«Little Fires Everywhere»: Überall brennt's ein wenig

Klassenkampf, Sexismus und Rassismus in einer schönen Gegend in den 1990er-Jahren ...

Hinter den Kulissen

  • Entwickelt von: Liz Tigelaar
  • Basierend auf einer Romanvorlage von: Celeste Ng
  • Cast: Reese Witherspoon, Kerry Washington, Joshua Jackson, Rosemarie DeWitt, Jade Pettyjohn, Lexi Underwood, Megan Stott, Gavin Lewis, Jordan Elsass
  • Musik: Mark Isham, Isabella Summers
  • Kamera: Trevor Forrest, Jeffrey Waldron
  • Schnitt: Tyler L. Cook, Amelia Allwarden, Phyllis Housen
  • Executive Producer: Lynn Shelton, Liz Tigelaar, Kerry Washington, Pilar Savone, Reese Witherspoon, Lauren Neustadter
  • Produktionsfirmen: Best Day Ever Productions, Simpson Street, Hello Sunshine, ABC Signature Studios
Hach ja, die guten, alten 90er-Jahre, als Cybermobbing ein Albtraum der Zukunft war, nach Feierabend auch wirklich Feierabend war, man nicht ununterbrochen erreichbar sein musste und es keine verwirrten Menschen gab, die dauernd irgendwelche "alternativen Fakten" fabriziert haben. Früher war halt alles besser, da gab es keinen offensichtlichen gesellschaftlichen Brandherd – seufzen jene, die die Vergangenheit verklären. Denn stattdessen gab es vielerorts viele, kleine Brandherde, die für Leid sorgten. Die 90er, die Zeit, in der "Aufgeschlossene" in wohlmeinendem Tonfall eine geringschätzige, diskriminierende oder rassistische Sache nach der nächsten sagen konnten und es niemand getadelt hat.

Als Schulrektoren mit seligem Grinsen smarte Kindern aus nicht-wohlhabenden Familien runter gedrückt haben – mit der Begründung, dass doch offensichtlich sei, weshalb sie in den schwereren Kursen versagen würden. Und als Lehrkörper noch die Kinder als Störenfriede ausgeschimpft haben, die sich gegen Mobbing gewehrt haben. Dinge, die mitunter noch immer vorkommen, doch bei denen heute die Gepeinigten mehr Optionen haben, sich Gehör zu verschaffen. Celeste Ngs Erfolgsroman «Little Fires Everywhere» (dt. Titel: "Kleine Feuer überall") erzählt von diesen unzähligen gesellschaftlichen Feuern, die noch immer nicht vollständig gelöscht wurden – die man aber in früheren Jahrzehnten noch ignorant hat lodern lassen.

Zusammengerafft werden diese Beobachtungen durch die Geschichte zweier Familien: Hier die fünfköpfige Familie der gut betuchten, engagierten, aber auch überaus doppelmoralischen Journalistin Elena Richardson, dort die kämpferische, alleinerziehende Mutter Mia Warren. In der auf dem Roman basierenden Miniserie «Little Fires Everywhere», die in den USA bei Hulu beheimatet und hierzulande auf Amazon abrufbar ist, werden diese beiden gegensätzlichen Frauen, deren Leben sich überkreuzen, von Reese Witherspoon und Kerry Washington verkörpert. Und diese beiden schauspielerischen Schwergewichte werfen ihr Können mit voller Überzeugung in die Waagschale:

Witherspoon gelingt der delikate Drahtseilakt zwischen boshaft-scheinheilig und naiv-scheinheilig, der nötig ist, um Elena als makelhafte Ko-Protagonistin zu akzeptieren, mühelos. Und Washington ringt der sehr gutherzigen Mia ebenso mühelos dunklere Seiten ab, wenn sie sich etwa fast schon selbst geißelt oder sich so beschützend auf ihre Tochter schmeißt, dass sie dadurch erdrückt wird.


Unter den jüngeren Cast-Mitgliedern stechen vor allem Megan Stott und Lexi Underwood heraus. Newcomerin Stott mimt "das schwarze Schaf" in der Richardson-Familie, eine rebellische, den sozialen Status Quo hinterfragende Schülerin, die zu Beginn der Serie ihre Haare zu einem feschen Drew-Barrymore-Halbkurzschnitt runterfackelt (!) und daher von ihrer Mutter als ungezogen beschimpft (statt dass Elena zuallererst Sorgen um ihre Tochter äußert – Haare anbrennen ist gefährlich, verflixt!) und von ihren Mitschülern als lesbisch abgestempelt wird.

Lexi Underwood («Family Reunion») wiederum spielt mit großer empathischer Wirkung die Neue, ausgegrenzte an der Schule, die sich von ihrer Mutter freikämpfen und gegen Vorurteile zu wehren hat.
In der Skizzierung der Abgründe hinter der US-amerikanischen Mittelstandsgesellschaft (nicht nur) der 90er-Jahre geht die solide und effizient inszenierte Serie zwar nicht weit genug (öfters werden Fehlstände dezent relativiert), trotzdem ist es ein sehr konzentrierter, soghaft erzählter Serienblick hinter die Fassade – wohl der spannendste (wenngleich nicht der aussagekräftigste), der sich schwerpunktmäßig um Mütter dreht, seit «Desperate Housewives» zu einem globalen Phänomen wurde.

«Little Fires Everywhere» ist ab dem 22. Mai 2020 auf Amazon abrufbar.
21.05.2020 08:54 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/118514