In einer neuer Sendung macht RTLZWEI normale Bürgern zu Richtern und lässt sie echte Kriminalfälle "nachverhandeln". Um einen sachlichen Austausch von Argumenten geht es diesen aber leider nur in begrenzter Weise...
Eine Nachbarin, die sich seit Jahren um einen älteren Rentner kümmert, wird von diesem sexuell genötigt. Die Frau greift den Alten daraufhin tätlich an, verletzt ihn schwer. Sie ruft keine Hilfe, der Mann stirbt letztendlich. Statt die Tat zu gestehen, verschweigt die Frau den Tod des Mannes und kassiert über Jahre hinweg weiterhin seine Rente, auf die sie über ein Kontovollmacht Zugriff hat. Um über 100.000 Euro bereichert sie sich, bis der Betrug nach vielen Jahren auffliegt. Welche gerechte Strafe hat sich die Frau für ihre Tat verdient?
Mit diesem Fall, der sich in Deutschland wirklich zugetragen hat, müssen sich bei RTLZWEI die Zuschauer in der neuen Sendung
«Im Namen des Volkes - So urteilt Deutschland» befassen. Zweifellos stellt die Sendung damit eine der spannendsten Fragen, die es überhaupt gibt: Nämlich die nach Recht und Gerechtigkeit. Um sich einer Antwort zu nähern, installiert «Im Namen des Volkes» eine Jury aus Laienrichtern, die über den Kriminalfall entscheiden muss. Hintergrundwissen und Fakten erhalten sie von dem Rechtsexperten Dr. Alexander Stevens, der gewissermaßen durch die Sendung führt. Er zeigt den Laien-Richtern drei kurze Einspielfilme, auf deren Faktengrundlage sie den Fall bewerten müssen. Am Ende präsentiert der Münchner Anwalt für Strafrecht der Jury auch das echte Urteil.
Auf dem Papier erinnert das, was RTLZWEI in der neuen Sendung vor hat, ein wenig an den ARD-Film «Terror - Ihr Urteil» (Bild links), der ebenfalls zum Nachdenken über die Kategorien Recht und Gerechtigkeit motivierte. In ihm geht es um ein von Terroristen entführtes Passagierflugzeug, das mutmaßlich auf die vollbesetzte Münchener Allianz-Arena zusteuert. Sollte dem so sein, würde die Zeit zur Evakuierung nicht ausreichen. Der Luftwaffen-Major Lars Koch entscheidet daraufhin selbstständig, das Flugzeug abzuschießen und die Gefahr für die Menschen am Boden abzuwenden. Den Tod der Passagiere nimmt er damit hingegen sicher in Kauf. Der (äußerst gelungene) Film zeigt schließlich die Gerichtsverhandlung und stellt verschiedene juristische Fakten und philosophische Gedanken zu dem Thema dar. Letzten Endes konfrontiert er die Zuschauer mit der Frage, ob Lars Koch schuldig ist oder nicht.
In «Im Namen des Volkes» geht es im Grundsatz um eine ähnliche Abwägung, trotzdem spielt die RTLZWEI-Sendung inhaltlich in einer anderen Liga, was nicht zuletzt an den Laienrichtern liegt. Zwar äußern diese immer wieder auch spannende Einwände, insgesamt sind sie aber mehr auf gegenseitige Konfrontation und nicht auf sachlichen Austausch aus. Womöglich liegt das an der schlecht gecasteten Jury, wobei vor allem die 69-jährige Inge mit einer beachtlichen Selbstsicherheit und begrenztem Willen zur Kooperation negativ auffällt.
Letztendlich tauschen sich die Laienrichter der Produktion von filmpool entertainment über den schwierigen juristischen Fall weniger mit kühlem Kopf und guten Argumenten aus, sondern werden in der zweistündigen Urteilsberatung schnell emotional, was die Dynamik der Sendung in einer unangenehmen Weise anheizt. Angesichts der schwierigen Bewertung des Falls, in der es keine klaren Kategorien von richtig und falsch gibt, ist das eigentlich nicht angemessen. Dass eine der Laienrichterinnen am Ende wegen des vermeintlich ungerechten Urteils in Tränen ausbricht, wirkt theatralisch und irgendwie überzogen.
Abseits dessen würde «Im Namen des Volkes» auch ein bisschen mehr Tempo nicht schaden, denn tatsächlich beschäftigt sich die einstündige ersten Folge nur mit dem einen Fall. Löblich ist hingegen, dass sich RTLZWEI überhaupt an ein Format herantraut, das ziemlich unkonventionell daherkommt - und in der Theorie durchaus auch Potenzial besitzt. Sicherlich dürfte die Kriminalgeschichte noch zahlreiche schwierige Fälle kennen, die man auf diese Weise „nachverhandeln“ könnte.
In der Theorie hat RTLZWEI dabei durchaus auch versucht, eine spannende Jury zusammenzusetzen. Der Sender stellt den Anspruch, die Gesellschaft möglichst umfassend abzubilden. Männer und Frauen, Junge und Alte, Arbeitnehmer, Studenten und Rentner und Menschen mit einem Migrationshintergrund finden in der Laienrichter-Jury Platz. Spannender wäre es vielleicht tatsächlich gewesen, den Kriminalfall mit Philosophen verschiedener Strömungen zu verhandeln. Aber gut, das ist Wunschdenken und gehört wohl eher ins Programm von arte…
Vier Folgen von «Im Namen des Volkes - So urteilt Deutschland» zeigt RTLZWEI ab sofort immer donnerstags um 20.15 Uhr.