Die ZDF-Krimireihe «Nachtschicht» zeigt sich in Ausgabe 16 wieder von ihrer gesellschaftskritischen Seite.
Hinter den Kulissen
- Regie und Drehbuch: Lars Becker
- Cast: Armin Rohde, Barbara Auer, Friederike Becht, Pit Bukowski, Klismann Lefaza Jovete, Tedros Teclebrhan, Özgür Karadeniz, Nadeshda Brennicke, Benno Fürmann, Hassan Akkouch, Lorna Ishema, Maximilian Brückner, Minh-Khai Phan-Thi
- Kamera: Andreas Zickgraf
- Musik: Stefan Wulff und Hinrich Dageför
- Schnitt: Sanjeev Hathiramani
Die 16. «Nachtschicht»-Ausgabe verzichtet dieses Mal darauf, dass sich mehrere Fälle zugleich abspielen und letztlich kreuzen. Stattdessen wird in gewohnter Mischung aus Witz, Dramatik und Suspense von einer sehr schicksalshaften Nacht erzählt, die Erichsen und sein Kollegium auf Trab hält:
Als Erichsen (Armin Rohde) und sein Kollege Elias Zekarias (Tedros Teclebrhan) den Verbrecher Norman (Pit Bukowski) dingfest machen wollen, kommen ihnen zwei andere Polizisten in die Quere: Harry Tönnies (Benno Fürmann) hält Elias auf und will ihn verhaften, weil er sich verdächtig verhalten würde – und seine Partnerin Milla Bongers (Friederike Becht) schaut tatenlos und verdattert zu. Als sich die Lage klärt und Norman über alle Berge ist, will Erichsen ein internes Verfahren gegen Harry einleiten lassen, Elias hingegen winkt diesen Vorfall des Berufsalltagsrassismus mit einem "Kann jedem mal passieren!" ab.
Doch Harry manövriert sich kurz danach in noch viel größeren Ärger: Eine Einkaufsstraße wird mitten in der Nacht gesperrt, Autos werden umgeleitet. Harry ahnt, dass die Sperrung nicht angemeldet ist und der ruhig Auskünfte gebende "Mann vom Straßenverkehrsamt" (Klismann Lefaza Jovete) nur ein Ablenkungsmanöver darstellt. Denn wenige Schritte weiter werkelt Norman daran, mit einem Gabelstapler einen Geldautomaten aus der Wand zu reißen. Harry will die zwei Verdächtigen stellen – doch einer von ihnen hat in dieser Nacht denkbar wenig Geduld …
Die Figuren bleiben in «Nachtschicht» überhöht, die Dialoge sind einmal mehr versiert stilisiert. Und doch ist dies einer dieser «Nachtschicht»-Fälle, die weniger "Thrillerkino im Rahmen einer TV-Krimireihe" sind, sondern deutlicher einen wirklichkeitsnahen Gesellschaftskommentar darstellen. Ausgelöst wird diese Erzählung zwar durch ein dramaturgisch forciert eingefädeltes, aber aussagekräftiges Exempel für bittere Ironie (oder gar Karma), doch davon ausgehend nutzt Regisseur und Autor Lars Becker diesen «Nachtschicht»-Krimi, um über Polizeigewalt, rassistisches Profiling und Verbrechensaufklärung behinderndes Aggressionspotential unter unseren "Freunden und Helfern" zu referieren.
Neben des rassistischen Harry ist da unter anderem Milla, die von Friederike Becht mit Biss wie eine rotzige Göre gespielt wird, die es irgendwie zur Polizei geschafft hat und nun ebenso opportun wie ichbezogen durch die Nacht zieht. Sogleich mehrere Kollegen gehen Elias gehörig auf den Senkel, weil der von Tedros 'Teddy' Teclebrhan seelenruhig gespielte Profi beim Indiziensuchen und Verhören kühl nach Vorschrift vorgeht – was ihm als Befangenheit ausgelegt wird, weil manche der Verdächtigen afrikanische Vorfahren haben. Chef Ömer Kaplan (Özgür Karadeniz) kann da kaum für Ordnung sorgen, und Minh-Khai Phan-This Mimi Hu stellt in ihrem kurzen Auftritt auch nur ein sanftes Gegengewicht dar, während die meisten Polizisten mit Kiez-Schnauze und kurzer Zündschnur herum pampen.
So zeichnet Becker eine Polizei, die sich ungesund mit dem Milieu assimiliert hat, das sie überwachen soll, und gleichzeitig ihren Kolleginnen und Kollegen, die nicht denselben Hintergrund haben wie sie, mangelnde Integration vorwirft. Obwohl Pit Bukowskis Norman ein unberechenbarer, impulsiver Gegner ist, ist es daher das Pulverfass innerhalb der Polizei, das die wahre antagonistische Gewalt darstellt. Verpackt in eine gewohnt stylische Großstadt-bei-Nacht-Atmosphäre und zügig gleitend erzählt, bleibt «Nachtschicht – Cash & Carry» dabei spannende, schnörkellose TV-Spannungsunterhaltung, statt erzieherisch rüberzukommen. Das weckt die Hoffnung, dass die wichtige Grundaussage von «Nachtschicht – Cash & Carry» mehr Menschen erreicht, als so mancher überdeutlicher öffentlich-rechtlicher "Problemfilm".
«Nachtschicht – Cash & Carry» ist am 4. Mai 2020 zur besten Sendezeit im ZDF zu sehen.