«Unhinged - Außer Kontrolle» - Russell Crowe dreht durch

Im ersten großen Neustart nach der Corona-Krise eröffnet ein verfetteter Russel Crowe die Jagd auf eine hilflose Autofahrerin, die zur falschen Zeit am falschen Ort ist.

«Unhinged - Außer Kontrolle»

  • Kinostart: 16. Juli 2020
  • FSK: 16
  • Laufzeit: 90 Min.
  • Genre: Thriller/Action
  • Kamera: Brendan Galvin
  • Musik: David Buckley
  • Buch: Carl Ellsworth
  • Regie: Derrick Borte
  • Darsteller: Russell Crowe, Jimmi Simpson, Caren Pistorius, Gabriel Bateman, Austin P. McKenzie
  • OT: Unhinged (USA 2020)
Für seine Hauptrolle im sich aktuell in der Postproduktion befindlichen Thriller «The Georgetown Project» nahm Russell Crowe («Der verlorene Sohn») im vergangenen Jahr massig Kilos zu. Es ist nicht das erste Mal, dass sich der gebürtige Neuseeländer am fragwürdigen Hollywoodsport des „Gewichts-Jojos“ beteiligt und für Filmengagements mal ab- und mal zunimmt, um möglichst authentisch zu wirken. Crowe gab erst kürzlich in einem Interview zu, sich derzeit so gar nicht wohl in seiner Haut zu fühlen und blieb deshalb sogar der im Januar stattgefundenen Golden-Globe-Verleihung fern. Der Zuschauer ist von Crowes aufopferungsvoll herbeigeführter Wandlungsfähigkeit noch am ehesten Profiteur.

In Derrick Bortes kurz vor «The Georgetown Project» noch rasch dazwischengeschobenem Thriller «Unhinged – Außer Kontrolle» wirkt Crowe fülliger als je zuvor, was allerdings hervorragend zu seiner Rolle als unzufriedener, sich selbst bemitleidender und gewaltbereiter Stalker passt. Der Hollywoodstar, der zuletzt vorwiegend für gemütliche Vaterrollen gecastet wurde, ist hier endlich mal wieder als fieser Bösewicht zu sehen. Ein Rollenprofil, das ihm hervorragend zu Gesicht steht und «Unhinged» vor der Vollkatastrophe bewahrt.



Zur falschen Zeit am falschen Ort


Es ist ein ganz normaler Morgen für Rachel (Caren Pistorius): Sie ist wieder mal zu spät dran und steckt im täglichen Verkehrschaos auf dem Weg zur Schule mit ihrem Sohn Kyle (Gabriel Bateman) fest, als auch noch ihre wichtigste Klientin ihr kündigt und der Autofahrer (Russell Crowe) vor ihr hartnäckig die grüne Ampel ignoriert. Laut hupend zieht sie an ihm vorbei und ahnt nicht, dass sie so zur Zielscheibe der geballten Wut eines Mannes wird, der nichts mehr zu verlieren hat. Entschlossen heftet er sich an Rachels Fersen, um ihr eine Reihe von Lektionen zu erteilen, die sie so schnell nicht vergessen wird. Und nicht nur sie ist sein Ziel, sondern auch alle, die sie liebt. Gnadenlos und scheinbar unaufhaltsam schlägt der Fremde immer wieder zu…

Wem die Idee eines irren Autofahrers, der einen anderen Autofahrer ohne jeden ersichtlichen Grund so lange verfolgt, bis das Ganze in einer Katastrophe endet, bekannt vorkommt, der erinnert sich damit vermutlich an Steven Spielbergs Kultfilm «Duell». In der TV-Produktion von 1971 eröffnet ein die meiste Zeit im Verborgenen bleibender Tanklasterfahrer die Jagd auf einen ahnungslosen Geschäftsmann, die die beiden anschließend quer durch die kalifornische Wüste führt. Eine Idee, die in ihrer Einfachheit kaum zu übertreffen ist: keine Dialoge, keine Erklärungen, nur das unaufhaltsame Wettrennen zwischen zwei Männern in ihren fahrbaren Untersätzen. «Unhinged – Außer Kontrolle» besitzt einige der oben aufgeführten Elemente ebenfalls. So bleibt beispielsweise die Ursache für das kranke Verhalten ihres Verfolgers lange Zeit im Dunkeln. Wann immer Rachel glaubt, ihren Stalker abgeschüttelt zu haben, taucht er plötzlich doch wieder auf; mal hinter der nächsten Straßenecke, ein anderes Mal an der Tankstelle. Und zumindest aus der ersten halben Stunde der eigentlichen Filmereignisse geht nicht hervor, wozu der Bösewicht wohl noch imstande sein wird. Bellt er nur sehr laut oder beißt er zu?

Eine Frage, die Drehbautor Carl Ellsworth («Red Dawn») leider schon im Vorwege beantwortet: Bevor der bedeutungsschwanger über das Gewaltpotenzial der Amerikaner philosophierende Vorspann über die Leinwand rollt, verrät der Prolog, dass der Mann auch vor Mord und Brandstiftung nicht zurückschreckt. Es wäre deutlich effektiver gewesen, die wirklich finsteren Seiten seiner Person erst nach und nach zu offenbaren.

Je später der Abend desto hanebüchener der Film


So aber weiß man auch trotz der zunächst eher spärlich gesäten Informationen, dass die Jagd des Mannes und seiner weiblichen Beute vermutlich tödlich enden wird; Eine Vermutung, die «Unhinged» dann auch im zweiten Drittel bestätigt, wenn aus der bis dato eher ruhig inszenierten aber nicht minder unheimlichen Verfolgungssituation plötzlich ein Actionthrillerszenario wird. Plötzlich ist es nicht mehr die immer wieder unmittelbar hinter ihrem Auto auftauchende Präsenz des Fremden, die Rachel und damit auch dem Publikum Angst macht, sondern seine in recht blutigen Einstellungen gefilmten Gewalttaten, wenn er nach und nach Rachels Freunde und Familie dezimiert. Ab hier beginnt «Unhinged» schließlich völlig abstrus zu werden. Im Kontrast zum im Vorspann heraufbeschworenen Appell daran, wie realitätsnah diese Prämisse ist, wirkt die nun folgende Eskalation der Ereignisse fast lächerlich. Der Stalker mutiert zum schier übermächtigen Gegner – und ob dies nun auf der Straße stattfindet oder nicht, ist letztlich auch egal. Schade um das eigentlich so effektive Eröffnungssetting.

Unter der von einem leidenschaftlich wahnsinnig aufspielenden Russell Crowe heraufbeschworenen Hysterie, die im Hinblick auf das Foreshadowing (Stichwort: Fortnite) im Finale absolut hanebüchene Züge erreicht, leidet auch die Figurenzeichnung. Während sich insbesondere Rachel («Slow West»-Star Caren Pistorius spielt die Rolle der Gejagten und aufopferungsvollen Mutter glaubhaft und solide) zu Beginn von «Unhinged» noch weitestgehend klug verhält, immer wieder mit der Polizei kommuniziert und, wann immer möglich, Hilfe von Außenstehenden in Anspruch nimmt, lassen arg konstruierte Dialoge sie mit der Zeit immer weniger smart aussehen. Überhaupt scheinen einem die Macher nicht allzu viel zuzutrauen. Expositionsdialoge gibt es hier en masse; und das auch in Momenten, in denen die Bilder ohnehin alles erklären.

Weshalb sie etwa gleich zweimal ein erschrockenes „Er hat mein Handy!“ von sich gibt, wenn der Fremde ihr durch sein Autofenster mit ihrem Smartphone winkt, bleibt ebenso ein Rätsel das wiederholte Einblenden eines Erziehungsratgebers für Scheidungskinder, damit auch ja jeder verstanden hat, dass sich die Protagonistin gerade in Trennung befindet. Und spätestens, wenn man anhand der ausgeschriebenen Kennzeichen erkennt, wem welches Auto gehört, damit man während der Verfolgungsjagden auch bloß nicht den Überblick verliert, verliert der auch handwerklich nicht gerade hervorstechende Film endgültig an Reiz.

Fazit


«Unhinged – Außer Kontrolle» beginnt als effektive Neuauflage von «Duell», entwickelt sich jedoch nach und nach in einen generischen Actionthriller, an dem in erster Linie Russell Crowe als durchgeknallter Irrer überzeugt.

«Unhinged – Außer Kontrolle» ist ab dem 16. Juli in den deutschen Kinos zu sehen.
20.07.2020 10:30 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/119979