehalten werden: Bei der der Regierungskrise 2004/2005 als die SPD und die Grünen die Hartz IV-Gesetze einführten und bei der Bankenkrise 2008/2009. Derzeit verlieren die Zeitungshäuser im Bundesdurchschnitt eine Auflage von 600.000 Stück pro Jahr.
Beim Springer-Verlag rief man schon vor Jahren die „Mobile First“-Strategie aus. Der digitale Auftritt von Bild erreicht über 400 Millionen Seitenaufrufe im Januar, die Welt verbuchte 83 Millionen Views. Der Webauftritt konnte sich zuletzt wieder steigern, allerdings lief der Vorjahresjanuar mit 136 Millionen Aufrufen extrem gut. Zuletzt mussten allerdings mehrere Nachrichtenportale einen deutlichen Reichweiten-Rückgang hinnehmen, der Spiegel verlor mit seinem Relaunch rund die Hälfte seiner Leser.
Die Tageszeitung „Die Welt“ hat in den vergangenen Jahren vermehrt Print-Leser eingebüßt. Im vierten Quartal 2019 wurden rund 107.000 Zeitschriften im Schnitt veräußert. Im reinen Abonnement brachte man nur etwa 58.000 Zeitungen los. Krisenstimmung im Springer-Verlag? Das Unternehmen positionierte die Marke Welt weiter um. Derzeit haben über 110.000 Abonnenten ein digitales Abonnement, das auf dem Smartphone, Tablet oder Computer genutzt werden kann. Für meisten Leser haben sich für das Angebot WELTplus entschieden, das günstigste Angebot des Unternehmens. Für die Bezahlangebote von Bild hat die Axel Springer-Gruppe inzwischen über 450.000 Abos an den Mann bringen können.
Mit der Übernahme des Nachrichtensenders N24 holte man sich bei Springer noch Expertise im Bereich Fernsehen. Welt ist ein erfolgreicher, unabhängiger Nachrichtensender, der seine Marktanteile gegenüber n-tv (von der RTL-Gruppe) behaupten kann und bei Events hohe Aufrufe erreicht. Allerdings bekommt Welt seit kurzer Zeit Konkurrenz aus dem eigenen Haus.
Bild-Chefredakteur Julian Reichelt startete sehr ambitioniert das Bild-Live-TV-Projekt, das beim Klick auf Bild.de startet. Mit über 400 Millionen Aufrufen erreicht das Bewegbild-Angebot von Bild eine Menge Personen. Das Programm zum großen Teil aus Live-Nachrichten mit diversen Schalten zu Reportern oder Experten. Shows, unter anderem mit Ex-Sky-Kommentator Marcel Reif, runden das Angebot ab.
Die Inhalte von Bild Live sind trivial und bieten unterm Strich keinen Mehrwert. Allerdings ist es fraglich, welche TV-Nachrichtensender ohnehin regelmäßig einen Erkenntnisgewinn im laufenden Programm bringen. Viel verwunderlicher ist es, dass man bei der Axel Springer SE mit Bild Live einen zweiten, aber rein digitalen, Nachrichtensender startet. Mit Sondersendungen in der späten Nacht zum Amokläufer in Hanau war man live drauf, während es bei der hauseigenen Konkurrenz nur einen Hinweis im Laufband gab.
Man mag es kaum glauben, aber die Mitarbeiter von Axel Springer verstehen ihr Handwerk. Zunächst hat man sich vom klassischen Zeitungsgeschäft gelöst, hat eine hohe Reichweite an digitalen Abos verkauft und nun widmet man sich dem Bewegtbild. Zuletzt sollte man darauf wetten, dass dieses Unterfangen gut geht. Der Aktienkurs befindet sich auf dem zweithöchsten Stand der Unternehmensgeschichte. Also müsste ja alles prima in Berlin sein? Noch haben die Verantwortlichen des Springer-Konzerns keine Strategie für Welt veröffentlicht, nachdem dort zuletzt Stellen abgebaut werden sollten. Bild ist das wichtigste Projekt für die Springer-Gruppe, dennoch fehlt ein Fahrplan für das Schwesterangebot Welt.