Oscar-Gewinner Jean Dujardin spielt in diesem untergegangenen französischen Filmdrama einen Filmkomponisten, der ins Nachdenken gerät.
Filmfacts «Un + Une»
- Regie: Claude Lelouch
- Produktion: Marc Dujardin, Samuel Hadida, Victor Hadida, Claude Lelouch, Jean-Paul de Vidas
- Drehbuch: Claude Lelouch, Valérie Perrin
- Cast: Jean Dujardin, Elsa Zylberstein, Christopher Lambert, Alice Pol
- Musik: Francis Lai
- Kamera: Robert Alazraki
- Schnitt: Stéphane Mazalaigue
In Michel Hazanavicius Stummfilm-Hommage/Romantik-Dramödie «The Artist» spielt Jean Dujardin einen beliebten und erfolgreichen Stummfilm-Star, der sich vom Aufkommen des Tonfilms bedroht fühlt – denn er hat einen dicken französischen Akzent. «The Artist» wurde zu einem Kritiker- und zu einem noch größeren Branchen-Liebling. Unter anderem heimste der Film eine Nominierung für die PalmeD'Or ein, einen Academy Award für den besten Film sowie einen Oscar für Jean Dujardins Leistung als Hauptdarsteller. Zwar war Jean Dujardin schon vorher ein sehr geschäftiger Schauspieler (unter anderem spielte er in den «OSS 117»-Agentenparodiefilmen mit und in der Satire «39,90»), doch «The Artist» machte ihn international berühmt.
Es folgten ein Miniauftritt in Martin Scorseses Exzesssatire «The Wolf of Wall Street» und ein Part in George Clooneys «Monuments Men – Ungewöhnliche Helden». Ansonsten blieben die internationalen Engagements aus und Dujardin verschlug es wieder ins französische Kino, wo er solche Tiefen wie die Komödie «Mein ziemlich kleiner Freund» (in der er einen Kleinwüchsigen spielt) durchgemacht hat wie auch solche Höhen wie Quentin Dupieux' «Deerskin» (der hierzulande später den Titel «Monsieur Killerstyle» verpasst bekam). Der Superstar der Stunde fand zu seinem alten Stand zurück.
Dujardins gesunkenen Stern kann man wohl auch daran ausmachen, dass deutsche Verleiher ihm nicht genug Zugkraft zutrauen, um einen Film wie «Un + Une» hierzulande profitabel zu machen: Das 2015 in Frankreich gestartete Romantikdrama bekam hierzulande keinen regulären Kinostart spendiert, nicht einmal einen DVD-Start. Stattdessen wurde es im Frühjahr 2019 vollkommen unzeremoniell auf Netflix geparkt und wartet dort seither völlig frei von Publicity (es ist ja kein Netflix-Original, also behandelt der Streamingdienst es wie eine Karteileiche), dass es dort entdeckt wird. Kürzlich folgte zudem eine ZDF-Ausstrahlung.
Was auf der einen Seite ein unrühmliches und bedauernswertes Schicksal ist, kommt dem Film womöglich auf anderer Seite zugute. Denn «Un + Une» ist als Drama zu seicht, um in der modernen Kinolandschaft ein größeres Publikum mitzureißen. Doch «Un + Une» ist als seichte, freundliche Kinounterhaltung eine kleine Prise zu ernst und zu trocken, um in der Kaffeeklatschschiene deutscher Programmkinos zu entzücken. Und offenbar hat «Un + Une» nicht den Glanz, um DVD-Blindkäufe zu rechtfertigen. Früher hätte so etwas wie «Un + Une» womöglich ein kurioses Leben als Film entwickelt, der alle paar Jahre am Sonntagnachmittag im Fernsehen wiederholt wird und sich dort mit seiner Mischung aus Wohlfühlgeschichte und Sinnsuchdramatik einen Namen als Produktion macht, "die du unbedingt gucken solltest, wenn die denn nochmal läuft – schade, dass du's verpasst hast".
Als (Quasi-)Netflix-Film hingegen kann «Un + Une» jederzeit Menschen erreichen, die in der Stimmung für etwas Sonntagnachmittag-Kuscheldeckenkino sind. Und sei es in Wahrheit Montagnacht oder Samstagmorgen. Lang anhaltenden, intensiven Eindruck wird «Un + Une» auch so nur bei wenigen hinterlassen – und doch ist es die exakt richtige Umgebung, damit die Stärken des Films florieren können. Erzählt wird vom angesehenen Filmmusiker Antoine (Jean Dujardin), der nach Indien reist, weil er angeheuert wurde, die Musik für «Julia + Romeo» zu verfassen, ein auf wahren Begebenheiten basierendes, zwischen Schwarz-Weiß und kräftiger Farbe schwankendes Romantikdrama.
Doch für Antoine kommt dieses neue Projekt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Der Lebemann und Frauenheld hat sich nämlich erstmals in so etwas wie eine feste Beziehung verfahren. Er und seine Eroberung Alice (Alice Pol) können voller Überzeugung übereinander sagen: "Wir nerven uns nicht", was für Antoine schon ein großer Fortschritt ist. Den am Telefon gestellten Heiratsantrag Alices begrüßt er dennoch mit einer Mischung aus Nervosität und Ignoranz. Seine immensen Kopfschmerzen kann Antoine dagegen nicht ignorieren, nicht einmal, während er in Indien mit der Diplomatengattin Anna (Elsa Zylberstein) scherzt und sich von ihr in Indiens Kultur und Gepflogenheiten einführen lässt. So sehr ihm die Gesellschaft der ironiefreien, nachdenklichen Lebensgefährtin des redseligen, aber emotional abgekapselten Samuel Hamon (Christopher Lambert) auch Freude bereitet.
Als Anna Antoine einige Zeit nach seiner Ankunft davon erzählt, eine spirituelle Reise antreten zu wollen, ist Antoine hin- und hergerissen: Einerseits tut er Annas Pläne als esoterischen Hippie-Quatsch ab. Andererseits braucht man ihn im Studio nicht mehr und ein Teil von ihm glaubt, nur dann seine massiven Kopfschmerzen los zu werden, wenn er sich ihr anschließt …
Siehe auch unsere Kritiken zu:
Die Kollisionen zwischen Antoines und Annas Weltsichten sind auf dem Papier interessant, in der Umsetzung seicht – und dennoch reizvoll: «Un + Une» kratzt nur an der Oberfläche der Debatte zwischen Laissez-faire und Strenge, zwischen kopflastiger Ironie und nachdenklicker Herzlichkeit, zwischen Agnostiker-Dasein und esoterischer Aufgeschlossenheit. Sowohl den Dialogen zwischen den beiden Hauptfiguren als auch der narrativen Reise, die sie gemeinsam durchmachen, fehlt es an argumentativem oder intellektuellem Feinschliff. Und doch ist es ungeheuerlich schwer, «Un + Une» einfach als reinen Fluff abzutun, der die Schwere seiner angerissenen Thematiken nicht begreift.
Dafür spielen Dujardin und Zylberstein die sich anziehenden Gegensätze zu glaubwürdig, mit zu spürbarer Überzeugung und einem unaufdringlichen, gewinnenden Charme. Und die für das Drehbuch mitverantwortliche Valérie Perrin sowie ihr Ko-Autor verweben zudem die Beziehung Antoine/Anna ganz schlüssig mit dem Schauplatz der Erzählung: Während viele Filme über kriselnde weiße Männer aus dem Westen solche Länder wie Indien zum Plotmotor degradieren und als Länder zeichnen, deren Funktion einzig und allein ist, überarbeiteten und/oder verwirrten Leuten Erleuchtung zu verschaffen, muss man sich bei «Un + Une» schon aktiv querstellen, um dem Film diesen Vorwurf zu machen:
«Un + Une» zeigt Indien nicht als Postkarten-Selbstfindungshintergrund, durch den ein sinnsuchender Antoine wandert. Stattdessen filmt Kameramann Robert Alazraki sowohl das touristische Treiben als auch die weniger schickliche Realität Indiens in vitalen, kräftigen Bildern ab, während sich Antoine selbst kritisch hinterfragt, weil er von Anna dazu inspiriert wird, die wiederum als Diplomatengattin schon lange in Indien lebt und sich mit ihrer Grundmentalität schon länger auf indische Philosophien eingelassen hat. Die "Kommen Sie nach Indien, lassen Sie sich von uns verwandeln, wir haben ja sonst nichts zu tun"-Lesart ähnlicher Filme ist in «Un + Une» quasi schon gefiltert und die Story würde theoretisch auch an anderen Schauplätzen funktionieren, entfaltet aber vor diesen Hintergründen einfach eine "authentischere" Wirkung, die im Zusammenspiel mit der etwas gekünstelt eingefädelten Grundprämisse und den sehr filmisch-akzentuierten Gesprächen der Hauptfiguren zu einem willkommenen Gegenpol wird.
Untermalt wird «Un + Une», und alles andere wäre bei einem Film über einen Filmkomponisten ein regelrechter Affront, von einer betörenden, ebenso emotionalen wie malerisch strukturierten Hintergrundmusik. Komponiert wurde sie vom legendären Oscar-Gewinner Francis Lai, der unter anderem schon die unvergessliche Musik zu «Love Story» geschrieben hat. Lai verwischt auch sukzessive die Grenzen zwischen der Klangwelt des Films «Un + Une» und des Films-im-Film «Julia + Romeo». Dieser fiktive Film-im-Film wird von seinem Oscar-prämierten, trotzdem wenig bekannten Regisseur (gespielt von Rahul Vohra) als intelligenter New-Wave-Streifen gepitcht wird, der aber, wann immer wir Szenen aus ihm sehen, eben doch mehr Wohlfühl-Herzkino mit gemäßigt ausgedrückten Emotionen ist.
Diese klangliche Verschmelzung beider Filmebenen trifft auch auf die Grundtonalität von «Un + Une» zu. Denn was als durchaus pointenreicher Film über einen Komponisten beginnt, der sich mit ironischem Wortwitz durchs Leben lächelt und nun in Indien arbeiten soll, obwohl er gerade in Frankreich ein neues Lebenskapitel aufgemacht hat, wird nach und nach zu einem Film, der einen ähnlichen Spagat zwischen "Ich möchte ein altbekanntes Storykonstrukt neu aufzäumen" und "Harmloses, freundliches Wohlfühlkino" begeht wie der Film-im-Film.
Dieser Übergang ist nicht einmal im Ansatz so thematisch motiviert, künstlerisch ambitioniert und konsequent vollzogen wie etwa
die stilistische Wende im hervorragenden «Zwei im falschen Film». Doch mit Wohlwollen lässt sich hineinlesen, dass es mit Antoines Karma zu tun hat, dass er noch gestresst und emotional suchend ist, während er zynisch scherzt sowie die Arbeit an einem emotionalen Film professionell, aber ambitionslos runter rasselt, und sich sein Leben versüßt, sobald er sich für andere Ideen und Konzepte öffnet.
Für einen "Ich habe ihn ohne Erwartungen auf Netflix hochgespült bekommen und an einem Nachmittag auf dem Sofa geschaut"-Film, der auf der rein charismatisch-emotionalen Ebene reibungslos funktioniert, reicht das. «Un + Une» bietet sich für solch eine Rezeptionsweise an und geht dabei auf, ohne dass es zynisch oder lieblos wäre. Weil die Gefühlswelt der Figuren überzeugend ist, gelungen transportiert wird, und die unausgesprochene Frage, wie sehr sich Antoines und Annas Leben während ihrer Reise noch zum Wohlfühl-Kuscheldecken-Kino wandeln wird, dem Stoff einen subtilen Drive gibt.
Und doch ist es paradoxerweise sehr bedauerlich, dass «Un + Une» wohl sehr oft so ahnungslos rezipiert wird. Der Film hat nämlich obendrein eine metafiktionale, autobiografisch angehauchte Komponente – doch als Werk, in dem sich der Regisseur mit sich und seiner Karriere beschäftigt, lässt sich «Un + Une» wohl kaum erkennen, wenn man ihn völlig unvorbereitet anklickt, weil Netflix ihn gerade vorschlägt.
Inszeniert und mitverfasst wurde «Un + Une» von Claude Lelouch, und somit von einem Urgestein des französischen Kinos. Seit Jahrzehnten inszeniert er vornehmlich romantische Filme, die stets mit einem Hauch Humor, aber hauptsächlich mit einer sanft-dramatischen Grundtonalität auskommen – und die im Regelfall so simple Titel haben wie «Eine für alle», «Männer und Frauen, eine Gebrauchsanweisung», «Alles für die Liebe» oder «Es lebe das Leben».
Seine Verteidiger befinden, dass Lelouch in seine einfachen Geschichten weitreichende subtextuelle Bedeutungen legt und so über den unaufgeregten Wohlfühlfaktor hinaus zum Nachdenken anregt. Seine härteren Kritiker werfen ihm vor, Kitsch zu kreieren, der nicht vollauf dazu steht, schmachtender Herzschmerzkitsch zu sein, und sich daher in eine etwas trockenere, verkopftere Präsentation flüchtet. Doch beide Seiten sind sich quasi einig, dass Claude Lelouch eine Art zugängliches respektive leichtfüßiges respektive verwässertes French-New-Wave-Kino fabriziert. Das lief lange so vor sich hin, wurde mal etwas mehr beachtet (zum Beispiel: «Der Löwe»), mal ging es außerhalb Frankreichs vollkommen unter. Lelouch hatte sogar vereinzelte, internationale Regie-Engagements, etwa 2002 mit dem Patricia-Kaas-und-Jeremy-Irons-Vehikel «And Now … Ladies & Gentlemen» oder in Form einer Co-Regie bei «München 1972 – 8 berühmte Regisseure sehen die Spiele der XX. Olympiade».
Doch es ist schon erstaunlich, wie wenig internationaler Ruhm und Glanz Claude Lelouch übrig geblieben ist. Heute ist er vornehmlich dem frankophilen, treuen Programmkino-Publikum ein Begriff. Sein zwischen Sepiatönen, Schwarz-Weiß und voller Farbe wechselnder Film «Ein Mann und eine Frau» von 1966 gewann noch zwei Oscars und die Palme d'Or, was den schon länger in Frankreich aktiven Regisseur über Nacht zu einer globalen Regiesensation gemacht hat.
Lelouchs gesunkenen Stern kann man wohl auch daran ausmachen, dass deutsche Verleiher ihm nicht genug Zugkraft zutrauen, um einen Film wie «Un + Une» hierzulande auf der großen Leinwand profitabel zu machen. Was auf der einen Seite ein unrühmliches und bedauernswertes Schicksal ist, kommt dem Film jedoch womöglich auf anderer Seite zugute. Denn «Un + Une» kann nunmehr Menschen mit seinem Charme umgarnen, ohne sich mit einer gesteigerten Erwartungshaltung zu messen.
«Un + Une» ist auf Netflix abrufbar.