Nach dem Ende der ersten Staffel von «Star Trek: Picard» mehrten sich die Rufe, dass «Star Trek» nun endgültig tot sei. Doch trifft diese Einschätzung zu, oder ist das Franchise nicht vielmehr lebendiger, denn je?
«Picard»: Kein «Star Trek» mehr?
Die neuen «Star Trek»-Serien «Discovery» und «Picard» heizen die Gemüter auf. Während sich die Begeisterung zahlreicher Kritiker und Gelegenheits-Trekkies auf Portalen wie IMDB und Rotten Tomatoes widerspiegelt, sieht es mit den Meinungsbekundungen der treusten Fans oft ganz anders aus. Man stört sich unter anderem am düsteren Ton und daran, dass der ikonische Jean-Luc Picard, der Jahrzehntelang wie ein personifizierter Gott der Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit verehrt wurde, plötzlich nur ein ganz normaler Mensch mit Haken und Ösen ist. Über die Rückkehr von Jeri Ryan als Seven of Nine freute man sich nur so lange bis klar wurde, dass ihre Figurenzeichnung eine drastische Wendung nahm. Diese ist zwar innerhalb der Serie nachvollziehbar, wurde aber zum Leidwesen einiger Zuschauer nicht explizit thematisiert. Vielmehr erschließt sich die Wandlung der Figur indirekt aus den Folgen vier und Fünf, die unter anderem die Auswirkungen der isolationistischen Haltung der Föderation thematisieren. Auch, dass die Ex-Borg in Voyager noch als großbusiger Männertraum in Erscheinung trat, nun aber bisexuell ist, zog Proteste nach sich. hinzu kommt die Tatsache, dass einige Handlungsstränge mit der heißen Nadel gestrickt wurden, sich dann allerdings als Luftmaschen herausstellten.
„Heulboje“ Burnham
Mit ähnlichen Problemen hat «Star Trek: Discovery» zu kämpfen. Der Ärger begann schon mit der Etablierung eines neuen Klingonen-Looks und der Tatsache, dass die Schauspieler ihre Dialoge teilweise im nuscheligen Klingonisch präsentierten. Der von Akiva Goldsman eingeführte Heilsbringerplot um Lieutenant Michael Burnham war leicht durchschaubar und Sonequa Martin-Greens Interpretation der Hauptfigur Michael Burnham brachte ihr unter Fans den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Heulboje Burnham“ ein. Die ersten beiden Staffeln fielen zudem insgesamt durch ein stark schwankendes Niveau auf und das Ende der zweiten Season geriet platt und langweilig. Die Serie ist technisch fabelhaft umgesetzt und geizt weder mit Schauwerten, noch mit guten Ideen, die aber leider nicht immer konsequent zu Ende gedacht wurden. Kontrovers aufgenommen wird auch die Figurenzeichnung, die die altbekannte Autorenweisheit, dass man zu vielen Figuren unmöglich ausreichend Raum und Tiefe verleihen kann, bestätigt. Dieses Manko ist allerdings schon seit den Anfangstagen von «Star Trek» bekannt. Wie viele wirklich denkwürdige Momente hatten schon eine Uhura oder ein Chekov im Vergleich zum großen Trio Kirk/Spock/McCoy?
Das Ende ist nah
Das alles sind diskutierenswerte Ansätze die zurecht zeigen, dass die beiden aktuellen «Star Trek»-Ableger nicht perfekt sind. Nicht wenige Autoren beschworen nach dem Finale der ersten Staffel von «Picard» gar das Ende von «Star Trek» herauf und erklärten in Facebook- und Forumsbeiträgen, oder in Kolumnen das Franchise für tot – nicht zum ersten Mal übrigens. Ähnliche Formulierungen lassen sich bis in die 80er Jahre zurückverfolgen. Ein glatzköpfiger Franzose mit englischem Akzent wird Captain der neuen Enterprise? Eine Todsünde. Ein schwarzer Captain auf einer abgehalfterten Raumstation, die um einen bislang unbekannten Planeten kreist? Langweilig. Eine Frau als Captain eines Schiffs, das im Delta-Quadranten gestrandet ist? Verflucht sei die Political Correctness. Und zu guter Letzt: Ein Prequel zur Originalserie? Und das im Jahr 2001? Unmöglich realisierbar. Die Zeit strafte diese Endzeitstimmung bislang noch jedes Mal Lügen und wenn wir ehrlich sind, haben alle «Star Trek»-Serien ihre Stärken und Schwächen. Der Kenner blickt etwa mit Grausen auf diverse Ausreißer, wie zum Beispiel „Spocks Brain“ („Spocks Gehirn“) aus der Original-Serie zurück, um nur ein prominentes Beispiel zu nennen. Ähnliche Ausrutscher lassen sich über alle Dekaden hinweg beobachten. Vor allem die ersten beiden Staffeln von «Star Trek: The Next Generation» weisen so manche autorische Fauxpas auf, die sich allerdings im weiteren Verlauf mit einigen der besten Science-Fiction-Geschichten des US-amerikanischen Fernsehens ausbügeln ließen.
Wie immer man auch die neuen Serien also bewerten mag, Tatsache ist, dass sie dem Franchise einen unglaublichen Schub verpasst haben. «Star Trek» war in seiner fast 55-jährigen Geschichte noch nie so vielfältig aufgestellt wie heute. «Picard» und «Discovery» eingeschlossen, liegen bei CBS derzeit insgesamt nicht weniger als sechs Serien plus weitere «Short Treks» in der Pipeline. Das Thema eines neuen Kinofilms ist dank des Zusammenschlusses von Paramount und CBS auch noch lange nicht vom Tisch. Die künstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten sind dabei an Vielfalt kaum zu überbieten.
«Lower Decks»
Am 6. August 2020 startete auf CBS All Access die Zeichentrick-Animationsserie «Star Trek: Lower Decks» von «Rick and Morty»-Produzent und Autor Mike McMahan. Zwei Staffeln mit je zehn halbstündigen Folgen sind bisher geplant. Die Serie setzt bekanntermaßen im Jahr 2380, also kurz nach den Ereignissen des zehnten Kinofilms «Star Trek: Nemesis» an und beleuchtet die Crew des vollkommen unwichtigen Sternenflottenschiffs U.S.S. Cerritos. Trotz des Zeichentrickstils richtet sich die Show an erwachsene Zuschauer und mit Blick auf die Referenzen des Serienerfinders können wir von einer großen Portion deftigem und bissigem Humor im «Star Trek»-Gewand ausgehen.
«Discovery»
Alex Kurtzman betonte in einem Interview im Januar 2020, dass es über die nächsten Jahre hinweg dauerhaft «Star Trek» im Fernsehen zu sehen geben wird, nur nicht unbedingt nebeneinander. Mit Blick auf den Release-Termin von «Lower Decks» war also abzusehen, dass die dritte Staffel von «Star Trek: Discovery» irgendwann im Oktober starten würde, so dass das «Star Trek»-Herz auf jeden Fall bis Ende des Jahres mit neuem Lebenselixier versorgt ist. Die dritte Staffel führt die Discovery endlich dorthin, wo zahlreiche Fans eine neue «Star Trek»-Serie von jeher gesehen haben: knapp eintausend Jahre in die Zukunft nämlich. Und wenn man sich von dem Zwang, Burnham stets als unfreiwilligen Weltenretter aufstellen zu müssen, endlich verabschiedet, bietet diese Idee ungeahnte Möglichkeiten für eine echte Fortsetzung der großen Saga.
«Strange New Worlds»
Die in der zweiten Staffel von «Star Trek: Discovery» von Anson Mount zu neuem Leben erweckte Figur des Captain Pike wurde von Fans mit so großer Begeisterung aufgenommen, dass zahlreiche Rufe nach einer eigenen Serie laut wurden. Alex Kurtzman bewies darauf hin, dass er durchaus in der Lage ist, auf die Wünsche der Fans zu reagieren. Nachdem Pike, Spock und seine „Number One“ bereits in den «Short Treks» zu Wort kamen, erhält die Crew, die vor Kirk und Co die Geschicke der Enterprise lenkte, nun eine eigene Serie. Anson Mount, der selbst ein großer «Star Trek»-Fan ist, wird es freuen. In einem für den FedCon-Insider geführten Doppelinterview Mit Shazad Latif und Mount antworte der Pike-Darsteller mir auf die Frage, ob er Lust auf eine Fortsetzung hätte: „Ich halte das für eine wundervolle Idee. Die Fans scheinen den Gedanken einer eigenen Serie oder Miniserie über Pike zu lieben. Als Schauspieler und Fan würde ich mich über diese Gelegenheit jedenfalls sehr freuen.“ Der Mime hätte sich damals sicherlich nicht träumen lassen, dass seine Wünsche so schnell erhört würden. Ob der für seine Arbeit an «Picard» scharf kritisierte Akiva Goldsman dem Discovery-Spin-off wirklich neue Impulse verleihen kann, wird sich noch zeigen. Der renommierten
Variety erzählte der Executive Producer: „Wir kehren zu den Werten des klassischen Trek zurück und werden episodischer und optimistischer werden. Natürlich werden wir die Möglichkeiten der Charakterentwicklung der seriellen Erzählweise ausnutzen. Wir werden beispielsweise auf vorhergegangene Ereignisse Bezug nehmen und die Figuren werden sich entwickeln. Unsere Geschichten sollen aber in sich geschlossener sein, als ihr es aus «Picard» oder «Discovery» kennt.“
«Prodigy»
Mit der von CBS Eye Animation Production entwickelten CG-Animation-Show «Star Trek: Prodigy» wagt sich das Franchise in Gefilde vor, die es bislang in dieser Form noch nie betreten hat. Dan und Kevin Hageman, bekannt durch ihre grandiose Arbeit an «Trollhunters», haben hier die Federführung übernommen und richten sich mit ihrem Konzept vor allem an Kinder und Teenager. Als Hauptfiguren sollen einige Jugendliche stehen, die auf das Wrack eines alten Föderationsschiffes treffen und es wieder flott machen. Ihre neu gewonnene Freiheit nutzt die Gruppe von nun an nicht nur dazu, ein Abenteuer nach dem anderen zu erleben, sondern auch dem Sinn des Lebens nachzuspüren. Als ausstrahlenden Sender hat sich CBS passenderweise für Nickelodeon entschieden.
«Section 31»
Wie es um das zweite «Discovery»-Spin-off «Section 31» steht, ist momentan eher ungewiss. Zuletzt wurde bekannt, dass die Produktion aufgrund der allgegenwärtigen Corona-Krise vorläufig auf Eis gelegt wurde. Mit Michelle Yeoh als Spiegeluniversums-Version von Philippa Georgiou hat man sich hier aber eine der spannendsten Figuren aus der zweiten Staffel an Land gezogen und die Chance, in die dunkelsten Abgründe der Föderation zu blicken und eine düstere, erwachsene Serie zu kreieren. Die Rückkehr von Shazad Latif alias Ash Tyler/Voq wäre eine weitere Möglichkeit, eine am Ende der zweiten Staffel abgesägte Figur glaubwürdig zurückzuholen. Latif wäre sicherlich ebenfalls davon angetan, seiner mit viel Liebe für das Detail kreierten Figur noch mehr Tiefe zu verleihen. Im oben bereits erwähnten Interview äußerte sich der britische Schauspieler jedenfalls sehr positiv zu dieser Idee: „In der letzten Folge von Staffel zwei wird Tyler quasi zum neuen Chef der Sektion 31 ernannt. Es würde also absolut Sinn machen, dass wir ihn wiedersehen. Aber das hängt von den Autoren und Produzenten ab. Da die Serie sich allerdings noch in der Entwicklung befindet, haben wir noch ein wenig Zeit. Ich würde auf jeden Fall gerne wiederkehren und ich denke, in Anbetracht der Entwicklungen in «Star Trek Discovery» könnte ein Wiedersehen mit Ash eine gute Idee für die Kontinuität des Universums sein.“
«Star Trek» lebt!
Obwohl sich «Star Trek» seit dem Ende der letzten klassischen Serie, «Star Trek: Enterprise», drastisch gewandelt hat und neue Erzählformen sowie pessimistischere Tendenzen Einzug gehalten haben, lebt «Star Trek» also nach wie vor. Das Herz des Franchise schlägt kräftig und pumpt frischen Content in die Venen der Fernsehlandschaft. Kurtzman und sein Team stellen sich breit auf und versuchen sich endlich darin, ein vollkommen neues Publikum zu erschließen. Sie mögen es düster und dreckig? Bitteschön. Sie lieben Zeichentrickserien mit zynischem Unterton á la «Rick und Morty»? Haben wir. Eine Serie für Kinder? Aber natürlich doch. Ihnen hat eine Figur gefallen, die einen Serienaufguss vertragen könnte? Machen wir glatt! Gut so. Bitte mehr davon. Make it so.