Im neuen «Tatort - National feminin» geht es gleich um zwei heiße Eisen: Feminismus und die neue Rechte. Trotzdem bleibt der Göttinger Fall hinter seinen Möglichkeiten zurück.
Hinter den Kulissen
- Regie: Franziska Buch
- Drehbuch: Florian Oeller
- Nach einer Idee von Daniela Baumgärtl
- Cast: Maria Furtwängler, Florence Kasumba, Jenny Schily, Stephanie Amarell, Samuel Schneider, Leonard Proxauf
- Kamera: Bella Halben
- Musik: Johannes Kobilke
- Schnitt: Benjamin Hembus
Im Göttinger Stadtwald wird die Leiche von Marie Jäger (Emilia Schüle) gefunden. Die Identität der Toten setzt das Team um Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und Anaïs Schmitz (Florence Kasumba) unter großen Druck: die kluge und attraktive Jura-Studentin, war mit ihrem erfolgreichen Blog „National feminin“ ein Star der jungen rechten Szene und Aushängeschild der „Jungen Bewegung“. In den sozialen Netzwerken beginnt eine unkontrollierbare Stimmungsmache gegen die Polizei, gegen den Staat, gegen die Demokratie. Wurde Marie von einem unbekannten Stalker getötet, war es eine politisch motivierte Tat – oder hat der Mord doch etwas mit ihrem engsten Freundeskreis zu tun?
„Dieser Film gehört den Frauen!“ sagt Maria Furtwängler über den neuesten Fall des Göttinger «Tatort»-Duos Charlotte Lindholm und Anaïs Schmitz. „Hätte Deutschland ohne Migranten keine Probleme?“ fragt Florence Kasumba in Bezug auf dieselbe Episode. Es sind zwei brandheiße Eisen, die Regisseurin Franziska Buch («Connie & Co.») in ihrer zweiten «Tatort»-Folge basierend auf dem Skript von Florian Oeller («Die Getriebenen») und nach einer Idee von Daniela Baumgartl («Jonathan») anfasst, was nach rund der Hälfte dann auch Charlotte Lindholm noch mal selbst zu ihrem Team sagen darf; und sie werden in ihrer Ausführung vermutlich das Publikum spalten. Nicht etwa, weil der «Tatort – National feminin» – mit Ausnahme einiger handwerklicher Schönheitsfehler – so schlecht wäre. Sondern weil Themen wie Rechtsnationalismus, Feminismus und Co. heutzutage einfach immer die Kommentarspalten zum Glühen bringen. Aber damit muss man mittlerweile wohl leben – den Machern des dieswöchigen Sonntagabendkrimis wird es da sicher noch viel schlimmer ergehen. Insbesondere, weil an «National feminin» eine Sache ganz besonders gelungen ist.
Die Rede ist von der Bigotterie, die den Dialogen, Gedanken, Handlungen und Ideologien der hier in den Fokus gerückten „Jungen Bewegung“ innewohnt. Hört man zunächst noch aus jedem zweiten Satz mindestens einen schlecht geschriebenen Widerspruch heraus (das Opfer Marie und ihre Freunde besitzen stramm rechte Ansichten über Masseneinwanderung und Umvolkung, haben aber auch sich hart damit beißende Überzeugungen zum Thema Feminismus, was irgendwann sogar in der Wahrnehmung Maries kollidiert, sodass diese sich zu der Einsicht hinreißen lässt, „einen wunden Punkt“ zu besitzen, wenn sie nur lang genug über ihre Ideologie nachdenkt), lässt Florian Oeller diese irgendwann direkt für sich arbeiten. All das hat Hand und Fuß. Er führt die „Junge Bewegung“ nicht vor, sondern beobachtet, wie sich diese selbst so lange in gegensätzliche Argumentationen verwickelt, bis jedweder Anflug positiver Intention im Keim erstickt ist; ohne dabei den Blick für das Wesentliche zu verlieren.
Für „das Wesentliche“ sind in diesem Fall die beiden Ermittlerinnen zuständig. Beides selbst Frauen, beide in den Augen der „Jungen Bewegung“ also jene, für die sich ebendiese stark macht. Und doch fallen beide alsbald aus ihrem Rettungsschema. Anaïs Schmitz aufgrund ihrer Hautfarbe, Charlotte Lindholm aufgrund von… ja, warum eigentlich? Insbesondere in der ersten Hälfte des «Tatort – National feminin» stürzt die in Kauf genommene Faszination für diese rechtsgesinnte Ideologie der Freunde Pauline (Stephanie Amarell), Felix (Samuel Schneider, der dem österreichischen Rechtsextremen Martin Sellner hier zum Verwechseln ähnlich sieht), Sven (Leonard Proxauf) und Marie alsbald in sich zusammen. Dazu passt auch, dass sowas wie Faszination erst schürende Reichweite hier gar nicht stattfindet. Die für das Internet konzipierten Videos zeigen nie eine direkte Auswirkung, ganz im Gegensatz zu den immer mal wieder kurz eingeblendeten Statements im Kurznachrichtendienst Twitter, dessen unzählige User sich von Fake News und Verschwörungstheorien aufheizen lassen, was vor allem zu einem sehr beklemmenden Schlussbild führt, ansonsten aber bloß eine untergeordnete Rolle spielt.
Das ist auch besser so, denn vor allem inszenatorisch scheinen die Macher soziale Netzwerke nur bedingt verstanden zu haben. Es mag gewählte Kunstfreiheit sein, aber es wirkt vor allem inkonsequent, wenn Fortschrittsbalken und Texteinblendungen am unteren Bildschirmrand suggerieren sollen, eingespielte Szenen seien in Wirklichkeit handgemachte Clips oder Internetvideos, die klassische Spielfilmästhetik jedoch beibehalten bleibt. Das sorgt für Authentizitätseinbußen, die das Gesamtbild zwar nicht allzu sehr stören, aber ganz einfach vermeidbar wären – und sei es nur durch etwas weniger professionelle Kameraeinstellungen.
Ebenfalls nicht vollends überzeugend gerät einmal mehr der Subplot um Charlotte Lindholms Zuneigung zum Mann ihrer Kollegin, Nick Schmitz (Daniel Donskoy). Man merkt schon, was die Verantwortlichen rund um das Göttinger Ermittlerteam damit bezwecken wollen, aber es funktioniert in dieser eher stiefmütterlich behandelten Ausführung leider nur bedingt. Einmal darf Lindholm verstohlen auf ihr Smartphone blicken, da Nick ihr eine SMS geschrieben hat. Ein anderes Mal nutzt die Verdächtige Sophie Behrens (Jenny Schily) ihr Wissen darum für eine Art „Quid pro quo“-Spiel, das Lindholm in eine ungewohnt naive Rolle drängt. All das wirkt lediglich zweck- aber nie dauerhaft figurendienlich und sollte wahlweise langsam eine Auflösung oder aber zumindest deutlichere Konsequenzen erfahren als eine derart beiläufige Behandlung. Dass sich die Auflösung des Falles bei böswilliger Missdeutung wiederum als ein "Aus der Affäre ziehen" der neurechten Bewegung ansehen lässt, ist dann übrigens richtig ärgerlich. Aber so ist eben auch die Sache mit der Bigotterie konsequent.
Fazit
Eine starke erste Hälfte und eine lasche Auflösung, dafür immerhin mit einem einprägsamen Schlussbild: Der das Thema Neurechte behandelnde «Tatort – National feminin» ist hat Höhe- und Tiefpunkte, eine diesmal besonders stark aufspielende Florence Kasumba und einen Subplot, den es nicht (mehr) braucht.
Das Erste zeigt den «Tatort - National feminin» am Sonntag, den 26. April 2020 um 20:15 Uhr.