Kreativität nicht gefragt: Die frustrierende Situation des RTL-Nachmittags und Sat.1-Vorabends

Flop an Flop an Flop: Die Baustellen im Tagesprogramm von RTL und Sat.1 werden eher größer als kleiner. Den Sommer über dürfte das Genre-Glücksrad wieder in Schwung geraten. Doch wirklich neue Hits sind nicht in Sicht.

Eine neue Staffel «Big Brother»? Mit im Schnitt weniger als sechs Prozent bei den Umworbenen durchgefallen? Eine Kuppelshow im Auto? Ganz schnell im Sat.1-Vorabendprogramm durchgefallen. Ein täglicher Talk zu gesellschaftsrelevanten Themen? War bei RTL um 16 Uhr nur in der Corona-Hochphase ein Erfolg und verschwindet nun nach vier Monaten wieder aus dem Programm. «Marco Schreyl» endet am 12. Juni. Eine rasante Kochshow mit Steffen Henssler? Zur Zeit wegen Corona mit vielen Reruns zu sehen, leidet ebenfalls unter sehr deutlich einstelligen Marktanteilen. Der Ausbau der Trödelschiene mittels der Show «Kitsch oder Kasse»? Auch das lahmt mit sehr oft einstelligen Quoten. Ergänzt werden kann diese Liste noch um RTL-Versuche, in Sendungen wie «Mensch Papa» mehr echtes Leben am Nachmittag zu zeigen oder durch Beispiele von Sat.1, als Fiktionales wie «Alles oder Nichts» scheiterte.

Auf der Suche nach Lösungen der Quotenprobleme auf gleich mehreren Sendeplätzen haben die TV-Macher zuletzt fast jedes Genre durchprobiert. Es ist ein altbekannter Reiz, dass ein Genre nach einem, spätestens aber zwei Fehlversuchen als gescheitert gilt und sich in der Reihe erst einmal wieder ziemlich weit hinten anstellen muss. Es ist also nicht zu erwarten, dass Sat.1 in der kommenden Saison das nächste Vorabend-Reality-Projekt startet – genauso wenig wie RTL wohl einen weiteren Daily-Talk vorbereitet.

Für die Macher ist besonders ernüchternd, dass fast alle Neustarts schlechter liefen als das gewohnte Programm – ebenso wie die Tatsache, dass zeitweilig Reruns alter Gerichtsshows bei RTLplus höhere Reichweiten hatten als «Marco Schreyl». Böse Zungen sagen, die in den damaligen Gerichtssälen aufgeführten Dialoge hatten mehr Biss als der seichte Schreyl-Talk zuletzt. Die logische Konsequenz aus diesen Datensätzen ist eine erhöhte Vorsicht. Die vergangenen Wochen zeigten, dass die Blaulicht-Formate von Sat.1 einen Quotenanstieg verzeichneten und somit direkt von der RTL-Zuschauerflaute profitieren.

Entsprechend ist der Sat.1-Plan, genau diese Programmfarbe eher noch zu erweitern, nur schlüssig. Schon kürzlich liefen erste Teile einer ersten «Richter und Sindera»-Staffel (beide sind aus anderen Sat.1-Ermittlerformaten schon bekannt), auch Bernie Kuhnt und die «K11»-Ermittler gaben ein Comeback, Bernd Römer (bekannt aus der Courtshow mit Barbara Salesch) soll folgen. Während bei Sat.1 das Genre-Rad also in Richtung Fiction-Light/Ermittler-Serie gedreht wurde, dürfte vor allem die weitere Entwicklung des RTL-Nachmittags spannend sein.

Dass die Kölner sich wieder vermehrt auf diese Programmfarbe konzentrieren, dürfte angesichts der personellen Konstellation eher ausgeschlossen werden. CEO Bernd Reichart ist kein Fan von Scripted Reality, nahm einst als VOX-Chef das damals noch recht erfolgreiche «Verklag‘ mich doch» aus dem Programm. Die jüngsten Misserfolge dürften aber auch die RTL-Chefs eher ratlos machen. Was genau könnte noch funktionieren am Nachmittag? Würde es sich lohnen, um 16 Uhr eine erwachsene Telenovela anzubieten und somit versuchen, das einstige «Wege zum Glück»-Publikum zu erobern? Wohl nicht – schon damals hatte das Format zu wenige junge Zuschauer, zudem floppten bei RTL zuletzt zwei 17-Uhr-Dailys. Wäre eventuell Platz für ein Ratespiel am Nachmittag? Mit Blick auf die aktuellen «Genial Daneben – das Quiz» scheint auch die Lust nach Quizformaten eher schon gesättigt. Ob RTL mit einem weiteren Magazin-Format gut fahren würde, ist ebenfalls fraglich – das Sat.1-Publikum hatte zumindest keine Lust auf «Endlich Feierabend».

Und selbst die naheliegende Idee, nämlich das RTL-Comeback der Gerichtsshow, ist erst 2019 gescheitert. Im Sommer 2019 hielt sich der «Gerichtsreport Deutschland» nur fünf Tage im Programm der Kölner. Am Ende schauten noch fünf Prozent der Umworbenen zu. Kurz gesagt: Es scheint momentan eine frustrierende Zeit für alle Kreativen zu sein; gute Ideen liegen aktuell wahrlich nicht auf der Straße.

Hinzu kommt, dass selbst die Folgen der gezeigten Formate, die noch als solide gelaufen gelten – etwa «Kitsch oder Kasse»-Episoden von RTL, die mehr als zehn Prozent bei den Jungen erreichten, keine allzu hohe Reichweite mehr haben .Das sind dann maximal noch 300.000 junge Leute, die den Sendungen ihre Zeit schenken. Und selbst die sind offenbar nicht mehr leicht zu begeistern.

Kann VOX eventuell ein Vorbild sein? Der Kölner Sender hatte zuletzt ein recht glückliches Händchen, adaptierte verschiedene Shows aus dem Ausland für sein Tagesprogramm und bestreitet es seit Jahren erfolgreich. Doch sind «Shopping Queen» und Co. wirklich die Blaupause für Sat.1 und RTL?
06.06.2020 10:22 Uhr  •  Manuel Weis Kurz-URL: qmde.de/118656