Bei der neuen franko-amerikanischen Netflix-Serie, die im Pariser Kleinkunstmilieu spielt, kann man sich wunderbar treiben lassen. Über ideales Fernsehen zum Runterkommen.
Cast & Crew
Produktion: Augury, One Show Films, Boku Films, Fifty Fathoms, Atlantique Productions und Endeavor Content
Schöpfer: Jack Thorne
Darsteller: André Holland, Joanna Kulig, Leïla Bekhti, Adil Dehbi, Tahar Rahim, Randy Kerber, Ludovic Louis u.v.m.
Executive Producer: Damien Chazelle, Jack Thorne, Alan Poul, Patrick Spence, Katie Swinden und Glen BallardIhre (pop-)musikalische Tradition erfüllt die Franzosen seit jeher mit großem Stolz. Serge Gainsbourg, France Gall, Julien Clerc, Vanessa Paradis, Françoise Hardy, Claude François – sie alle stehen für einen schwer definierbaren, aber irgendwie quintessentiell französischen Sound.
Was dabei unter den Tisch fällt: Links des Rheins lässt man sich, trotz oder wegen eines kulturellen Überlegenheitsgefühls, besonders gern vom Ausland (speziell dem dekadenten Amerika) inspirieren. Wo Trini Lopez mit einem
hammer gegen rassistische Ungerechtigkeit anklopfte, baute sich
Claude François daraus einen Bauernhof für seine ganze Familie. Die Country-Rock-Ikone Eddy Mitchell übernahm neben seinem Künstlernamen und seinem gesamten musikalischen Stil
auch größere Mengen Liedgut aus den USA. Bei Henri Salvador befindet sich der Löwe im Dschungel nicht nur im Tiefschlaf, sondern
wurde bereits gemeuchelt. Und eine der schrägsten Allegorien der französischen Pop-Geschichte –
Liebe ist wie Rauchen – hat ihren Ursprung in einem inhaltlich ähnlich behämmerten
Song von Sheena Easton (Thema des Originals: Der Boyfriend pendelt jeden Morgen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit).
Doch am besten gelingt die von amerikanischen Einflüssen „inspirierte“ französische Musik immer dann, wenn sie nicht einzelne Passagen oder gar Werke nachzubauen versucht, sondern sich nur im Allgemeinen an ihren Vorbildern orientiert, am Lebensgefühl, der Leichtigkeit, der Rhythmik, der Melodik. Bestes Beispiel? Boris Vians Rock- und Jazzstücke, die noch heute in der Comédie Française ein Millionenpublikum begeistern.
Genauso macht es auch «The Eddy», eine in Paris spielende franko-amerikanische Musical-Serie mit Darstellern von beiden Seiten des Atlantiks über einen Haufen von schon etwas reiferen und entsprechend erfahrenen und künstlerisch versatileren Jazz-Musikern, die zwischen den alltäglichen Herausforderungen beim Betrieb eines kleinen Musikclubs, der Hoffnung auf größere musikalische Erfolge in der Avantgarde-Szene und persönlichen Lebensenttäuschungen- und konflikten alternieren. Worum es auf der Handlungsebene im Detail geht, ist dabei gar nicht so wichtig: Denn diese Serie ist wie guter frankophoner amerikanischer Jazz. Genauso wichtig sind die Noten, die nicht gespielt werden.
So darf man sich einfach mal treiben lassen, in einem Format, das sich voll und ganz auf seine Figuren einlässt und ihnen vertraut. Fast wie in Iñárritus manischem «Birdman» bleiben wir stets dicht bei ihnen, folgen ihnen minutenlang auf Schritt und Tritt durch düstere Hinter-den-Club-Kulissen-Gänge und die Pariser Unterwelt, durch die Höhen und Tiefen des fordernden, auszehrenden, elektrisierenden und euphorisierenden franko-amerikanischen Künstlerlebens – und fühlen uns dabei fast wie
Michel Bergers Groupie du pianiste.