Nun, da angekündigt ist, dass Zack Snyders Vision von «Justice League» erscheinen wird, bleiben noch immer genügend andere Filme, die in ursprünglicher Vision neu veröffentlicht gehören!
Huch, da ist nach drei Jahren plötzlich die Ankündigung:
HBO Max wird eine von Zack Snyder abgesegnete Fassung von «Justice League» veröffentlichen. Das ist eine Filmnews, die zwiegespaltene Gefühle in mir hervorruft. Einerseits ist es immer spannend und begrüßenswert, wenn ein Filmschaffender seine Vision nachreichen darf, nachdem sein Film zunächst in einer Studio-Kompromiss-Version herauskam. Blake Edwards, Richard Donner, nun dann halt Zack Snyder, bei dem ja noch hinzukommt, dass der Film überarbeitet wurde, nachdem er aufgrund eines Schicksalsschlags in der Familie ausgestiegen ist. Das war nicht gerade die feine englische Art. Andererseits ist der Hinweg … Nunja, schwierig. Denn Snyders Fassung wurde von seinen Fans nicht nur freundlich herbei gebeten …
Dessen ungeachtet: Versuchen wir mal, uns hier auf das Positive zu konzentrieren. Malen wir uns doch aus, dass dies der Anfang einer ganzen Reihe an überarbeiteten Film-Wiederveröffentlichungen ist. Das hier sind fünf Fälle von vielen, in denen mich das sehr interessieren würde:
Brenda Chapmans «Merida – Legende der Highlands»
«Merida – Legende der Highlands» ist Pixars 13. abendfüllender Kinofilm und für mich einer der schwächeren Einträge in der Riege der Original-Filmideen aus Emeryville. Und dennoch, vielleicht sogar gerade deshalb, wünsche ich mir, das übernatürliche Schottlandabenteuer in einer neuen Fassung anschauen zu können. Denn ursprünglich sollte dies ein intensiv von Regisseurin Brenda Chapmans Beziehung zu ihrer eigenen Tochter beeinflusster Film werden. Über zwei Jahre nach offizieller Ankündigung des Films, und etwas weniger als zwei Jahre vor seiner Veröffentlichung, wurde Chapman jedoch vom Regiestuhl geschmissen, da es zu kreativen Differenzen zwischen ihr und Produzent/Studio-Kreativboss John Lasseter kam. Nicht lange danach hat Chapman Pixar verlassen. An ihrer Stelle wurde Mark Andrews mit der Regie beauftragt.
Aufgrund der langen, langen Produktionsdauer von Animationsfilmen ist die Veröffentlichung einer fertigen Chapman-Fassung von «Merida» völlig utopisch – man müsste quasi noch einmal fast das komplette Budget des Films hinblättern und ihn praktisch von Grund auf neu produzieren. Es sei denn, man rekonstruiert Chapmans Story-Vision und animiert sie auf alternativem Wege, etwa als sehr aufwändige, bewegte Storyboards. Oder im Look eines «Brendan und das Geheimnis von Kells».
Richard Richs und Ted Bermans «Taran und der Zauberkessel»
So, das dürfte leichter sein, als Chapmans Vision von «Merida» zu veröffentlichen: Der 1985 gestartete Disney-Zeichentrickfilm «Taran und der Zauberkessel» war ein immens ambitioniertes Projekt, das mit vielen Disney-Traditionen brechen und einen düsteren Tonfall anstimmen sollte. Zwar wurde im Laufe der Produktion an manchen Ecken und Kanten gespart, dennoch hatten die Regisseure Richard Rich und Ted Berman 1984 kurz vor dem ursprünglich geplanten Kinostart eine fast fertige Fassung, mit der sie sehr zufrieden waren. Doch der damals taufrische Disney-Studiovorsitzende Jeffrey Katzenberg (der später zu DreamWorks gehen sollte und derzeit Quibi verantwortet) fand das, was er zu sehen bekam, grausig. Zu gruselig. Zu furchterregend. Zu brutal. Also befahl er, bereits fertig animierte Szenen kürzen zu lassen.
Als dieser Befehl auf Widerstand gestoßen ist, weil dieses Vorgehen bei Zeichentrickfilmen praktisch unerhört war, entschied Katzenberg, einfach selber Hand anzulegen. Zwar konnte er von seinem Vorgesetzten Michael Eisner aufgehalten werden, jedoch bestand er weiter darauf, dass Schnitte nach seinen Wünschen vorgenommen werden.
Mehrere Minuten wurden daraufhin geschnitten, darunter Gewaltspitzen und Szenen, die einige der Figuren vertieft hätten. Diese Kürzungen führten zu mehreren Patzern in der visuellen und inhaltlichen Kontinuität des Films und zu hörbaren Sprüngen in der Filmmusik. Disney: Hol die Uncut-Version aus dem Archiv! Meinetwegen auch als jährliches Halloween-Schmankerl auf Disney+!
David Ayers «Suicide Squad»
Nicht nur «Justice League» durchlief während seiner Produktion eine große Metamorphose, sondern auch ein anderer DC-Film über ein Team: «Suicde Squad» wurde von David Ayer als überaus dramatisch, schwer und düster gepitcht – und auch in dieser Version gedreht. Doch das ebenfalls schwer begonnene Marketing zum Film wurde im Laufe der Monate immer bunter, heller und komödiantischer – was auf Wunsch des Studios durch Reshoots auch in den Film fließen sollte. Zwischenzeitlich sollen zwei rivalisierende Fassungen von «Suicide Squad» existiert haben: Ayers Vision und eine vom Studio bevorzugte, die vom Marketingteam entworfen wurde. Ins Kino gelangte letztlich ein Kompromiss aus beiden Versionen.
Wenn schon «Justice League» uns die Möglichkeit gibt, einen Film mit einer anderen Version seiner selbst zu vergleichen, wo bleibt denn dann eigentlich die ultimative Option? «Suicide Squad» existiert schon als Kinofassung und verlängerte Edition, aber aus purer Neugier, zu erfahren, was hinter den Kulissen denn zuweilen passiert, wäre die Veröffentlichung des Ayer-Cuts und der Trailer-Team-Version von «Suicide Squad» sehr spannend! Das wäre dann famoses Lehrmaterial darüber, wie weit voneinander entfernt Studios und Filmschaffende liegen können, wenn sie über denselben Stoff sprechen.
Martin Scorseses «Gangs of New York»
Mit zehn Academy-Award-Nominierungen und Platzierungen in den Jahresbestenlisten einiger sehr angesehener US-Kritikerinnen und -Kritiker kam «Gangs of New York» ursprünglich ziemlich gut an. Darüber hinaus brachte der Film mit Einnahmen von fast 200 Millionen Dollar weltweit Martin Scrosese zurück ins Blickfeld des zahlenden Kinopublikums, nachdem es sich denkbar wenig für seine zwei vorhergegangenen Filme interessierte. Zudem startete «Gangs of New York» die äußerst fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Scorsese und Leonardo DiCaprio. Und doch drängt sich das Gefühl auf, dass «Gangs of New York» über die Jahre an Ansehen verloren hat und von vielen eher niedrig in ihrem Scorsese-Ranking eingeordnet wird.
Ich finde die brutale, desolate Skizze eines zerrissenen New York, in dem Korruption und Diskriminierung regieren, dagegen weiterhin beeindruckend und würde sie wohl ins obere Drittel des Scorsese-Schaffens packen. Kontrovers, kontrovers, ich weiß, ich weiß. Dennoch ist mir bewusst, dass weiterhin Luft nach oben ist – und es würde mich daher brennend interessieren, wie Scorseses Traumfassung aussah, bevor er den Film aus zwei Gründen kondensieren musste: Einerseits, um im Zuge eines US-kulturellen Post-9/11-Nervenflatterns die Gewalt etwas zu zügeln. Und andererseits, weil er sich mit Produzent Harvey Weinstein angelegt hat. Scorseses Wunschfassung soll 3,5 Stunden lang gewesen sein – fast eine Stunde davon fiel der Schere zum Opfer. Der Schneideraum von «Gangs of New York» soll einem Kriegsschauplatz geglichen haben. Lasst uns nun, da der mittlerweile verurteilte Sexualstraftäter Weinstein nicht weiter die Rechte an dem Film in der Hand hält, doch herausfinden, was wäre, wenn dieser Krieg hätte vermieden werden können …
Richard Williams' «Der Dieb und der Schuster»
«Der Dieb und der Schuster» hat eine derart lange, turbulente und letztlich niederschmetternde Produktionsgeschichte, dass es Stoff für ein ganzes Buch liefern würde – und auch bereits in einer eigenen Dokumentation («Persistence of Vision») thematisiert wurde. Was Animationslegende Richard Williams («Falsches Spiel mit Roger Rabbit») als überaus kunstvolles, komplex gestaltetes Animationsmärchen anfing, wurde nach etwa 30 Jahren Produktionsdauer und unzähligen Rückschlägen von Produzent Fred Calvert gekürzt, umgeschnitten und mit neuen, kostengünstig produzierten Szenen versehen, um einen Disney-Musical-Abklatsch daraus zu machen. Und danach erwarb Harvey Weinstein den Film und ließ ihn noch weiter runterkürzen und mit veränderten Dialogen neu vertonen. Diese Version fiel 1994 in den USA brutal auf die Nase, Calverts Fassung hatte zuvor in Südafrika und Australien kaum mehr Erfolg.
Seither gab es immer wieder Versuche, Williams' ursprüngliche Vision zu restaurieren. Vor allem Filmfan Garrett Gilchrist hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Williams' Version bestmöglich wiederherzustellen und sein "Recobbled Cut" ist ein packender Einblick in die Frage, was hätte sein können – doch mit größeren Ressourcen sollte noch mehr drin sein.
2018 kündigte Williams an, dass mit Hilfe des British Film Institutes eine Blu-ray-Veröffentlichung seiner Vision möglich sei. Im vergangenen Jahr ist Williams im Alter von 86 verstorben – und die Veröffentlichung lässt weiter auf sich warten. Auch wenn Williams selbst die Vervollständigung des Films nicht mehr überwachen kann – es wäre ein Paukenschlag für die Kunstform Zeichentrickfilm, «Der Dieb und der Schuster» endlich in einer vollständigen Version zu sehen, die Williams' verbrieften Vorstellungen bestmöglich entspricht.