Wenn die «Die Entdeckung der Unendlichkeit»-Stars eine Art "«Gravity» im Heißluftballon" erleben …
Filmfacts «The Aeronauts»
- Regie: Tom Harper
- Produktion: Todd Lieberman, David Hoberman, Tom Harper
- Drehbuch: Jack Thorne
- Story: Tom Harper, Jack Thorne; basierend auf "Falling Upwards: How We Took to the Air" von Richard Holmes
- Cast: Eddie Redmayne, Felicity Jones, Himesh Patel, Tom Courtenay
- Musik: Steven Price
- Kamera: George Steel
- Schnitt: Mark Eckersley
- Laufzeit: 100 Minuten
Die lose von wahren Begebenheiten inspirierte Geschichte spielt sich im England des Jahres 1862 ab: Der von allen belächelte Wissenschaftler James Glaisher (Eddie Redmayne) ist davon überzeugt, dass es möglich ist, das Wetter zu erforschen und vorherzusagen. Doch die Gesellschaft erachtet den Gedanken der Meteorologie für sinnlosen, dämlichen Humbug. Glaisher jedoch lässt sich nicht von seiner Faszination abbringen – und das aus gutem Grund. Er möchte nämlich mittels seiner Wettererkenntnisse erreichen, dass die Menschheit in Zukunft besser auf Überflutungen, Dürreperioden und ähnliches vorbereitet ist.
Daher hat es sich James in den Kopf gesetzt, mit einem Heißluftballon in neue Rekordhöhen aufzusteigen und akribisch Buch zu führen, damit er so Rückschlüsse über Wetterbedingungen ziehen kann. Daher bittet er die Unterhaltungskünstlerin und Pilotin Amelia Rennes (Felicity Jones) darum, zusammen mit ihm in einem Heißluftballon auf über 7000 Meter hochsteigen. Amelia hat aber noch immer nicht den tragischen Tod ihres Ehemannes verarbeitet, weshalb sie mühevoll umgestimmt werden muss. Als sie letztlich doch gemeinsam dieses Abenteuer antreten, werden sie unter anderem von einem Sturm überrascht …
James Glaisher ist eine reale Persönlichkeit, die auch tatsächlich mehrere gefährliche Heißluftballonfahrten auf sich nahm, und viel dafür kämpfte, dass die Meteorologie als ernstzunehmende Wissenschaft anerkannt wird. Seine Abenteuergesellin Amelia ist hingegen eine fiktive Figur, die James' realen Weggefährten und Ballon-Piloten ersetzt. Gleichwohl wurde Amelia als Verschmelzung zweier historischer Persönlichkeiten entworfen: Ihre dramatische Hintergrundgeschichte ist an Sophie Blanchard angelehnt. Ihre zwiegespaltene Art, sich gegenüber einem Publikum als auffällige Entertainerin zu geben und so Einnahmen zu generieren, obwohl sie in Wahrheit eine ernstzunehmende, konzentrierte Luftfahrerin ist, hat Amelia dagegen als Verweis auf Margaret Graham erhalten.
An dieser Stelle wäre viel Raum über Kopfzerbrechen, ob es nicht also stärker gewesen wäre, hätte Drehbuchautor Jack Thorne («Wunder»), wenn er schon historische Dinge und Personen zusammenlegt, lieber ein Skript über die historisch weniger besungenen Blanchard oder Graham gemacht und einen fiktionalisierten Glaisher hinzugedichtet. Aber ganz gleich, wo man bei diesem Gedankenexperiment auskommt: Es ist die «Rogue One»-Hauptdarstellerin Felicity Jones, die diesen Film schultert.
Jones schafft es mit scheinbarer spielerischer Leichtigkeit, zwischen Amelias Persönlichkeitszügen hin und her zu springen. Ist Publikum da, ist Amelia mit Leib und Seele eine groß tönende, dick auftragende Entertainerin mit dem Kopf in den Wolken, die den Anschein erweckt, voller Lebensfreude zu stecken. Aber schon in diesen Szenen macht Jones durch kleine Ticks und minutiöse Brüche in der Stimmfarbe deutlich, dass das alles, was Amelia treibt, nur Schauspiel ist. In Wahrheit ist Amelia zwischen gigantischem, alles ertränkendem Kummer als Privatperson und einer sehr kopflastigen, strebsamen Professionalität als Pilotin zerrissen – und wie Jones dieses innere, emotionale Tauziehen zwischen Amelias charakterlichen Antrieben ausdrückt, ist die wichtigste Stütze des Films.
Der Rest von «The Aeronauts» kann da leider nicht mithalten. Jones' «Die Entdeckung der Unendlichkeit»-Ko-Star Eddie Redmayne liefert als zerstreuter, verschlossener und dauernervöser Wissenschaftler einen müden Abklatsch seiner Oscar-gekrönten Stephen-Hawking-Darstellung ab. Er erweckt James Glaisher nicht zum Leben, sondern macht aus ihm bloß ein wandelndes, filmisches Stereotyp. Und auch wenn Regisseur Tom Harper («Peaky Blinders») sowie Kameramann George Steel durchaus in solider Schlagzahl Kameraeinstellungen und Ausblicke auf die immer kleiner werdende Welt wählen, die zu packen wissen: Auf jeden atemberaubenden Anblick, auf jeden Moment, in dem James' und Amelias Wissenschaftsabenteuer die Nerven kitzeln, kommen sogleich mehrere Szenen, in denen die Illusion zerstört wird.
Das liegt an den visuellen Effekten dieser 40-Millionen-Dollar-Produktion, beziehungsweise, um es genauer auszudrücken, an ästhetischen Entscheidungen bezüglich der Digitaltricks in «The Aeronauts». Denn während sich manche Sequenzen sichtbar um Fotorealismus bemühen (was mal klappt, und andere Male das Budget des Films deutlich wird, sobald man zu genau hinschaut), gibt es viele Szenen, in denen einzelne Bildelemente weichgezeichnet und gülden-glänzend überbelichtet ist und somit sehr stilisiert und unecht wirken. Das ginge als stilistische Entscheidung durch, hätte man das halt kohärent durchgezogen. So hingegen bleibt ein visuelles Wirrwarr über, das uns weder direkt mit in den Heißluftballon versetzt, noch eine sich bewegende, stilisierte Retro-Illustration darstellt.
Untermalt wird das Ganze von Musik, die zuweilen so klingt, als hätte Komponist Steven Price die Aufgabe bekommen, seinen «Gravity»-Score zu nehmen, etwas abzuschwächen und auf das mittlere 19. Jahrhundert zu trimmen. Das ist zwar nicht all zu kreativ, aber schon ab und an effektiv. Und somit symbolhaft für den ganzen Film.
«The Aeronauts» ist auf Amazon abrufbar.