Mit klugem Weitblick und genialem Erzähltalent fragt sich die neue HBO-Serie, wie Amerika in den vierziger Jahren im Faschismus hätte versinken können. Was wir von ihr lernen können ...
Cast & Crew
Produktion: Annapurna Pictures und Blown Deadline Productions
Autoren: David Simon und Ed Burns
basierend auf dem gleichnamigen Roman von Philip Roth
Darsteller: Winona Ryder, Zoe Kazan, Morgan Spector, John Turturro, Anthony Boyle, Azhy Robertson, David Krumholtz u.v.m.
Executive Producer: David Simon, Ed Burns, Joe Roth, Jeffrey Kirschenbaum, Nina Noble, Megan Ellison, Sue Naegle, Philip Roth und Susan Goldberg Der Schlachtruf „America First“ ist um Jahrzehnte älter als Donald Trumps feindliche Übernahme der republikanischen Partei – und offenbart zugleich, wes Geistes Kind seine Bewegung ist. Ursprünglich wurde der Slogan (obwohl zuvor von Weltkriegs-Präsident Woodrow Wilson und Über-Verleger William Randolph Hearst in anderem Zusammenhang verwendet) vom gleichnamigen America First Committee popularisiert. Möglichst schneidig wollte es damit seiner Zielsetzung der unbedingten Nichteinmischung Amerikas in den Zweiten Weltkrieg (und die mörderische Verfolgung von Juden, Roma, Homosexuellen, Dissidenten etc.) und seiner Sympathie für den Faschismus Ausdruck verleihen. Glücklicherweise schaffte es diese Geisteshaltung in den USA nie zu politischer Durchsetzungskraft. Ihrer lauten Wahrnehmbarkeit tat das keinen Abbruch: Eine der erfolgreichsten Großveranstaltungen im berühmten Madison Square Garden wurde vom extrem antisemitischen prodeutschen German-American Bund abgehalten, die Radiosendung des profaschistischen Priesters Father Coughlin erreichte ein Millionenpublikum, rechtsextreme populistische Politiker wie Huey Long hatten ernsthafte Aussichten auf höchste Staatsämter und der Literat Sinclair Lewis sah sich genötigt, mit seinem Buch
It Can’t Happen Here einen Schlüsselroman zu veröffentlichen, der mit erschreckender Glaubwürdigkeit das Gegenteil der titelgebenden zeitgenössischen Beschwichtigung vorführte: Ja, es ist nicht undenkbar, dass das Gedankengut des europäischen Faschismus auch seinen Weg über den Atlantik findet.
Im 2004 veröffentlichten – und nun von HBO in Form der vorliegenden sechsteiligen Miniserie verfilmten – «Plot Against America» von Philip Roth manifestiert sich die akute Gefahr für die amerikanische Republik nicht wie in Lewis‘ Text anhand einer kaum verklausulierten Abwandlung des rechtsextremen, rassenspaltenden demokratischen Senators Huey Long aus Louisiana, sondern in Gestalt des amerikanischen Helden Charles Lindbergh: In Roths alternativer Geschichte lässt er sich 1940 von der republikanischen Partei als Präsidentschaftskandidat rekrutieren und fliegt von nun an mit seiner Spirit of St. Louis von
Rally zu
Rally, wo er schneidig und eloquent genau die richtige Dosis Anti-Kriegs-Rhetorik von sich gibt, um seine antisemitischen und rassenwahnhaften Tendenzen auf der zweiten Ebene zu kaschieren.
Vor dieser aufgeheizten politischen Ebene schwankt die jüdische Arbeiterfamilie Levin in ihrer gleichsam stark jüdisch geprägten Nachbarschaft im periurbanen New Jersey nun zwischen ängstlicher Aufgekratztheit und ostensibler amerikanischer Normalität. Roths Buch und seine von den Serien-Genies Ed Burns, David Simon (beide «The Wire») und Thomas Schlamme («The West Wing») verantwortete Adaption haben dabei viel verstanden.
Erstens: Das Leben geht auch im Faschismus weiter. In Deutschland vergingen von den Judenboykotten bis zur Reichskristallnacht über fünf Jahre, bis zur Aktion Reinhardt weitere dreieinhalb. Ausgrenzung, wirtschaftliche Marginalisierung, politische Bevormundung und Entrechtung geschehen auch im «Plot Against America» schrittweise – und weit weniger dezidiert, offensichtlich und radikal als in Deutschland, wo (zumindest in der Interpretation von Geschichtsforschern wie Goldhagen) seit Jahrhunderten ein eliminatorischer Antisemitismus gesellschaftlicher Konsens war, den es in dieser Stoßrichtung nirgendwo sonst gab. Will man Hannah Arendts „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ zu Rate ziehen, sind zwar auch die angelsächsischen Gesellschaften (wie ebenfalls die französische) zu signifikanten Teilen von antisemitischen Ideen durchsetzt gewesen, doch der gesunde Menschenverstand in diesen Ländern wollte „sich absolut nicht davon überzeugen lassen […], daß die Ausrottung der Juden ein Allheilmittel für alle Nöte der Zeit war.“
Das führt uns zum zweiten Aspekt: Antisemitismus kennt nicht nur verschiedene Ausprägungen, sondern auch verschiedene Zielsetzungen. Im Albtraumszenario, das «The Plot Against America» entwirft, werden Juden schrittweise marginalisiert, entrechtet und, ja, auch verfolgt: Eine „Endlösung“ in Form ihrer systematischen und bedingungslosen Ermordung ist aber genauso wenig in Sicht wie ihre Brandmarkung anhand eines Davidsterns auf der Kleidung. Selbst die schlimmste alternativgeschichtliche Vorstellung, die man sich auf Basis nicht vollkommen unrealistischer politischer und gesellschaftlicher Abzweigungen machen kann, ist – trotz aller entrechtenden Zumutungen – um Längen vom deutschen Zivilisationsbruch entfernt. Denn die amerikanischen Antisemiten waren auf völlig andere Art antisemitisch als die deutschen – und trotz ihrer Unerträglichkeit weit weniger viehisch.
Drittens: Auch einzelne Mitglieder der jeweiligen marginalisierten Gruppe sind dazu bereit, an ihrer eigenen Entrechtung mitzuwirken: aus Verblendung, Dummheit, mangelnder Weitsicht, Fehleinschätzung der politischen Realitäten, Eitelkeit, Gewinnsucht oder gar Ideologie. So fühlt sich Evelyn Finkel (Winona Ryder), aus weitgehend offen gelassenen Gründen, schon früh zu Charisma und Gedankengut von Charles Lindbergh hingezogen, was – als ihre heimlichen Besuche seiner
Rallies auf örtlichen Flugplätzen schließlich herauskommen – zu heftigen Konflikten mit ihrer Schwester Bess Levin (Zoe Kazan) und ihrem Schwager Herman (wunderbar authentisch: Morgan Spector) führt, die schon früh das herannahende Unheil als solches erkennen. Je stärker sich Evelyn für Lindbergh begeistert (und sich bald auch politisch für ihn engagiert), desto enger wird auch ihr Kontakt zu Rabbi Bengelsdorf (John Turturro), einem naiven, aber extrem gebildeten Mann, der sich bereitwillig als
Token Jew für Lindberghs Kampagne einspannen lässt, um der Marginalisierung der Juden – oder wie Bengelsdorf es nennen würde: ihrer Assimilierung in die amerikanische Mehrheitsgesellschaft – den Weg zu bereiten.
Allen Charakteren ist ihre außerordentliche psychologische Komplexität gemein; genauso wie ihre überaus fähigen Darsteller: Winona Ryder lässt besonders viel Spielraum für zahlreiche divergierende Analysen ihres Charakters, legt ihn dabei jedoch konkret genug an, dass er auch als einnehmende Figur zu faszinieren weiß. Und obwohl Zoe Kazan die kleinere Rolle spielt, fällt sie doch besonders auf: mit einer starken, klugen und feinfühligen Performance, die in der amerikanischen Seriengeschichte des letzten Jahrzehnts ihresgleichen suchen dürfte.
Nun noch einmal in die Makroperspektive, denn der Vergleich drängt sich gerade auf: Während das deutsche Fernsehen derzeit
einen unappetitlichen, obszönen Dreiteiler zeigt, in dem der Zuschauer Sympathien für KZ-Profiteure und SS-Mörder entwickeln soll, setzt sich Amerika in seiner Tele-Fiktion gerade mit einer Schuld auseinander, die nicht einmal den Raum des hypothetisch Möglichen verlassen hat. Dass dabei die Assoziationen zur Ära Trump (klugerweise) von selbst laufen, zeigt ein ideengeschichtliches Bewusstsein, an dem sich hiesige Fernsehmacher bitte dringend ein Beispiel nehmen.