Drehbuchautor Magnus Vattrodt spricht mit Quotenmeter.de über den Entstehungsprozess des ZDF-Mehrteilers «Unterleuten».
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Die Dialoge im Roman sind sehr nah an einer filmisch-dramaturgischen Schreibweise, da kann man also den Figuren immer wieder mal auf den Mund schauen. Juli Zeh hat eine Vorlage geschaffen, die sich meiner Ansicht nach gut für eine Adaption eignet, also sollte man sie auch berücksichtigen, selbst wenn man noch immer Dinge fürs andere Medium anpassen muss.
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Magnus Vattrodt
Wie oft haben Sie beim Schreiben des Drehbuchs die Romanvorlage von Juli Zeh zur Hand genommen?
Häufig. Der Roman war quasi die ständige Begleitlektüre – zumindest phasenweise. Denn das mag jeder anders sehen, aber ich finde, dass wir uns sehr bemüht haben, dem Roman gerecht zu werden ohne dass es angestrengt wirkt. Es ist ein sehr guter Roman, und daher fand ich es wichtig, dass man ihn trotz Veränderungen im Dreiteiler wiedererkennt. Daher habe ich immer wieder nachgeschlagen, um mir noch einmal vor Gesicht zu führen, wie bestimmte Figuren zueinander stehen oder manche Handlungsstränge aufgebaut sind.
Hinzu kam: Die Dialoge im Roman sind sehr nah an einer filmisch-dramaturgischen Schreibweise, da kann man also den Figuren immer wieder mal auf den Mund schauen. Juli Zeh hat eine Vorlage geschaffen, die sich meiner Ansicht nach gut für eine Adaption eignet, also sollte man sie auch berücksichtigen, selbst wenn man noch immer Dinge fürs andere Medium anpassen muss.
Gleichzeitig musste es natürlich eine Phase geben, in der es hieß: Jetzt muss ich das Buch zur Seite legen, um eine filmische Dramaturgie zu erschaffen. Da muss man sich diese Freiheit nehmen und von Dingen trennen. Nicht nur, dass wir einfach weniger Zeit in der erzählten Welt verbringen, Konflikte spielen sich im Medium Film schlichtweg anders ab als in einem Roman. Aber dann gab es auch eine Phase, als wir im Prozess zum Roman zurückgefunden haben. Man war eng zusammen, musste sich dann lösen und fand dann doch wieder zusammen – mit einer Romanadaption ist es also so ein bisschen wie mit Kindern und ihren Eltern.
Sich auch was von der Vorlage zu lösen, halte ich in den meisten Fällen für die klügste Herangehensweise. Es meckern zwar immer Leute, es sei denn ja nicht mehr wie das Buch …
Aber den Effekt hätten wir auch, hätten wir uns noch enger ans Buch gehalten – ja! Es würde noch immer heißen, dass das fehlt und jenes im Buch doch anders wirkt. Das ist richtig: Natürlich fehlt was. Wir müssen kürzen. Es sei denn, wir hätten das Buch wirklich 1:1 adaptiert, aber dann wäre der Film absurd lang und unguckbar, weil eine Buch-Dramaturgie nicht im Film funktioniert und umgekehrt. Also muss man Elemente aus dem Roman aussieben, und dabei Prioritäten für die filmische Gesamtvision setzen.
Ein konkretes Beispiel für «Unterleuten»: Eine Zeit lang hatten wir vor, die Figur Karl, der Indianer aus dem Roman zu übernehmen. Aber wir haben realisiert: Wir können ihn nicht nur für ein paar kurze Momente drin haben, das würde Leute nur verwirren. Wir hätten ihm also filmisch mehr Raum geben müssen, doch das wäre verschenkte Zeit, da er zu wenig mit den elementaren Teilen der Geschichte zu tun hat.
Er ist sozusagen der Tom Bombadil von «Unterleuten».
Ja, das kann man so sagen. Solche Figuren fallen nun einmal vornüber. Aber man sollte es einfach so sehen, dass das Buch also noch zusätzliche Schätze bereithält, statt sich darin zu verbeißen, es würde im Film ja etwas fehlen. Man pickt sich bei einer Adaption quasi die Rosinen raus, und stellt daraus etwas Neues, aber familiäres zusammen. Und das geht bei Juli Zeh sehr einfach, weil ihre Vorlagen so gut und so bildlich geschrieben sind. Es gibt Fälle, in denen sich Produzenten Romane ans Bein binden, die sich überhaupt nicht für eine Adaption eignen. Und ich kann gar nicht verstehen, weshalb man sich das antut.
Die Antwort dürfte einfach sein: Es geht um die Bekanntheit des Titels …
Na gut, das macht für Produzenten vielleicht Sinn, aber erzählerisch bringt das überhaupt nichts. Du kannst den Roman nicht benutzen, aber du sicherst dir doch nicht die Rechte, um die Vorlage völlig zu ignorieren. Da lädt man sich nur Probleme auf.
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Ganz am Anfang stand sogar ein Serienkonzept! Aber das wurde sehr schnell aufgegeben, weil das ZDF sich für einen Dreiteiler entschieden hat, weil man offenbar Probleme hatte, einen angemessenen Programmplatz für eine «Unterleuten»-Serie zu finden. Aber ich stecke in solchen Entscheidungen nicht drin – ich bekam die Aufgabe, einen Dreiteiler zu schreiben, ich habe einen Dreiteiler geschrieben, und das ist ausreichend Raum für diese Geschichte.
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Magnus Vattrodt
Zurück zu «Unterleuten». Sie sagten, dass es Ihnen leicht fiel, die Vorlage zu adaptieren – dabei war es sicher auch von Vorteil, dass sie einen Dreiteiler zu füllen hatten und somit mehr Erzählzeit als mit einem einzelnen Film …
Ganz am Anfang stand sogar ein Serienkonzept! Aber das wurde sehr schnell aufgegeben, weil das ZDF sich für einen Dreiteiler entschieden hat, weil man offenbar Probleme hatte, einen angemessenen Programmplatz für eine «Unterleuten»-Serie zu finden. Aber ich stecke in solchen Entscheidungen nicht drin – ich bekam die Aufgabe, einen Dreiteiler zu schreiben, ich habe einen Dreiteiler geschrieben, und das ist ausreichend Raum für diese Geschichte. Man könnte es sicher auch als Serie erzählen, aber man müsste da die Dinge ganz anders aufzäumen, und ich wäre auch etwas unwohl damit, eine Vorlage, die einen klaren Anfang und ein klares Ende hat, in die Länge zu ziehen.
Gab es in «Unterleuten» eine Figur, die Ihnen schwerer zu schreiben gefallen ist als die anderen?
Nein. Das ist der Verdienst von Juli Zeh: Jede ihrer Figuren ist so klar definiert und hat ihre eigene, für sich authentische Sprache. Ich habe dank des Romans so konkrete Vorstellungen, wie jede der Figuren tickt, denkt, handelt und spricht, dass es wirklich keinerlei Probleme gab, mich in sie hineinzuversetzen.
Wenn es Ihnen bei anderen Projekten passiert, dass Sie die Stimme einer Figur nicht finden oder sie verlieren, wie lösen Sie dieses Problem?
Meistens ist die Wurzel des Problems, wenn Figuren nicht zünden, das gleiche: Es ist eine Frage des Konflikts. Nicht die Figur stimmt nicht, sondern der Konflikt in deiner Geschichte. Es ist somit kein Problem in der Charakterzeichnung, sondern ein dramaturgisches, das dazu führt, dass nicht klar wird, warum eine Figur handelt, wie sieh handelt. Man muss also tiefer graben, wenn man in so eine Ecke gelangt, und sich fragen: Was steht auf dem Spiel, was ist die Motivation dahinter? Wenn das nicht klar ist, findet man auch den Sound der Figur nicht. Das wird dann wischi-waschi.
«Unterleuten» ist am Montag, 9. März, Mittwoch, 11. März und Donnerstag, 12. März 2020, jeweils ab 20.15 Uhr im ZDF zu sehen.