Wenn Horrorregisseure und der Hardcore-Action-Spezialist hinter «The Raid» eine Dramaserie über die Unterwelt Londons drehen ...
Executive Producer hinter «Gangs of London»
- Thomas Benski
- Lucas Ochoa
- Jane Featherstone
- Gabriel Silver
Actionspezialist Gareth Evans inszeniert seit 2006 abendfüllende Filme – und gelangte 2011 mit dem knallharten «The Raid» zu wohlverdientem Ruhm. Das Martial-Arts-Wuchtwerk über eine Spezialeinheit, die sich durch ein Hochhaus metzelt, wurde weltweit als Action-Glanzlicht gefeiert und drei Jahre später mit einer spektakuläreren, längeren, erzählerisch komplexeren Fortsetzung gesegnet. 2018 versuchte sich Evans dann an einem ultrablutigen Horrorfilm für Netflix. Nun rutscht er etwas näher an den Mainstream und verantwortet gemeinsam mit Matt Flannery eine britische Kriminal-Dramaserie.
Aber Gareth Evans bleibt seiner Handschrift treu: «Gangs of London» ist auf dem Papier zwar nah dran an anderen Gangsterserien voller claninterner Intrige und clanübergreifenden Konflikten. Und auch bildästhetisch reiht sich «Gangs of London» in seinen dramatischen Szenen ein zwischen all den anderen schattig ausgeleuchteten, gräulichen Dramaserien über das organisierte Verbrechen. Aber nirgends sonst in der heutigen Serien-Unterwelt eskalieren die Differenzen zwischen Recht und Verbrechen, verschiedenen Kriminellen und verletzten Egos in derart brutalen, ausführlichen und ausgeklügelten, dreckigen Actionszenen.
Das actionreiche, blutige Gangsterepos wird in Gang gesetzt, als Finn Wallace (Colm Meaney), 20 Jahre lang der mächtigste Gangsterboss in London, brutal ermordet wird. Und niemand weiß, wer diesen Mord befehligt hat. Das will sein Nachfolger ändern: Finn Wallaces Sohn Sean (Joe Cole) rückt an die Spitze des Clans, der den Drogenimport, die Geldwäsche und andere Mafia-Aktivitäten in London organisiert, und gräbt in den wenigen Indizien. Scheinbar zufällig erhält er dabei Unterstützung durch den schlagkräftigen Elliot Finch (Sope Dirisu). Zudem will Sean gemeinsam mit Ed Dumani (Lucian Msamati) und seiner Familie das schlagartig entstandene Machtvakuum zwischen den verschiedenen Banden füllen.
Die Suche nach den Auftraggebern hinter Finns Ermordung und der Versuch, die Stellung des Wallace-Clans und der Dumani-Familie zu halten, gestaltet sich alsbald zu einem Wust von komplexen, lang gehegten sowie abrupt ausgelebten Konflikten zwischen einem irischen Kingpin, einer Albaner-Mafia, einem pakistanischen Drogenkartell und anderen Sektoren des organisierten Verbrechens in London. Familienbande werden auf die Probe gestellt, Gelegenheitsloyalitäten verstärken sich – oder brechen folgenschwer zusammen …
Nicht nur Gareth Evans, der schon mehrfach bewiesen hat, dass er ein förmliches Genie in Sachen schmutziger, schmerzlicher, schroffer fiktionaler Gewalt ist, auch die anderen «Gangs of London»-Regisseure erschaffen in dieser Sky-Studios-Produktion atemberaubende Konflikteskalationen voller Staub, Rost, Blut, Schweiß und Schutt. Neben Evans sind auch Horrorregisseur Corin Hardy («The Hallow») und der nicht gerade für seine kompromissfreudige Inszenierung bekannte Xavier Gens («Frontier(s)») für die neun Episoden der ersten Staffel verantwortlich.
Und diese filmsprachliche Verwurzelung der «Gangs of London»-Regisseure im harten, dramatischen, dreckigen Kino ist der Serie vollauf anzumerken. Die Setpieces sind gewaltig und gewaltsam, elaboriert, oftmals von einer zerrütteten Moral der Figuren geprägt und nahezu immer derbe sowie voller berstender Knochen. «Gangs of London» suhlt sich nicht beschönigend in Brutalität, sondern schaut sehr genau hin und zeigt den gewalttätigen Akt und seine Folgen in gemächlicher Ruhe, damit die Schwere dieser Härte auch wirklich zum Tragen kommt.
Der zentrale Plot bleibt aber konventionell – wer eine dramatische Gangsterserie über Machtspiele, das Buhlen um Loyalität und über die Reibung zwischen dem kriminellen Geschäft und der privaten (meistens involvierten) Familie gesehen hat, hat auch im Groben die Handlung von «Gangs of London» gesehen. Abseits der Action bleiben die Plotentwicklungen, Figurenkonstellationen und Charaktermotivationen zumeist generisch – abgesehen vom sehr ergiebigen Element, dass die «Gangs of London»-Verantwortlichen eine große Faszination für Sprache an den Tag legen. Dialekte, Akzente, Jargon, Slang und unterschiedliche Sprachkenntnisse werden hier weiträumig dargestellt und verleihen der Serie enormes Flair.
Der Cast leistet beeindruckende, physische Arbeit und auch abseits der Gewaltphasen drücken die Schauspielerinnen und Schauspieler in «Gangs of London» ihre Rollen sehr körperlich aus – durch gewisse gestische Macken, vielsagende Blicke oder ähnliches. So tröstet «Gangs of London» ein Stück weit über die zeitweise blass geschriebenen, wenngleich atmosphärisch-vielfältig dargebotenen, Dialoge hinweg. Dennoch bleibt es die Action, die wirklich hängen bleibt. Das Warten auf Gareth Evans' nächsten Film lässt sich mit ihr gut vertreiben, und wenn im weiteren Verlauf der Staffel die Figuren an Nuance gewinnen und die Allianzen in «Gangs of London» auf besonders harte Proben gestellt werden, kommt auch große Vorfreude auf Staffel zwei auf.
Fazit: Einfallsreich konstruierte, herbe Actionszenen tragen einen dramatischen, nicht ganz so einfallsreichen, dennoch spannenden Unterweltplot voran: «Gangs of London» ist ein Gangsterdrama, wo die Messerstechereien und brechenden Knochen genauso viel aussagen wie die dialektreichen, multikulturell angehauchten Dialoge.
«Gangs of London» ist ab dem 23. Juli 2020 ab 20.15 Uhr auf Sky Atlantic HD zu sehen.